URI: 
       # taz.de -- Subventionen für den Klimaschutz: Prämie für kein Auto
       
       > Für ein Umdenken weg vom Auto braucht es einen Anreiz. Denkbar ist eine
       > Abschaffprämie. Vorläufig wird belohnt, wer am Auto festhält.
       
       Verkehrswende rückwärts: mehr Autos, mehr PS und mehr Straßen. Die
       Pendelstrecken werden länger und das Fahrzeuggewicht schwerer. Findet die
       Autonation Deutschland einen Weg zum Weniger? Es sollte 2.000 Euro vom
       Staat geben, wenn man sein Auto abschafft. [1][Verkehrsexperten vom
       Wuppertal Institut] gehen davon aus, dass viele Menschen in urbanen Räumen
       eine „Abschaffprämie“ zum Anlass nähmen, zunächst für ein Jahr den Kauf
       eines neuen Wagens aufzuschieben und anschließend auch ohne Privatauto
       glücklich zu leben.
       
       Vor einigen Jahren hatte ich eine interessante Begegnung im Zug. Mir
       gegenüber saß ein Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Wir kamen ins
       Gespräch und nach einer Weile fragte ich: „Warum fahren ausgerechnet Sie
       (als Mann der Autobranche) mit der Bahn, sogar mit einer BahnCard 100?“
       Seine Antwort: „Vor einigen Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen.
       Daraufhin meinte der Chirurg, ich könne jetzt ein Jahr kein Auto fahren,
       ich war auf die Bahn angewiesen.
       
       Anschließend konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit dem Auto zu
       fahren. Wenn ich jetzt nach Hause komme, sind die Berichte geschrieben, die
       Listen fertig und ich habe meistens Feierabend. Früher musste ich mich dann
       noch Stunden an den Schreibtisch setzen. Deswegen ist es für mich auch
       nicht so schlimm, wenn es mal etwas später wird mit der Bahn.“
       
       So wie der Geschäftsmann haben alle Menschen Gewohnheiten und Routinen. Als
       Routine bezeichnen Psychologen das, worüber man nicht mehr nachdenkt, nicht
       mehr nachdenken muss. Das macht sie so nützlich. Sie entlasten und
       ermöglichen es, dass die Menschen sich auf das konzentrieren können, was
       eine bewusste Entscheidung verlangt. Anders wäre der Alltag gar nicht zu
       bewältigen. Sie lenken das Fahrzeug, ohne die einzelnen Handlungsabläufe zu
       planen. Und sie erledigen ihre Einkäufe, Arbeitswege und vieles mehr mit
       dem Auto, einfach, weil sie es immer so gemacht haben.
       
       ## Weg von der Gewohnheit
       
       Die Umstellung auf ein Leben ohne eigenes Automobil wird als radikal
       empfunden – auch von weiten Teilen der grünen Bewegung. Es ist
       sozialkulturell und mental fest verankert. Es ist einfach sehr bequem –
       meistens. Und man hat seine Privatsphäre. Stau auf der Autobahn, nervige
       Parkplatzsuche, steigende Spritpreise und Parkplatzgebühren reichen
       offenbar nicht aus, um einen Wandel der Mobilitätskultur einzuleiten.
       
       Die Frustrationstoleranz ist enorm. Der Autobestand nimmt kontinuierlich
       zu, inzwischen sind [2][mehr als 48 Millionen] und damit knapp sieben
       Millionen Pkw mehr auf Deutschlands Straßen als 2010. Der Carsharing-Trend
       hat diese Entwicklung nicht umgekehrt.
       
       Doch was könnte ein Umdenken auslösen? So wie gestresste Menschen nach
       einem Herzinfarkt ihr Leben neu ordnen, erging es dem Geschäftsmann aus der
       Automobilindustrie. Der komplizierte Fußbruch veranlasste ihn, über
       Alternativen nachzudenken, die er vermutlich sonst nie erwogen hätte. Er
       fährt mit der Bahn! Es braucht also einen kräftigen Impuls von außen, um
       alte Gewohnheiten infrage zu stellen.
       
       Vorläufig scheint die Bundesregierung nicht daran interessiert zu sein,
       dass die Leute Abschied vom geliebten Fahruntersatz nehmen. Im Gegenteil
       verschenkt Berlin Milliarden, damit sie ihre automobilen Gewohnheiten
       beibehalten. In Deutschland gibt es viel Geld vom Staat, wenn man einen
       Dienstwagen fährt, wenn man einen Diesel fährt, wenn man [3][E-Auto] fährt,
       wenn man ein [4][Hybrid-Auto] kauft oder wenn man zur Arbeit pendelt.
       
       ## Klimaschädliche Subventionen
       
       Insgesamt fördern die Behörden klimaschädliches Mobilitätsverhalten mit
       knapp [5][30 Milliarden Euro], bilanziert das Umweltbundesamt. Nur wenn man
       sein Auto abschafft, dann gibt es kein Geld. Warum gibt es keine Förderung
       für das Naheliegende, wo es doch der effektivste Beitrag zu Klimaschutz und
       Verkehrswende wäre, den man leisten kann. Funktionieren würde es so: Wer
       sein privates Auto abschafft und mindestens für ein Jahr autofrei bleibt,
       bekommt 2.000 Euro.
       
       Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es für die Verschrottung 2.500 Euro, heute
       bekommen Käufer eines E-Autos bis zu 9.000 Euro. Der Bund zahlt, die Städte
       können die Prämie mit eigenen „Incentives“ verstärken: etwa durch ein
       [6][günstiges Ticket für den Nahverkehr, einen Zuschuss für E-Bike oder
       Cargobike] und – ganz wichtig – besondere Angebote für Carsharing. Denn die
       Umstellung fällt leichter, wenn sich ein Gemeinschaftsauto in unmittelbarer
       Nähe befindet.
       
       Es gab Modellprojekte wie etwa „Ein Monat ohne Auto“ oder „autofasten“.
       Doch zum einen war der Zeitraum viel zu kurz, denn so schnell werden
       Alternativen zum Getränkeholen, Kinderwegbringen und mehr nicht zur
       Routine. Zum anderen stand der Privatwagen bei den Testhaushalten weiter
       vor der Tür. Nach einem Monat war dann eher klar: ohne ist es extrem
       umständlich und der Wagen muss bleiben. Ein Selbstversuch über ein Jahr
       wäre hingegen lang genug, um neue Routinen zu etablieren.
       
       Diese innovative Form einer Abwrackprämie könnte als Milliardenprogramm die
       Transformation der Mobilitätskultur initiieren. Wenn man die Prämie auf
       2.000 Euro festlegt, würden bei einem Gesamtvolumen von vier Milliarden
       Euro zwei Millionen Autos abgeschafft. Vorausgesetzt freilich, es finden
       sich genügend Interessenten.
       
       ## 2.000 Euro Abwrackprämie
       
       Der Zeitpunkt ist günstig, aktuell wünschen sich knapp 80 Prozent der
       Bürgerinnen und Bürger weniger Autos in ihrer Gemeinde und rund 40 Prozent
       können sich vorstellen, zukünftig auf ein eigenes Auto zu verzichten, wie
       eine Befragung aus dem Jahr 2019 ergab. Demnach haben Millionen Menschen
       schon einmal darüber nachgedacht, ihr Auto abzuschaffen. Der naheliegende
       Moment für eine Umsetzung ist, wenn man seinen alten Wagen abstoßen will
       und einen neuen anschaffen.
       
       Der Kaufpreis macht beim Privatwagen den größten Anteil aus. Anschließend
       ergeben sich nur die Kosten für den Unterhalt, und in der Regel sehen die
       Nutzenden allein den Spritpreis. Im Vergleich dazu erscheinen Bus und Bahn
       dann sehr teuer, ebenso wie Carsharing, weil dort mit jeder Fahrt die
       gesamten Unkosten abgerechnet werden. Aus dem Besitz des Fahrzeugs ergibt
       sich regelrecht der ökonomische Zwang, es auch zu nutzen.
       
       Die Rahmenbedingungen für eine Abschaffungsprämie sind günstig, denn die
       politische Debatte zur Verkehrswende nimmt an Fahrt auf. Der Bund hat seine
       Investitionen in die Bahn deutlich erhöht, viele Städte verbessern ihre
       Nahverkehrs- und Sharingangebote, erweitern ihre Radwegenetze, und vieles
       mehr. München, Hamburg und Berlin haben mit dem Rückbau von Parkflächen
       begonnen. Parken wird teurer und der Treibstoffpreis steigt.
       
       All das hat bisher nicht bewirkt, dass sich nennenswerte Teile der
       automobilen Stadtgesellschaft vom Privatauto trennen. Hier setzt die Prämie
       an. Sie soll eine gesellschaftliche Debatte in Gang bringen. Die Zahl der
       zugelassenen Pkw muss sich verringern – vor allem in den Städten, da man in
       vielen ländlichen Räumen auch langfristig auf ein Auto angewiesen sein
       wird. Es ist ein kaum vorstellbarer Kraftakt, die Autoflotte auf
       elektrische Motoren umzustellen, betrieben mit grünem Strom.
       
       ## Immer mehr Autos und Straßen
       
       Das ganze Vorhaben hängt von der Bereitschaft unserer Nation ab, ihre
       Mobilitätsroutinen zu überdenken. Verschiedene Klimaschutzszenarien gehen
       von einem notwendigen Pkw-Rückgang um 30 bis 50 Prozent auf 25 bis 35
       Millionen aus. Die Besitzquote stieg kontinuierlich auf zuletzt [7][580 Pkw
       pro 1.000 Einwohner], dabei müsste die Entwicklung in die entgegengesetzte
       Richtung gehen. Das Umweltbundesamt schlägt als Zielwert für Großstädte 150
       Pkw auf 1.000 Einwohner vor.
       
       Nun lässt sich fragen, ob es angemessen ist, den Autobesitzern noch mehr
       Geld hinterherzuwerfen. Wer hingegen nie ein Auto besessen hat oder bereits
       vor fünf Jahren auf Carsharing umgestiegen ist, bekommt nichts. Stimmt, das
       ist ungerecht, aber bei der Einrichtung von Anreizen nicht zu vermeiden.
       Politik ist zukunftsorientiert. Wer vor Einführung des Elterngeldes Kinder
       bekam, ist leer ausgegangen ebenso wie die Käufer eines Elektroautos.
       
       Eine ähnlich seltene wie verschwenderische und populistische Ausnahme war
       die 2014 beschlossene, rückwirkende Auszahlung der Mütterrente, eine
       grundsätzlich zu befürwortende Anerkennung von Kindererziehungszeiten für
       Kinder, die vor 1992 geboren wurden.
       
       Deutschland war mal vorbildlich beim Klimaschutz. Dass es jetzt nicht mehr
       vorangeht, liegt nicht zuletzt am Versagen der Verkehrspolitik und einem
       Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der ein zigmal untersuchtes
       Tempolimit mit nachweislich positiven Effekten für Klima und Todesraten als
       „gegen jeden Menschenverstand“ bezeichnete, unterstützt vom
       [8][Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, der Luisa Neubauer], Aktivistin der
       Fridays for Future, empfahl, sie solle auch mal über die „Seele des Autos“
       reflektieren.
       
       Das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 die Emissionen im Sektor
       Verkehr um 40 Prozent zu senken, ist nicht annähernd zu erreichen. Die
       Emissionen liegen heute fast auf dem gleichen Niveau wie 1990. Dennoch
       stehen die Zeichen auf Wachstum, mehr Straßen, mehr Autos, mehr Lkw, mehr
       Logistikzentren. Diese für Klima, Landschaft und Gesundheit desaströse
       Entwicklung zu stoppen, ist inzwischen sogar verfassungsrechtlich geboten.
       Die Antriebswende ist auf dem Weg, die Mobilitätswende steht noch aus.
       
       In Verbindung mit den avisierten Investitionen in nachhaltige
       Infrastrukturen könnte eine Abschaffprämie als förderpolitische Innovation
       der Anfang sein für einen Wandel unserer Mobilitätskultur, einer mentalen
       Transformation. Damit wir den jungen Menschen nicht die Zukunft klauen. Es
       muss ein Ruck gehen durch Autodeutschland.
       
       20 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/7453
   DIR [2] https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/Fahrzeugbestand/fahrzeugbestand_node.html
   DIR [3] /Studie-zu-Elektroautos/!5788382
   DIR [4] /Foerderung-von-Plug-In-Hybriden/!5782203
   DIR [5] https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland#umweltschadliche-subventionen
   DIR [6] /Studie-ueber-teure-Autos/!5827537
   DIR [7] https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/mobilitaet-privater-haushalte#-hoher-motorisierungsgrad
   DIR [8] https://www.merkur.de/politik/hart-aber-fair-ard-gast-empoert-mit-satz-zu-autos-zuschauer-auf-barrikaden-zr-11913629.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Kopatz
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Erderwärmung
   DIR Podcast „Vorgelesen“
   DIR GNS
   DIR Auto
   DIR Deutsche Umwelthilfe
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Energiewende
   DIR Berlin autofrei
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Verkehrswende
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR DUH will teureres Anwohnerparken: Kein Parken für 8 Cent täglich
       
       Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert die vielerorts niedrigen Preise für
       eine Jahresvignette. Anwohnerparken soll mindestens 1 Euro am Tag kosten.
       
   DIR Leben ohne Auto: Kommt Zeit, kommt Rad
       
       Mit drei Kindern und ohne PKW ist unsere Autorin in den Wald gezogen. Geht
       das – ein Leben auf dem Land ohne Auto?
       
   DIR Energiesparen gegen Putin: Kenn dein Tempolimit
       
       Die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas offenbart die Versäumnisse der
       Energiewende. Kurzfristig würde ein Tempolimit den Verbrauch schnell
       senken.
       
   DIR Gespräch mit der Zivilgesellschaft: „Wir sind Antreiber, ganz klar“
       
       Verkehr, Klima, Umwelt – hier hat Rot-Grün-Rot einiges vor. Aber reicht
       das? Nein, meinen VertreterInnen von Gruppen, die dem Senat Druck machen.
       
   DIR Umweltverbände empört: Scholz für schwache CO2-Grenzwerte
       
       Der Kanzler will Grenzwerte für Autoemissionen nicht verschärfen.
       Greenpeace spricht von einem „Armutszeugnis für selbst ernannten
       Klimakanzler“.
       
   DIR Verkehrswende in Osnabrück: Weniger Autos, mehr Straßenbahn
       
       1960 hat Osnabrück seine Straßenbahn abgeschafft. Jetzt lässt die
       niedersächsische Stadt prüfen, ob es sich lohnt, eine neue zu bauen.