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       # taz.de -- Nachnutzung von Tagebauflächen: RWE kann Kasse machen
       
       > Das Land NRW und RWE gründen eine gemeinsame Gesellschaft zur
       > Landvermarktung. Umweltschützer kritisieren Intransparenz.
       
   IMG Bild: Garzweiler 2: Mit dem ausgebeuteten Braunkohletagebau ist noch Geld zu machen
       
       Aachen taz | In [1][Widerstandskreisen gegen die Braunkohlenutzung] ist
       seit Langem vom NRWE-Komplex die Rede. Das Kürzel soll die jahrzehntelange
       intime Verflechtung der Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen (NRW) mit
       dem Energieriesen RWE ausdrücken. Jetzt hat sich, wie zur Bestätigung, eine
       NRWE GmbH gegründet. Sie heißt nur etwas eleganter, nämlich
       „Perspektive.Struktur.Wandel GmbH“.
       
       Geschäftsführer des Joint Ventures sind in Eintracht ein RWE-Mann und ein
       leitender Landesfunktionär. Ziel ist die Nachnutzung und Vermarktung von
       zunächst 200 Hektar Fläche nahe den [2][Kraftwerk-Dörfern Neurath und
       Niederaußem sowie Niederzier am Hambacher Restwald].
       
       Ort der Vertragsunterzeichnung am Montagmorgen: Schloss Paffendorf bei
       Bergheim, eine edle Residenz aus dem 13. Jahrhundert. 1958 hatten die
       Kohlegräber, kaum dass ihre Bagger sich Schlosspark und Wassergraben
       näherten, der Hausherrin Marietta Freifrau von dem Bongart die Anlage
       abgekauft. Seit 1976 ist das Schloss PR- und Veranstaltungszentrum von RWE
       und jetzt auch Sitz der neuen PSW-Gesellschaft.
       
       Es geht um Industrieansiedlung auf den Flächen, die RWE weiter gehören, die
       das Unternehmen aber jetzt nicht mehr braucht. RWE kann also saftig
       nachverdienen, nennt das nur anders: „Die Liegenschaftspower bringen wir
       gerne ein“, sagt Mitgeschäftsführer der PSW, Erik Schöddert, der RWE-Mann.
       „Ab 2025 soll in die Vermarktung eingestiegen werden“, erklärt
       NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU). Lars Kulik, RWE-Vorstand,
       versprach, das „gemeinsam mit Umweltinitiativen zu tun, Entschuldigung: mit
       Umfeldinitiativen“. Ein nebenbeteiligter Bürgermeister sieht „einen
       Riesenvorteil“ darin, dass es „keine aufwändigen Genehmigungsverfahren“
       brauche. Die Wiese ist ja schon gemäht.
       
       ## Jede Menge Geheimniskrämerei
       
       Ausgekungelt wurde das Konstrukt hinter verschlossenen Türen: Gespräche
       seit Frühjahr 2021, Mitte vergangener Woche angekündigt, offizielle
       Gründung der GmbH am Freitag, eine eigene PSW-Website soll erst noch
       freigeschaltet werden. Die Geheimniskrämerei sorgt für vielfältige
       Empörung.
       
       Der [3][Aachener Waldpädagoge Michael Zobel], einer von 20 Protestierern,
       die sich am Montag zu einer spontanen Mahnwache vor Schloss Paffendorf
       aufgemacht hatten, erklärt: „Seit Jahren beschreiben wir die unheilvolle
       Kumpanei zwischen RWE, NRW, Oberbergamt und mehr. Seit Jahrzehnten
       funktioniert dieses System wie geschmiert. Und wenn es noch eines
       schamloseren und offensichtlicheren Beweises für den Klüngel bedurft hätte,
       hier ist er.“
       
       Keine Information, keine Transparenz, keine demokratische Teilhabe: Antje
       Grothus, grüne Landtagskandidatin aus Buir nahe dem Hambacher Wald, findet
       es „auffällig, dass jetzt vor der Landtagswahl noch so viele Pflöcke
       eingeschlagen, Posten verteilt und Verträge abgeschlossen werden“. Es werde
       schwer, das wieder rückgängig zu machen. Ackerflächen, womöglich jenseits
       der bislang genutzten Flächen etwa für Kraftwerke, würden kurzerhand
       zubetoniert. Und dies: Aus der Zivilgesellschaft gebe es so viele andere
       Ideen, jenseits von industriefreundlicher Vermarktung. Warum, fragt sie,
       seien keine BürgerInnen beteiligt, keine Klima- und Umweltorganisationen?
       
       ## Biotopvernetzung kein Thema
       
       Eine Frage, die Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach gern
       beantwortet: „Warum ist die Zivilgesellschaft nicht beteiligt?“ Antwort:
       „Wir sprechen nicht über Briefmarken, sondern über große Flächen.“ Warum
       kein Wort zu nachhaltiger statt industrieller Nutzung, etwa eine
       Biotopvernetzung Hambacher Restwald – Sophienhöhe: „Natürlich planen wir
       ökologisch. Alles nach Braunkohle ist ökologisch.“
       
       Amüsiert gab sie sich über eine weitere Frage der taz: „Verhindert eine
       gemeinsame privat-öffentliche GmbH nicht die Kontrollarbeit der
       Regierungsakteure?“ – „Also nein, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu
       machen.“ [4][Scharrenbach hatte 2018 den Brandschutz erfunden als
       Rechtfertigung für die sinnlose Räumung der Baumhäuser im Hambacher Wald,
       die das Verwaltungsgericht Köln 2021 für rechtswidrig und illegal erklärt
       hatte]. Darauf erteilte Scharrenbach bockig Weisung, das Urteil anzufechten
       – gegen den Beschluss des zuständigen Stadtrats Kerpen.
       
       Rechtliche Antworten zur neuen PSW GmbH stehen ohnehin noch aus. RWE hat im
       Rheinischen Revier weite Flächen nach Bergrecht erworben, das verpflichtet
       zur späteren Rekultivierung. Ist eine gewinnbringende Nachnutzung der
       gemähten Wiesen durch langfristige Verpachtung auch eine Rekultivierung?
       
       Eine gute Nachricht gab es zuletzt auch, sie kam vergangene Woche aus
       Münster. Das dortige Oberverwaltungsgericht gab bekannt, dass frühestens im
       März eine Entscheidung folge, ob der Weiler Lützerath am Tagebau Garzweiler
       samt dem Hof des klagenden Landwirts Eckhard Heukamp weggebaggert werden
       darf. Am 1. März beginnt die Brutzeit, damit sind Rodungen bis Oktober
       ausgeschlossen.
       
       22 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Müllender
       
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