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       # taz.de -- Chinesische Goldgewinnerin aus den USA: Irre Drehungen
       
       > Die aus den USA kommende Freestylerin Eileen Gu gewinnt Gold für China.
       > Danach pariert Pekings Vorzeigefrau auch alle Identitätsfragen locker.
       
   IMG Bild: Premiere: Eileen Gu zeigt erstmals bei Olympia den 1620er-Sprung mit viereinhalb Drehungen
       
       „Es ist ein Wunder“, meinte der Sprecher an der Schanze im Westen Pekings,
       an der Eileen Gu gerade einen Sprung in den Schnee gezaubert hatte, den sie
       noch nie zuvor gezeigt hatte. Auch wenn für den Mann alles, was er bei
       diesem Event der Freestyle-Ski-Athletinnen gesehen hat, wunderbar,
       herausragend oder historisch war, der Gute-Laune-Sprecher könnte recht
       haben.
       
       Denn eigentlich hatte die Französin Tess Ledeux den Wettkampf schon
       gewonnen, als zum dritten Durchgang gebeten wurde. Sie hatte zwei irre
       Kunstsprünge, die zuvor noch keine Frau gezeigt hatte, absolviert. Weil nur
       die zwei besten der drei Sprünge im Finale gewertet werden, schien die
       Siegerin vor Sprung drei schon festzustehen. Dann zeigte Eileen Gu ihren
       1620er-Sprung. Viereinhalb Drehungen, die sie stand, als wäre das keine
       Premiere gewesen. Ein Wunder. So viel zum Sport. Nun zur Siegerin.
       
       Die heißt Eileen Gu, ist 18 Jahre jung und kommt aus den USA. Sie heißt
       auch Gu Ailing und ist Chinesin. Dass sie der Hingucker dieser Spiele
       werden würde, stand schon vorab fest. Nicht nur in China, für deren
       Olympiateam sie antritt, war ihr Gesicht beinahe omnipräsent. Sie fährt
       nicht nur Ski, sie modelt auch, war auf dem Cover der chinesischen Ausgabe
       der Vogue, ist Werbepartnerin von Tiffany und Louis Vuitton und eine der
       Athletinnen, die vom Limo- und Funsportimperium Red Bull gefeaturt werden.
       
       Auch weil auf dessen Plattform im Netz eine sechsteilige Dokuserie über
       Eileen Gu lief, konnten schon vor den Spielen alle wissen, was die Frau
       kann und will. Die Antwort ist einfach: alles und alles. Sie war eine
       Superschülerin, die nur drei statt vier Jahre für die Highschool gebraucht
       hat und war dabei so gut, dass sie demnächst in Stanford studieren darf.
       Klavierspielen kann sie auch noch. Mit ihrer Mutter und ihrer Oma, bei
       denen sie in den USA lebt, spricht sie Mandarin.
       
       ## Wohlüberlegte Einblicke
       
       Was sie für ihr Publikum im Westen als Geheimsprache bezeichnet, nennt sie
       hier in Peking, wo der chinesische Teil ihrer Familie herkommt, ihre
       Muttersprache. [1][Auf Instagram dokumentiert sie ihr Leben], so normal,
       wie es ihr eben vorkommt. „Ich führe das Leben eines 18-jährigen Mädchens“,
       hat sie nach ihrem Sieg gesagt. Wohlüberlegte Einblicke darin gibt sie in
       ihren Instagram-Storys.
       
       Die sendet sie auch aus dem Olympischen Dorf. Man kann sie kichern sehen
       beim Anprobieren ihrer chinesischen Olympiakleidung oder ihren Stolz sehen,
       dass sie wieder mal auf der Titelseite eines Modemagazins war. Was dort
       nicht vorkommt, ist der Kampf, der um sie tobt. In den USA werden vor allem
       über die rechte Medienschleuder Fox Vorwürfe laut, sie habe ihr Heimatland,
       das ihr die ganze Karriere erst ermöglicht habe, regelrecht verraten, als
       sie sich für das chinesische Team entschieden hat. US-Sponsoren, die sie
       unterstützen, werden kritisiert. Und in China vergeht kein Tag, an dem sie
       nicht als typische Pekingerin zu sehen ist, die Pekingente mag und sich
       schon freut, wenn sie ihre Verwandtschaft in einem stinknormalen Pekinger
       Wohnblock besuchen darf.
       
       Was ist sie nun, Chinesin oder Amerikanerin? Das war eine der Fragen, die
       auf der Pressekonferenz nach ihrem irren Sieg, den erstaunlich viele
       chinesische Zuschauer auf den Rängen der futuristischen Schanze inmitten
       eines ehemaligen Stahlwerks bejubeln durften, immer wieder gestellt wurde.
       Mit fast schon bewundernswerter Sicherheit beantwortet sie diese. Sie habe
       doch schon so oft erzählt, dass sie 20 bis 30 Prozent eines Jahres in China
       sei. Und wie dankbar sie sei für all das, was ihr das amerikanische
       Sportsystem ermöglicht habe. Natürlich sei sie auch froh darüber, dass sie
       jetzt von den Chinesen eine so große Unterstützung erhalte. Nationalitäten
       sollten im Sport aber eh keine so große Rolle spielen, meinte sie. „Sport
       soll vereinen“, sagte sie. Das sei ihre Botschaft.
       
       So etwas hört IOC-Chef Thomas Bach gewiss gern, der doch tatsächlich
       [2][zusammen mit Peng Shuai zum Wettkampf gekommen war], jener
       Tennisspielerin, um die sich ein großer Teil der Sportwelt sorgt, seit sie
       im November öffentlich gemacht hatte, von einem hohen KP-Funktionär
       vergewaltigt worden zu sein. Als hätte es Eileen Gu nicht schon schwer
       genug mit ihrem Balanceakt zwischen der US-Funsportszene und ihrer
       chinesischen Identität. Aber auch Fragen dazu meistert sie, ohne groß
       nachdenken zu müssen. Toll, dass eine Sportlerin aus einer so großen
       Sportart wie Tennis mal vorbeischaue, sagte sie und dass sie froh sei, wenn
       Peng Shuai glücklich und gesund ist. Zurück zum Sport.
       
       8 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/eileen_gu_/?hl=de
   DIR [2] /Causa-Peng-Shuai/!5830634
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
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