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       # taz.de -- Direkte Demokratie in Hamburg: Volksbegehren verfassungswidrig
       
       > Das Hamburgische Verfassungsgericht urteilt zugunsten des Senats. Der
       > kann sich weiterhin über Bürgerentscheide auf Bezirksebene hinwegsetzen.
       
   IMG Bild: Kein neues Thema in Hamburg: Verbindliche Volksentscheide wurden auch schon 2007 gefordert
       
       Hamburg taz | Das Hamburgische Verfassungsgericht hat am Freitag
       entschieden, dass die Forderung nach [1][verbindlichen Bürgerbegehren und
       Bürgerentscheiden auf Bezirks- und Senatsebene] gegen die Landesverfassung
       verstößt. Die Volksinitiative „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide jetzt
       verbindlich machen – Mehr Demokratie vor Ort“ hatte sich dafür aufgestellt,
       doch der Hamburger Senat klagte gegen das Ansinnen – mit Erfolg. Nun darf
       das Volksbegehren nicht weiter fortgeführt werden.
       
       Mitte 2019 hatte die vom Verein „Mehr Demokratie“ angeführte
       Volksinitiative ihre Arbeit aufgenommen. Insgesamt hatten sich rund 30
       Bürgerinitiativen in dem Bündnis vereint, um künftig auch
       [2][Bürgerentscheide] auf Bezirksebene rechtlich bindend zu machen. Anfang
       2020 überreichte die Initiative dafür im ersten Schritt mehr als 14.000
       Unterschriften im Rathaus.
       
       [3][Seit der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden] in
       Hamburg habe der Senat über zwanzig Bürgerentscheide und Bürgerbegehren
       evoziert – also außer Kraft gesetzt oder die Bezirke angewiesen, die
       aufgeworfene Frage in seinem Sinne zu bearbeiten. Das kann der Senat immer
       dann anordnen, wenn er gesamtstädtische Interessen von den Bürgerbegehren
       berührt sieht.
       
       Das wollte die Initiative unmöglich machen: „Erfolgreiche Bürgerentscheide
       oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen
       nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden“, lautete eine
       ihrer Kernforderungen. „Dabei fordern wir nur, was eigentlich eine
       Selbstverständlichkeit sein sollte“, sagte Initiativen-Sprecher Bernd Kroll
       vor der Entscheidung.
       
       ## Hamburger Senat klagte gegen Volksinitiative
       
       Im Senat gab es von Anfang an wenig Begeisterung für die Initiative. In der
       Klageschrift heißt es, dass die Initiative für ein solches Vorhaben auch
       eine konkrete Gesetzesänderung liefern müsste. Darüber hinaus verstoße die
       Initiative mit der Forderung gegen das Demokratieprinzip. Würde der
       demokratisch gewählte Senat keine Macht mehr über die ihm untergeordnete
       bezirkliche Verwaltung ausüben dürfen, könne er laut der Klageschrift seine
       „parlamentarische Verantwortung“ nicht mehr sicherstellen.
       
       Das Verfassungsgericht folgte der Ansicht des Senats einstimmig. Es stellte
       fest, dass die Abstimmungsvorlage „keine sachgerechte
       Abstimmungsentscheidung“ der Bürger:innen ermöglicht. Diese könnten
       anhand der Begründung weder die Auswirkungen der Änderungen überblicken
       noch die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen.
       
       Vor allem aber wären die Forderungen der Initiative nur umsetzbar, wenn die
       sogenannte Einheitsgemeinde in Hamburg beseitigt würde. In der durch die
       Landesverfassung festgelegten Struktur sind die Bezirke in Hamburg nicht
       autonom. Anders als Gemeinden in Flächenländern haben Bezirke keine
       Zuständigkeiten, über deren Umsetzung sie frei entscheiden können. Der
       Senat führt und beaufsichtigt die gesamte Verwaltung – auch die der
       Bezirke.
       
       „Die Komplexität der Änderungen und die grundlegenden Folgen für die
       Verfasstheit der Freien und Hansestadt Hamburg erschlössen sich jedoch ohne
       besondere Vorkenntnisse des Hamburgischen Verfassungs- und
       Verwaltungsorganisationsrechts nicht“, teilten die
       Verfassungsrichter:innen mit.
       
       ## Volksinitiative will weitermachen
       
       Die Volksinitiative zeigt sich nach dem Urteil entspannt: Auch wenn das
       Verfassungsgericht das beantragte Volksbegehren vorläufig gestoppt habe, so
       hätten die Richter:innen doch das Ziel der Initiative für zulässig
       erklärt.
       
       „Durch die heutige Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts
       besteht endlich Klarheit, dass wir Bürgerentscheide und Bürgerbegehren in
       Hamburg verbindlich machen können“, sagt Sprecher Kroll. Aufgeben wolle man
       nicht. Vielmehr zeigt sich Kroll sogar zufrieden, weil das Gericht der
       Initiative für die Zukunft geholfen habe: „Das Verfassungsgericht hat sogar
       aufgelistet, was genau wo geändert werden muss.“
       
       8 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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