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       # taz.de -- Uigurische Wintersportregion: Chinesisches Wintermärchen
       
       > In China wird die Region Xinjiang als Wintersportparadies vermarktet.
       > Dies ist auch ein Versuch, von Menschenrechtsverbrechen abzulenken.
       
   IMG Bild: Wintersportdemonstration: Seideneisstraßen- und Schneefestival im Nordwesten von Xinjiang
       
       Der 54-jährige Huang Kezhong ist sichtlich stolz. Sein ganzes Leben lang
       hat sich der Chinese dem Wintersport verschrieben, unter anderem als
       Jurymitglied für Skisprung-Wettbewerbe. Vor fünf Jahren schließlich ließ er
       sich mit seiner Familie in Xinjiang nieder, um dort im Altai das „Koktokay
       International Ski Resort“ aufzubauen. Ganze 27 Pisten und fünf Gondellifte
       stehen mittlerweile in dem Hochgebirge nahe der mongolischen Grenze. „Man
       könnte denken, dass ich angebe, aber ich glaube tatsächlich, dass das
       Skiresort hier in Koktokay das beste in China ist, wenn nicht gar in ganz
       Asien“, sagt Huang Kezhong in einem kürzlich ausgestrahlten Beitrag des
       Staatsfernsehens.
       
       Und in der Tat bietet Xinjiang, die auf dem Papier autonome Region der
       Uiguren, klimatisch hervorragende Voraussetzungen für Wintersport: Im
       Gegensatz zu den Bergen im Pekinger Umland gibt es hier genügend
       Naturschnee, und auch die Temperaturen sind deutlich moderater.
       Dementsprechend logisch erscheint es, dass die Regierung die Gegend im
       Nordwesten des Landes als Ski-Paradies vermarktet. Über 70 Resorts soll es
       hier bereits geben. Sie alle hoffen auf den Boom, den Staatschef Xi
       Jinping versprochen hat: [1][Rund 300 Millionen Chinesen sollen zu
       Wintersportfans gemacht werden], in drei Jahren möchte man der weltweit
       größte Markt für die Branche sein.
       
       Doch für internationale Experten stellen die Marketingbemühungen in
       Xinjiang vor allem einen zynischen Versuch da, die Region von den
       drastischen Menschenrechtsverbrechen „weißzuwaschen“. In Xinjiang haben die
       Sicherheitsbehörden in den letzten acht Jahren einen offenen Polizeistaat
       aufgebaut, der sich gegen die dort beheimateten Uiguren richtet – einem
       Turkvolk mit vorrangig muslimischem Glauben.
       
       Seit der Jahrtausendwende gibt es unter einigen von ihnen separatistische
       Radikalisierungsbewegungen. Die Kommunistische Partei hat unter Führung von
       Staatschef Xi Jinping radikal reagiert: Laut Schätzungen von
       Menschenrechtsorganisationen sind Hunderttausende, möglicherweise über eine
       Million Uiguren in politische Umerziehungslager gesteckt worden, wo den
       Insassen laut Zeugenberichten körperliche Folter und ideologische
       Gehirnwäsche drohen. Wie aus geleakten Dokumenten hervorgeht, reichen
       harmlose „Vergehen“, um in die Lager gesteckt zu werden – etwa Anrufe aus
       dem Ausland oder der Besitz eines Korans. Zuletzt haben immer mehr
       Regierungen das Vorgehen gegen die Uiguren als „kulturellen Genozid“
       bezeichnet.
       
       ## Botschaft der glücklichen Harmonie
       
       Auch im eingangs erwähnten Gebirge Altai gibt es laut Recherchen der
       australischen Denkfabrik „Aspi“ mindestens ein Dutzend solcher Straflager.
       Sie sind durch Satellitenbilder gut dokumentiert. Im chinesischen Diskurs
       wird dies als „Erfindungen westlicher Medien“ zurückgewiesen. Die
       Gefängnisse werden als „Ausbildungszentren“ zur Deradikalisierung
       verharmlost.
       
       Im Zuge der Winterspiele versucht die Regierung weiter von den
       Menschenrechtsverbrechen abzulenken. Während der Fackelzeremonie trug unter
       anderem [2][eine uigurische Langläuferin die olympische Flamme], ihr
       sinisierter Name lautet Dinigeer Yilamujiang. Die Wahl der Athletin, die
       entgegen den Konventionen für Interviews während der Winterspiele nicht zur
       Verfügung stand, wird von vielen Aktivistengruppen als Machtdemonstration
       gedeutet. Die Botschaft dahinter lautet: Chinas 56 Ethnien leben in
       glücklicher Harmonie, auch die Uiguren prosperieren unter der Führung der
       Kommunistischen Partei.
       
       In dieselbe Kerbe schlägt die Marketingkampagne von Xinjiang als
       Wintersport-Paradies. Die staatlich kontrollierten Medien haben zuletzt gar
       behauptet, dass die Region der wahre Geburtsort des Skifahrens sei.
       Forscher hätten im Gebirge Altay Höhlenzeichnungen gefunden, die belegen,
       dass auf dem heutigen chinesischen Staatsgebiet die Leute schon vor 10.000
       Jahren auf zwei Brettern durch den Schnee gedüst sind. Wissenschaftlich
       sind solche Aussagen keineswegs haltbar. Doch ideologisch passen sie ins
       geschönte Bild, das die KP von der „Unruheprovinz“ vermitteln will.
       
       16 Feb 2022
       
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