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       # taz.de -- Unterschätzter Placebo-Effekt: Psyche immer mitdenken
       
       > Positive Gefühle können körperliche Veränderungen bewirken. Neben
       > medizinische Therapien braucht es deswegen auch mehr sprechende Medizin.
       
   IMG Bild: Die sprechende Medizin ist ein wichtiger Faktor in der Behandlung von Menschen
       
       Vor einigen Wochen bin ich an [1][Covid erkrankt]. Zum Glück geboostert,
       trotzdem heftig. Und natürlich kenne ich alle Schreckgeschichten – [2][Long
       Covid], Schäden in der Lunge, ein Bündel an Horrorszenarien erschien vor
       meinem inneren Auge. Ich wusste also: Ich muss gegensteuern. Mehrmals am
       Tag stellte ich mich vor den Spiegel und sagte: „Mein Körper heilt.“ Und
       lächelte dabei, obwohl mir nach Heulen war. Ich hörte Gute-Laune-Musik.
       Obwohl ich nur die Decke über den Kopf ziehen wollte. Ich war müde,
       schlapp, aber sagte mir: Hey, mir geht’s super! Ich versuchte, anders zu
       denken, als ich mich fühlte. Vollkommen gegen jede Intuition.
       
       Warum? Weil ich weiß, wie mächtig der Placeboeffekt sein kann. Er kann
       größere Wirksamkeit haben als so mancher Eingriff oder Medikament.
       Eindrücklich hat das mal die [3][Studie des US-amerikanischen Chirurgen
       Bruce Moseley] gezeigt: Der Knie-Spezialist wollte wissen, worauf der
       Erfolg seiner Operationen beruhte.
       
       Er operierte Proband*innen am Knie – aber nur die Hälfte von ihnen. Bei
       der anderen Hälfte täuschte er eine OP vor. Sie wurden ganz normal
       vorbereitet, bekamen eine Beruhigungsspritze, hörten sogar typische
       OP-Geräusche. Aber: Er ritzte ihnen nur ein bisschen die Haut ein. Sonst
       nichts. Sie glaubten also nur, operiert zu werden. Das Ergebnis: Die
       Proband*innen, die nicht operiert wurden, waren nach der Heilungsphase
       genauso zufrieden mit dem „OP-Ergebnis“ wie die, die tatsächlich operiert
       wurden. Das heißt: Nur der Glaube daran, dass die Behandlung helfe, trug
       zur Heilung bei.
       
       ## Eine unentbehrliche Ergänzung
       
       Der Placeboeffekt lässt sich auf physiologischer Ebene einfach erklären:
       Wenn ein Mensch positive Erwartungen hat, daran glaubt, dass er heilen
       kann, hoffnungsfroh ist, dann werden bestimmte Hirnregionen aktiviert, die
       in einem komplexen System an Nervenverbindungen Denken, Emotionen und
       Physiologie miteinander verbinden. Wichtig ist dabei der Hypothalamus, eine
       „Schaltzentrale“ des Gehirns, die gleichzeitig wichtige Körperfunktionen
       regelt. Das heißt: Positive Gefühle können körperliche Veränderungen
       bewirken.
       
       Es gibt [4][zahlreiche Studien], die den Placeboeffekt zweifelsfrei
       belegen. Nur: Die sogenannte sprechende Medizin spielt im Gesundheitssystem
       kaum eine Rolle. Zuhören, Zeit für die*den Patient*in haben, ein
       vertrauensvolles Verhältnis zwischen Ärzt*in und Patient*in – die
       sprechende Medizin ist ein wichtiger Faktor in der Behandlung von Menschen.
       Ist sie ein Ersatz für medizinische Therapien? Auf keinen Fall, niemals.
       Sie ist aber eine unentbehrliche Ergänzung.
       
       Nur ist sie im Gesundheitssystem praktisch nicht vorgesehen, obwohl die
       eindeutig ist. Denn sprechende Medizin wird nicht annähernd so gut vergütet
       wie viele andere Therapien. Es ist schlicht nicht profitabel, sich
       ausreichend Zeit für Patient*innen zu nehmen. Aber ob Covid oder andere
       Erkrankungen – die Psyche muss immer mitgedacht werden.
       
       15 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
   DIR [2] /Spaetfolgen-von-Covid-19/!5777303
   DIR [3] https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa013259
   DIR [4] https://www.quarks.de/gesellschaft/wissenschaft/so-funktioniert-der-placebo-effekt/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gilda Sahebi
       
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