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       # taz.de -- Gentrifizierung und Hundescheiße: Ende Kot, alles Kot?
       
       > Beim Spaziergang durch Kreuzberg macht unser Autor eine interessante
       > Beobachtung: Je weniger Scheiße auf den Gehwegen, desto gentrifizierter
       > der Kiez.
       
   IMG Bild: Noch ganz frisch: Hundehaufen auf Berliner Bürger*innensteig
       
       Nach so einigen Jahren Stuhl-Absenz bin ich doch tatsächlich mal wieder so
       richtig amtlich in einen Hundehaufen getreten. Der Konsistenz und dem
       Geruch nach konnte der produktive Vierbeiner nicht weit sein. Aber nichts
       und niemand war zu sehen. Auch nicht der zweite Asi am anderen Ende der
       Leine. Ja, es ist in der Tat asozial, seinen süßen Fiffi – dem Haufen nach
       in meinem Fall eher ein Exponat aus Jurassic Park – mitten auf dem
       Kreuzberger Trottoir abkoten und das „Häufchen“ Elend dann einfach liegen
       zu lassen. In solchen Momenten wird der Gehweg zum Wutbürgersteig.
       Harrrmpf!
       
       Während ich mir den unverhofft angeeigneten Plateau-Absatz vom Schuh
       kratzte und anschließend für das tiefe Profil meiner Sohle nach einer
       Pfütze suchte, kam mir die alte Idee des Hamburger Journalisten Wulf
       Beleites in den Sinn. Von Berufs wegen führte ich vor Jahren mal ein
       längeres Gespräch mit ihm. Der satirische Hundehasser brachte nämlich 2014
       ein Magazin auf den Markt, es trug den wohlklingenden Namen [1][Kot & Köter
       – Die Zeitschrift für den Deutschen Hundefeind]. Das Cover der Nullnummer
       frohlockte mit Titeln wie „Georg Kreislers Tagebücher entdeckt:
       Hundevergiften im Park“ oder „Menü: Argentinischer Dackelrücken“. Neun
       Printausgaben entstanden, die inzwischen offline genommene Website, im
       Webarchiv abgelegt, macht mit einem letzten Eintrag von Ende 2019 auf, der
       Titel: „Hunde zu Pflugscharen – ein Versöhnungsangebot“.
       
       Sorry, aber Hassbriefe an den Herausgeber kämen nicht mehr an: Wulf
       Beleites ist 2018 leider verstorben.
       
       Als ich also gerade dabei war, mich in Pfützen und an Bordsteinkanten der
       Fäkalreste zu entledigen und auf diese Weise ungewollt selbst in den
       eingangs erwähnten asozialen Kontext rückte, fielen mir zwei Dinge auf:
       Erstens, es wäre zu einfach, die armen Tölen und Kläffer zu dissen, Kacken
       muss schließlich jede:r mal. Schuld sind doch eigentlich die Halter:innen.
       Konsequenterweise trüge mein Magazin deshalb den Namen Hund und Halter –
       Zeitschrift für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
       
       ## Häufchendichte schrumpft
       
       Zweitens, wäre diese Abscheu denn wirklich gerechtfertigt? Man mag es kaum
       glauben, aber ich war tatsächlich schon lange nicht mehr in eines dieser
       stinkenden Asphalt-Baisers gelaufen, und wenn ich so darüber nachdenke,
       dann ist allem subjektiven Anschein nach die Häufchendichte deutlich
       geschrumpft.
       
       Wirklich belegen ließe sich das nicht. Belastbare Zahlen sind rar, zuletzt
       berichtete die Berliner [2][B. Z. 2014 von einer „Schätzung der
       Umweltverwaltung]“, nach der täglich (!) 55 Tonnen Hundekot „auf Berlins
       Straßen“ landen würden.
       
       Gut, wären es tatsächlich die Straßen, wäre die Stadt schon längst
       hundefrei, es sind dann aber doch nur die Gehwege und Grünanlagen. Und ob
       wirklich weniger abgestuhlt wird, ließe sich mittlerweile gar nicht mehr
       richtig einschätzen, weil viele Haufen mit dem Kotbeutel im Müll landen.
       Danke dafür!
       
       Meine Flanier-Barrios gehören heute zu den am meisten gentrifizierten
       Stadtteilen Berlins. Als vor zwei Jahrzehnten nach Kreuzberg gezogener
       Charlottenburger fühle ich mich dem letzten bisher nicht verdrängten Rest
       zugehörig. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich bin mir sicher: Damals
       lag mehr Scheiße auf den Gehwegen. Und mein Eindruck im Laufe der Jahre: Je
       weniger Scheiße, desto gentrifizierter der Kiez, oder andersrum …
       
       Auf jeden Fall ist seit diesem Gedankengang die Anwesenheit von Scheiße
       eine nicht mehr ganz so negative Angelegenheit für mich. Um meinen Verbleib
       im Kiez zu sichern, gehe ich nun jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit
       einmal um den Block und knöpfe mir die Hosen auf, nein, Spaß.
       
       Aber hey: [3][Reclaim the streets]!
       
       10 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.diehundezeitung.com/kot-und-koeter-hundehasser-zeitschrift/
   DIR [2] https://www.bz-berlin.de/berlin/55-tonnen-hundekot-auf-berlins-strassen
   DIR [3] /Reclaim-the-streets/!1228689/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bobby Rafiq
       
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