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       # taz.de -- Kritik an Polizeieinsatz in Göttingen: „Schmerzgriffe, Schläge, Tritte“
       
       > Bei einem Corona-„Spaziergang“ räumte die Polizei
       > Gegendemonstrant:innen aus dem Weg. Die Aktivist:innen
       > kritisieren das brutale Vorgehen.
       
   IMG Bild: Nicht gerade zimperlich: Polizeieinsatz gegen Aktivisten am Montag in Göttingen
       
       Göttingen taz | Bei Protesten gegen einen Spaziergang von
       Coronaskeptiker:innen und Impfgegner:innen am Montagabend in
       Göttingen ist es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant:innen und
       der Polizei gekommen. Das örtliche Bündnis gegen Verschwörungsmythen und
       Antisemitismus beklagt massive Gewalt und verbale Entgleisungen von
       Beamt:innen.
       
       Südniedersachsen gilt als ein Hotspot der Coronaleugner:innen-Bewegung. Vor
       allem montags gibt es in zahlreichen Orten der Region sogenannte
       [1][„Spaziergänge“ von Querdenker:innen und Neonazis.]
       
       Wie in den vergangenen Wochen trafen sich auch am Montag in Göttingen
       annähernd 150 Menschen aus der Szene zu so einem „Spaziergang“. Statt wie
       in den vergangenen Wochen durch die Innenstadt, führte der Marsch dieses
       Mal durch das bürgerliche Ostviertel. Auch regionale
       Rechtsextremismus-Größen wie Tobias Haupt und der mehrfach vorbestrafte
       Jens Wilke vom – mittlerweile aufgelösten – „Freundeskreis
       Thüringen/Niedersachsen“ mischten sich nach übereinstimmenden
       Augenzeug:innenberichten unter die Teilnehmenden.
       
       Das Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus, das bereits in
       den vergangenen Wochen zu [2][Protesten gegen die Coronaleugner:innen]
       aufgerufen hatte, mobilisierte auch am Montag gut 150
       Gegendemonstrant:innen, unter ihnen die „Omas gegen Rechts“ und Mitglieder
       von „Die Partei“. Mehrfach setzten sich Aktivist:innen auf die Straße
       und blockierten Kreuzungen, um den Aufzug der „Spaziergänger:innen“ zu
       stoppen.
       
       „Als die Personen der ihnen erteilten beschränkenden Verfügung, die Straße
       zu räumen, nicht freiwillig nachkamen, mussten die Einsatzkräfte in letzter
       Konsequenz unmittelbaren Zwang in Form von Schieben/Abdrängen anwenden und
       die Gegenprotestler bis auf den Gehweg zurückzudrängen“, schildert die
       Göttinger Polizeisprecherin Jasmin Kaatz das dann folgende Geschehen. Auch
       um später weitere Blockaden aufzulösen, hätten die Beamt:innen „die
       blockierenden Personen von der Straße drängen oder schieben“ müssen.
       
       In der Darstellung des Bündnisses liest sich das völlig anders. Demnach hat
       die Polizei die Antifaschist:innen „zwei Stunden lang durch das
       Ostviertel“ gejagt. Trotzdem seien diese an mehreren Stellen erfolgreich
       auf die Route gelangt, um die Querdenker:innen friedlich zu blockieren.
       Dabei seien die Blockaden „jeweils auf brutale Art geräumt“ worden. Die
       Beamt:innen hätten Schmerzgriffe, Schläge und Tritte eingesetzt. Auch
       sei mindestens eine Person in Handschellen abgeführt worden.
       
       Die Polizei hat diese Festnahme bestätigt. Gegen den Mann sei ein
       Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte
       eingeleitet worden.
       
       Dem Bündnis zufolge waren die Gegendemonstrant:innen am Montag nicht
       nur zahlreichen Körperverletzungen, sondern auch verbalen Angriffen –
       „Verpiss’ dich, du Sau“ – und Gewaltandrohungen – „Ich schlag dir gleich in
       die Fresse“ – durch Polizist:innen ausgesetzt. Damit habe die Göttinger
       [3][Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE)] wieder mal gezeigt, „dass
       sie jede Gelegenheit nutzt, antifaschistischen Protest einzuschüchtern und
       brutal zu zerschlagen“. Die BFE ist wegen ihres [4][oftmals ruppigen
       Vorgehens] gegen linke Demonstrant:innen in der Stadt [5][seit Jahren
       umstritten].
       
       Auch die Göttinger Grünen zeigen sich „irritiert“ vom gewaltsamen Vorgehen
       der Polizei. „Bei allem Verständnis für den Druck, dem die Beamten
       ausgesetzt sind, verstehen wir nicht, warum die BFE mit martialischem
       Kriegsgebrüll auf den notwendigen und gerechtfertigten antifaschistischen
       Gegenprotest zustürmen muss“, sagt Hannah Rudolph vom Stadtvorstand der
       Göttinger Grünen. „Menschen wurden gegen parkende Autos geschubst, mit
       Schmerzgriffen malträtiert und sogar vom Fahrrad gestoßen.“ Es brauche
       dringend eine transparente Aufarbeitung dieses Einsatzes, so Rudolph.
       
       ## Anzeige wegen Körperverletzung im Amt
       
       Kritik kommt auch von der Grünen Jugend Göttingen, die das Vorgehen der
       Polizei als „äußerst gewaltsam und unverhältnismäßig“ verurteilt. Es
       brauche eine klare Positionierung gegen rechte Gruppierungen und Menschen,
       die die Demokratie angriffen. „Dafür muss ein Gegenprotest möglich sein,
       der ohne Angst vor gewaltsamen Übergriffen der Polizei ablaufen kann“, sagt
       deren Sprecherin Viviane Depping.
       
       „Wir haben in den letzten Wochen beobachten können, dass die Polizei vor
       allem darauf fokussiert ist, die antifaschistischen Gegenproteste zu
       kriminalisieren“, beklagt Mira Dahl vom Bündnis gegen Verschwörungsmythen
       und Antisemitismus. Bisher seien die Gegenproteste in Göttingen sehr
       erfolgreich gewesen. Die Verschwörungsideolog:innen hätten in der
       Stadt nicht den Raum einnehmen können, den sie sich gewünscht hätten.
       
       ## Vom Fahrrad gezerrt
       
       Auch den Gegenprotest vom Montag halte das Bündnis ungeachtet der
       polizeilichen Übergriffe nicht für erfolglos: „Wir sehen, dass sich jede
       Woche Menschen zusammenschließen, um dem gefährlichen Schulterschluss aus
       Rechtsextremen, Esoteriker:innen und Impfgegner:innen solidarisch
       entgegenzutreten.“
       
       Inzwischen hat eine Frau, die am Montag mit dem Fahrrad in Göttingen
       unterwegs war, mehrere der am Einsatz beteiligten Beamt:innen wegen des
       Verdachts der Körperverletzung im Amt angezeigt. Als ihr der Demozug der
       Coronaleugner:innen entgegenkam, seien die Polizist:innen
       plötzlich auf sie zugelaufen und hätten ihr das Rad entrissen. Daraufhin
       sei sie gestürzt und habe sich leicht verletzt. Nach Angaben von Sprecherin
       Kaatz hat die Polizeiinspektion Göttingen „sofort nach Eingang der Anzeige“
       weitere Ermittlungen gegen die angezeigten Beamt:innen eingeleitet.
       
       10 Feb 2022
       
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