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       # taz.de -- Kampf um Kieztreffpunkt: Der Wedding kommt – Café Leo geht?
       
       > Dem Café Leo auf dem Leopoldplatz in Wedding droht die Räumung. Der
       > soziale Träger Wendepunkt gGmbH soll es ersetzen.
       
   IMG Bild: Viele AnwohnerInnen hoffen auf den Verbleib vom Café Leo
       
       Berlin taz | „Als ich das Café 2011 hier aufgebaut habe, war das eine
       schwierige Aufgabe. [1][Der Kiez rund um den Leopoldplatz war ein sozialer
       Brennpunkt.] Dagegen wollte ich etwas unternehmen“, sagt Hüseyin Ünlü, der
       Betreiber vom Café Leo, einem Kiosk mit Sitzgelegenheiten in Wedding.
       
       Am Samstag protestierte er zusammen mit rund 130 AnwohnerInnen und
       UnterstützerInnen seines Cafés gegen eine am 28. Februar geplante Räumung
       durch das Bezirksamt Mitte – Ünlüs Vertrag mit dem Bezirk läuft aus und
       soll nicht verlängert werden. Zuvor wurde ein Interessenbekundungsverfahren
       durchgeführt, bei dem sich Gewerbe und Vereine auf eine Ausschreibung des
       Bezirks für die Nutzung der Fläche auf dem Leopoldplatz bewerben konnten.
       
       Auch Hüseyin Ünlü hat sich mit dem Café Leo dort beworben. Eine Jury,
       bestehend aus Mitgliedern des Bezirksamts und der
       Bezirksverordnetenversammlung (BVV), stimmte allerdings ab, dass die
       soziale Organisation Wendepunkt gGmbH dort in Zukunft einen Standort
       bekommen soll. Für Ünlü würde das bedeuten, dass sein Kiosk abgerissen
       wird.
       
       Der Bezirk wäre nicht an die Umsetzung des Ergebnisses der Abstimmung
       gebunden, plant dem aber nachzukommen. Rechtlich ist das Vorhaben
       unbedenklich. Die Entscheidung ist dennoch stark umstritten, da sie den
       Protestierenden zufolge ohne ausreichende Bürgerbeteiligung getroffen wurde
       und Ünlü in eine finanzielle Not treiben könnte. Der Protest richtet sich
       dabei nicht gegen die Wendepunkt gGmbH, sondern gegen die vermeintliche
       Verdrängung eines wichtigen Kieztreffpunkts. Das Bezirksamt beruft sich in
       einer Stellungnahme darauf, dass ein solches Verfahren „in der
       Landeshaushaltsordnung explizit festgelegt“ sei und „bei allen öffentlichen
       Aufträgen Anwendung“ finde.
       
       ## Gemütliche Stimmung, günstige Speisen
       
       Der Kiosk auf dem Leopoldplatz bietet mit ein paar Tischen und Stühlen
       davor, geschützt durch durchsichtige Planen, eine gemütliche Möglichkeit
       zum Einkehren. Kaffee, Bratwurst, Burger und Co gibt es hier sehr
       preiswert. Über die Jahre ist das Café Leo laut AnwohnerInnen ein sehr
       beliebter Treffpunkt im Kiez geworden. Als der Betreiber Ünlü 2017 sogar
       eine Baugenehmigung vom Bezirksamt bekam, investierte er 69.000 Euro, um
       aus seinem ursprünglichen Imbisswagen einen festen Laden zu machen. Auch
       deshalb kommt die angekündigte Räumung überraschend.
       
       Muss Hüseyin Ünlü sein Geschäft nun aufgeben, würde ihn das dementsprechend
       in eine finanzielle Schieflage bringen. Um Geld geht es ihm dabei aber
       eigentlich nicht: „Ich habe das Café Leo nicht errichtet, um hohe Profite
       zu erwirtschaften“, sagt Ünlü. „Mir ist es wichtig einen Ort in diesem Kiez
       zu haben, wo alle Menschen friedlich beisammen sind und günstig etwas zu
       essen und zu trinken bekommen.“
       
       Unterstützt wird der Protest gegen die geplante Räumung unter anderem von
       Simon Gückel, ein Anwohner und Mitglied der Linken. [2][Auf change.org hat
       er eine Petition für den Erhalt des Cafés Leo gestartet], die bereits fast
       5.000 UnterstützerInnen gefunden hat.
       
       Gückel hätte sich anstelle des Interessenbekundungsverfahrens eine
       Direktvergabe an Hüseyin Ünlü gewünscht. Einen entsprechenden Antrag dafür
       durch Teile der Linken, Grünen und SPD gab es im letzten Jahr. Laut Gückel
       wurde dieser jedoch von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne)
       ignoriert. Und es soll ebenfalls von Dassel gewesen sein, der die
       Entscheidung in der Causa Café Leo maßgeblich vorangetrieben habe –
       teilweise auch gegen Widerstand in der eigenen Partei.
       
       ## Bewusste Verdrängung?
       
       Zudem kritisiert Gückel, dass das vom Bezirk ausgeschriebene
       Anforderungsprofil für die Neunutzung erneute Investitionen erfordere, die
       Hüseyin Ünlü nicht stemmen könnte. Daher rührt sein Verdacht, den auch
       AnwohnerInnen teilen, dass das Verfahren der Neugestaltung der Fläche
       geplant wurde mit dem Wissen, dass das Café Leo den Anforderungen überhaupt
       nicht gerecht werden könne. Sie sprechen von „bewusster Verdrängung“.
       
       Gückel erinnert sich, dass Ünlü sein Café in einer Zeit errichtet hat, als
       viele Menschen noch einen weiten Bogen um den Leopoldplatz gemacht haben.
       Seiner Meinung nach hat der Kiosk maßgeblich zu einer positiven Entwicklung
       im Kiez beigetragen: „Das Café Leo ist mittlerweile eine Institution im
       Herzen von Wedding und Anlaufstelle für verschiedenste Menschen.“ Auch
       Tobias Schulze (Linke) betont in seiner Rede auf der Kundgebung die
       Bedeutung vom Leo für den Standort. Er sieht darin „Pionierarbeit“ in
       puncto Sozialarbeit im Kiez.
       
       „Die Aussage Der Wedding kommt hört man in Berlin oft“, bemerkt Simon
       Gückel. Gemeint ist eine gewisse Entwicklung im Stadtteil: neue Geschäfte,
       höhere Mieten, Zuzug von Besserverdienenden, kurz um: Gentrifizierung. Der
       Wedding sei Gückel zufolge eine Zeit lang davon verschont geblieben, werde
       jetzt aber doch „mit voller Härte“ getroffen.
       
       ## Hüseyin Ünlü gibt nicht auf
       
       Auch wenn nicht geplant wird, das Café Leo durch eine Starbucks-Filiale zu
       ersetzen, sei eine mögliche Räumung für viele AnwohnerInnen ein großer
       Verlust. Die Angst vor weiterer Verdrängung vor allem im Bereich wohnen ist
       dennoch groß. Es treffe „meist nur die Menschen, die nicht viel Geld
       haben“, erzählt eine Anwohnerin des Leopoldplatzes.
       
       Am Donnerstag soll in der BVV erneut über das Café Leo gesprochen werden.
       Dort kann allerdings lediglich ein weiteres politisches Zeichen gesetzt
       werden, die Entscheidung liegt beim Bezirk und ist zunächst gefallen. Laut
       Stellungnahme des Bezirks handelt es sich nicht um „Verdrängung“, sondern
       „Fortbetrieb mit einem alternativen gemeinnützigen Angebot“.
       
       Hüseyin Ünlü gibt aber nicht auf und sagt, er werde „weiterkämpfen“.
       Rechtlichen Beistand bekommt er von seinem Anwalt Heinz Paul, der seinen
       Mandanten vor dem „wirtschaftlichen Ruin“ retten will.
       
       13 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Drogenszene-in-Berlin-Wedding/!5415992
   DIR [2] https://www.change.org/p/bezirksamt-berlin-mitte-wedding-wir-m%C3%BCssen-das-caf%C3%A9-leo-retten
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Josua Gerner
       
       ## TAGS
       
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