URI: 
       # taz.de -- Sechs Geschichten übers Salz: Nimm das, Karl Lauterbach!
       
       > Unser Gesundheitsminister isst möglichst salzfrei – und verpasst so eine
       > Menge. Denn das weiße Gold ist der Stoff, aus dem Geschichten sind.
       
   IMG Bild: Zum Frühstücksei ist das Salz das Salz in der Suppe
       
       ## Dialektik auf der Zunge
       
       Eigentlich habe ich zum Salz keine besondere Beziehung. Okay, ungesalzene
       Nudeln würde ich jetzt nicht unbedingt essen, und auch Avocado schmeckt mir
       mit Salz deutlich besser als ohne. Das reicht jedoch nicht, um ein
       kulinarisches Plädoyer für das weiße Streuzeug zu halten.
       
       Bei einer Sache werde ich dann aber doch leidenschaftlich: wenn es um das
       kongeniale Paar Salz und Pfeffer geht. So viel Binarität muss sein! Salz
       und Pfeffer, das ist wie Beatles und Stones, Bayern und Dortmund oder Katze
       und Hund. Zwei, die zusammengehören, wenn auch weniger als Kontrahenten,
       vielmehr als komplementäres Duo. Das Yin und Yang der Küche des kleinen
       Mannes.
       
       Denn lässt man das Salz weg, erscheint plötzlich auch dessen kleiner
       scharfer Bruder, der Pfeffer, völlig sinnlos. Erst Salt'n'Pepper gemeinsam
       bringen die richtige Portion Dialektik auf die Zunge. Ohne Pfeffer ist die
       natürliche Ordnung gestört, ohne Salz gerät die Welt völlig aus dem
       Gleichgewicht. Und ist sie das nicht wahrlich schon genug? Jens Uthoff
       
       * * * 
       
       ## Glücksmoment beim Dealer
       
       Es gibt diese Momente aus der Kindheit, die man vor dem inneren Auge
       glasklar abspielen kann: Ich bin fünf Jahre alt, wir spazieren über den
       Berliner Teufelsberg, als die Mutter eines Freundes eine knallorange
       Packung Katjes Katzenpfötchen aus ihrer Jackentasche zieht. Schnell sagt
       sie: „Ich glaub, das schmeckt euch Kindern nicht.“ Ich trotze der Warnung
       und schiebe mir eine Pfote in den Mund. Es ist Liebe.
       
       Heute sind mir die Supermarkt-Lakritzsorten längst zu soft. Es muss so
       salzig sein, dass die Bezeichnung Süßigkeit vollkommen unpassend erscheint.
       Regelmäßig besuche ich daher den Lakritzdealer meines Vertrauens, er
       importiert seinen Stoff aus Holland, Dänemark oder Island. Beim Anblick der
       gefüllten Gläser schießt mir automatisch das Wasser in den Mund. So viel,
       dass es mir fast peinlich ist – aber merkt ja keiner.
       
       Wenn ich mit der kleinen Schippe die verschiedenen Taler, Fische und Sterne
       in das Tütchen schütte, fühle ich mich wie früher am Süßigkeitenstand auf
       dem Straßenfest. Beim Verlassen des Ladens schiebe ich mir sofort einen
       „Salzigen Zwilling“ in den Mund. Das sind die besten: halb Frucht, halb
       Lakritz, ummantelt von einer Schicht Salmiaksalz. Es prickelt auf meiner
       Zunge. Ich grinse. Sophie Fichtner
       
       * * * 
       
       ## Salzfund tief im toten Tal
       
       Zu den Top-Ten-Erlebnissen meines bisherigen Reiselebens gehört eine
       durchzeltete Nacht [1][im Death Valley]. Vom Campingplatz hatte ich einen
       herrlichen Blick auf das Tal und den Sternenhimmel. Am nächsten Morgen sah
       ich einen Wegekuckuck, also einen Roadrunner, der überraschend klein ist,
       wenn man ihn sonst nur aus dem Zeichentrickfilm kennt.
       
       Nachdem ich das Zelt abgebaut hatte, fuhr ich mit meinem Mietwagen einige
       der weitläufig im Nationalpark verteilten Sehenswürdigkeiten ab. Am
       Badwater Basin stieg ich aus und latschte mit den anderen Touristen ein
       bisschen durch die tiefste Stelle der USA, die von einer Salzschicht
       bedeckt ist. Jenseits der Fußspuren knibbelte ich ein wenig davon ab. Erst
       verschämt – leave no trace und so –, nach und nach immer hemmungsloser, bis
       ich eine ordentliche Handvoll zusammenhatte. Kurz danach regnete es dann
       kurz, was im Death Valley quasi nie passiert. Aber 2016 war ein
       El-Niño-Jahr, und da ist alles anders. Es wuchsen sogar ein paar Blumen.
       Magisch!
       
       Das Salz nahm ich mit nach Deutschland, und seitdem steht es in einer
       US-Aspirin-Plastikampulle in meiner Küche. Ich warte auf den perfekten
       Moment, es einzusetzen, aber er kommt nicht. Vielleicht, wenn mal wieder El
       Niño ist. Michael Brake
       
       * * * 
       
       ## Weihnachten am Mittelmeer
       
       Unscheinbar lag es zwischen den anderen Plätzchen, hell und rund mit ein
       paar dunklen Sprengseln darin. Ich griff zu – und erstarrte. Statt Vanille
       oder Zimt schmeckte ich Süßes und Salziges gleichzeitig, dazu etwas
       Würziges, Rosmarin. Was für ein Butterplätzchen! Es war, als hätte ich
       einen Weihnachtsmarkt besuchen wollen, und stünde nun plötzlich am
       Mittelmeer.
       
       Ich besorgte mir das Rezept, knetete Butter, Zucker, Ei und Mehl und zupfte
       Rosmarin. Den Teig rollte ich in einer Mischung aus Zitrone, Zucker und
       bretonischem Fleur de Sel, das sanfter sein soll als normales Salz. Schwer
       zu sagen, wo wie viel davon kleben blieb. Und so schmeckten manche
       Plätzchen am Ende kaum salzig, andere dafür umso mehr.
       
       Die Reaktionen waren entsprechend unterschiedlich. Die Kinder wollten gar
       nichts davon. „Oh, interessant“, sagte eine Kollegin. Ich selbst aß Keks um
       Keks und hoffte auf eine erneute Geschmacksexplosion in meinem Mund. Doch
       die blieb aus. Bald konnte ich den Salzteig nicht mehr sehen.
       
       Nur meine Tante wirkte ehrlich begeistert, sie hatte wohl genau die richtig
       salzig-süße Mischung erwischt und fragte nach dem Rezept. Vielleicht kriegt
       sie es ja besser hin. Antje Lang-Lendorff
       
       * * * 
       
       ## Romantik nur im Aroma
       
       Es sollte das perfektes Dinner werden. Die Ravioli aus einem Laden, der sie
       mit Liebe selbst zubereitet. Die Sitzgelegenheit im Park, die noch von der
       Abendsonne beleuchtet wird. Meine Begleitung, die es kaum abwarten kann,
       sich gleich über das Luxus-Take-out herzumachen. Und dann noch dieses
       spezielle Salz, von dem ich mittags 100 Gramm für stolze 13 Euro in einem
       Souvenirladen in Rom gekauft hatte: Trüffelsalz, eine Mischung aus
       Meersalz, 2,4 Prozent Trüffel und „Aroma“, was immer das bedeuten mag.
       
       Ich öffne vorsichtig das Glas. Inhaliere den intensiven Duft. Seufze.
       Greife eine Prise und verteile sie über meine Ravioli. Nehme einen Bissen.
       Und schmecke: nichts. Also okay, ich schmecke die Ravioli, die Soße, das
       Salz – aber eben nicht den Trüffel. Ich dippe mit dem kleinen Finger direkt
       in die Oberfläche des Salzes und lecke ihn ab. Das Aroma ist intensiv, aber
       wieder: kein Anzeichen von Trüffel. Schade.
       
       Seitdem steht das Salz in einer Ecke meiner Küche. Wird es mal geöffnet,
       dann voller Hoffnung, nur um jedes Mal aufs Neue enttäuscht zu werden. Nur
       meine Nase hat etwas davon. Immerhin. Shoko Bethke
       
       * * * 
       
       ## Koscher und korrekt am Herd
       
       Man kann arg in Schlamassel geraten, wenn man US-Rezepte nachkochen will.
       Da ist die Hürde der Mengenangaben: Das Pfund ist ein anderes als unser
       Pfund, die Unze gibt es für flüssige und feste Dinge, und dann sind da noch
       die unklaren „Cups“ und „Spoons“. Das größte Rätsel aber war für mich lange
       die Angabe „kosher salt“. Es steht fast in jedem Rezept.
       
       Blöd, wie man ist, übersetzt man das heutzutage im politisch-korrekten
       Kontext, fragt sich aber dann, warum selbst bei Schwarzer Südstaaten-Küche
       oder mexikanischen Gerichten Salz zum Einsatz kommen soll, das jüdischen
       Speisegesetzen entspricht. Die Lösung: Es ist ein Salz, das einst verwendet
       wurde, um Fleisch koscher zu machen. Dafür muss alles Blut entzogen werden,
       und um das sicherzustellen, pökelte man das Fleisch in grobem Salz, das
       sich nicht so schnell auflöst, wenn es Flüssigkeit aufsaugt.
       
       Hergestellt wird es durch Verdampfung, dabei entstehen größere kristalline
       Strukturen, wie Flocken. Sie kleben nicht so an den Fingern, das ist
       praktisch. Allerdings salzen sie höchst unterschiedlich. Aber wenn die
       Mengenangaben eh durcheinandergeraten sind, ist das dann auch egal. Jörn
       Kabisch
       
       19 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ultramarathon-in-Kalifornien/!5063354
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Shoko Bethke
   DIR Michael Brake
   DIR Sophie Fichtner
   DIR Jörn Kabisch
   DIR Antje Lang-Lendorff
   DIR Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
   DIR Salz
   DIR Genuss
   DIR Kochen
   DIR Salz
   DIR Genuss
   DIR Brei
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Genuss
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Saline Luisenhall: Salz aus der Tiefe
       
       Weil Jörg Bethmann das Göttinger Familienunternehmen gerettet hat, wird
       hier weiter Salz gewonnen wie vor 150 Jahren. Und in der Sole kann man
       baden.
       
   DIR Chinesisches Essen: Streetfood zum Frühstück
       
       Unsere Autorin hat in China fast täglich Jianbing-Wraps auf der Straße
       gegessen. Die Sehnsucht und Nostalgie zog sie in eine Fußgängerzone in
       Essen.
       
   DIR Kulinarische Urlaubsentdeckungen: Sensorische Souvenirs
       
       Reisen bildet, auch den Mund. Und manchmal sind wir geradezu schockverliebt
       in neue Spezialitäten. Sechs heiße kulinarische Urlaubsflirts.
       
   DIR Corona-Politiker Karl Lauterbach im Porträt: Viel Pfeffer, kein Salz
       
       Der Sozialdemokrat ist omnipräsent. Karl Lauterbach spricht auf allen
       Kanälen und kennt derzeit nur ein Thema: die Pandemie. Soll man auf ihn
       hören?
       
   DIR Fünf Annäherungen an Teig: Kampf und Krampf mit dem Mampf
       
       Einen Teig gut zuzubereiten gehört zu den Königsdisziplinen in der Küche.
       Fünf taz-Teigexpert:innen über die Gos und No-Gos beim Backen.