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       # taz.de -- Geschichte der Neuzeit-Spiele: Olympia passt zu Peking
       
       > Dem IOC wird oft vorgeworfen, die olympische Idee verraten zu haben. In
       > Wirklichkeit haben sich autoritäre Ideologien und Olympia immer
       > gegenseitig gestützt.
       
   IMG Bild: Baron Pierre de Coubertin und weitere IOC-Mitglieder, 1896
       
       Das Wort „Verrat“ ist oft zu lesen, manchmal steht da auch „Missbrauch“
       oder „Ausverkauf“. Es geht um den „olympischen Gedanken“, der doch
       eigentlich ganz tofte sei, aber leider hätten die KP Chinas, der Kommerz
       oder Thomas Bach alles kaputt gemacht. Der dem französischen Baron Pierre
       de Coubertin zugeschriebene Satz „Dabei sein ist alles“ umreißt angeblich
       diese tolle Idee. Und tatsächlich, wenn man ganz verständnisvoll ist,
       könnte man ihn ja als bürgerliches Gleichheitsversprechen deuten. Alle
       dürften mittun.
       
       Doch das hätte nichts mit dem Olympismus zu tun. Als Coubertin und sein
       Internationales Olympisches Komitee (IOC) 1896 zum ersten Mal ihre Spiele
       ausrichteten, durfte kaum jemand dabei sein: Frauen durften nicht
       teilnehmen; Arbeiter, Schwarze oder andere People of Colour fehlten
       ebenfalls; Menschen aus Afrika oder Asien waren nicht geduldet; kaum Juden
       waren dabei und Menschen mit Behinderung fehlten ebenfalls.
       
       Wen die olympische Idee ansprach, war diese Gruppe: schwerreiche, weiße,
       christliche, heterosexuelle, männliche Großbürger oder Aristokraten aus
       Mitteleuropa oder Nordamerika. Eine tolle Truppe war das, die sich für die
       gesamte Gesellschaft hielt – und hält: Mittlerweile glaubt das IOC ja
       sogar, es stehe für eine bessere Weltgesellschaft, für Frieden und
       Völkerverständigung,
       
       Im 19. Jahrhundert hatte es in England, den USA, Frankreich und Deutschland
       eine ganze Menge [1][an Sportfesten] gegeben. Etliche trugen ein
       „olympisch“ im Namen, und meist nahmen an ihnen tatsächlich
       unterschiedliche Menschen teil: Männer und Frauen, Lokale und Fremde jeden
       Standes. In der Regel wurden die besten Leistungen mit Geld- oder
       Sachpreisen belohnt. Das IOC hingegen versuchte, den Sport exklusiv zu
       halten: ohne Proleten und Frauensleut’ und ohne die anderen Gruppen, die
       man in diesem Milieu hasste und die sich die viele Freizeit, die ein
       Gentleman hatte, auch gar nicht leisten konnten.
       
       ## Anachronismus Olympia
       
       Mit [2][der Arbeiterbewegung], den Erfolgen der Frauenbewegung, der
       Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts und mit der Erschließung des
       Weltmarkts drohte der Anachronismus namens Olympia jedoch unterzugehen. In
       den zwanziger und dreißiger Jahren gab es erfolgreiche Frauenolympiaden
       und Arbeiterolympiaden, und auch andere Gruppen, die beim IOC nicht gern
       gesehen waren, suchten eigene Wege, sich sportlich zu messen.
       
       In Frankreich hatte sich etwa ein „Internationales Sport-Komitee“
       gegründet, das eine demokratische Alternative zum IOC sein wollte. Und
       Sportarten wie Fußball, Motorsport, Tennis, Radsport oder Boxen hatten
       schon früh auf die feudale „Amateurregel“ verzichtet und sich professionell
       organisiert. Sie standen in offenem Konflikt zum IOC: Der Tennisweltverband
       brach etwa 1925 mit dem IOC [3][und boykottierte die Olympischen Spiele].
       Der Fußballverband Fifa, der sich schon seit 1924 mit dem IOC gezankt
       hatte, boykottierte die Spiele 1932 und organisierte ab 1930 lieber mit der
       lukrativen Fußball-WM sein eigenes Turnier. Die Olympischen Spiele drohten
       zur Resterampe für weniger wichtigen Sport zu werden.
       
       Da freute sich das IOC, als Regimes wie etwa das faschistische Italien mit
       Sport nationale Stärke demonstrieren wollten. Heroisierung von
       Männlichkeit, Ablehnung von Weltläufigkeit, die man durch Juden
       symbolisiert sah, das Propagieren eines „reinen Sports“ – das waren die
       Werte des IOC. Die Olympischen Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und in
       Berlin erschienen da als Rettung. Die NSDAP hatte zwar anfangs gegen
       Olympia opponiert, aber kaum an der Macht, kamen NS-Regime und IOC
       zusammen.
       
       Die Abschlusszeremonie mit dem Lichtdom von Albert Speer, die Statuen von
       Arno Breker, der olympische Fackellauf, [4][die Filme von Leni Riefenstahl]
       – all das begeisterte das IOC. Es gab Bestrebungen, die Winterspiele 1940
       wieder nach Garmisch-Partenkirchen zu vergeben, die NS-Organisation „Kraft
       durch Freude“ erhielt die Pierre-de-Coubertin-Medaille, und der Organisator
       der 36er-Spiele, Carl Diem, sollte in Berlin ein IOC-Institut aufbauen, um
       den olympischen Gedanken in seinem neuen deutschen Zuhause zu erforschen.
       
       Oft liest man vom „Missbrauch der olympischen Idee“ 1936 – in Wirklichkeit
       war es ein Schulterschluss von NS-Regime und IOC. Die Nazis konnten sich
       der Welt als sympathische Macht präsentieren, und das IOC rettete seinen
       Olympismus mit dem ganzen Brimborium von Fackel, Amateurstatut, Flagge –
       und Idee. Dieses Modell, nach dem um ein positives Image bemühte Staaten
       mit enormem Finanzaufwand Olympia ausrichten, hielt lange. 1960, 1964 und
       1972 nutzten die früheren Achsenmächte Italien, Japan und Deutschland
       Olympia, um sich [5][als moderne Gesellschaften zu präsentieren].
       
       Doch das Modell geriet in die Krise: 1980 musste das IOC die Spiele ans
       ungeliebte Moskau vergeben, 1984 gab es mit Los Angeles nur einen Bewerber,
       und der bedang sich aus, das Spektakel privatkapitalistisch zu
       organisieren. Zudem gab es mit den „Goodwill Games“, die vom damaligen
       CNN-Chef Ted Turner begründet wurden, endlich wieder eine bürgerliche
       Konkurrenz. Das IOC modernisierte sich, es hob das Amateurstatut auf und
       nahm vor allem durch den Verkauf der Fernsehrechte Milliarden Dollar ein.
       
       Mittlerweile agiert das IOC längst als Weltkonzern, doch seine Macht ist
       bedroht. Wie schon in den zwanziger und dreißiger Jahren ist es der
       Konkurrent Fußball, der das IOC herausfordert. Dass die Fifa offen mit dem
       Gedanken spielt, ihre Weltmeisterschaften alle zwei Jahre auszutragen,
       versteht das IOC zu Recht als Kampfansage. Und wie in den Dreißigern sucht
       sich das IOC mächtige staatliche Bündnispartner, denen das Angebot der
       olympischen Ideologie zupasskommt.
       
       Dass die Spiele derzeit in Peking stattfinden und dass sich Katar um die
       Sommerspiele 2032 bemüht, ist kein Missbrauch, kein Verkauf und kein Verrat
       der olympischen Idee. Es ist ihre Praxis.
       
       18 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Geschichte-des-modernen-Sports/!5716063
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitersport_in_Deutschland
   DIR [3] /Olympia-Historie/!5759239
   DIR [4] /Spaete-Ermittlungen-zum-NS-Kinokomplex/!5722694
   DIR [5] /Die-Deutschen-und-ihr-Olympia-1972/!5129803
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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