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       # taz.de -- Suche nach Long-Covid-Therapien: Erst am Anfang
       
       > Jede:r zehnte Infizierte erkrankt an Long-Covid. Bisher können nur
       > Symptome gemildert werden – die Forschung bemüht sich um Erkenntnisse.
       
   IMG Bild: Atemübungen in der Reha-Klink: In Bad-Rothenfelde werden Long-Covid-Patient:innen behandelt
       
       Berlin taz | Für viele Menschen war der vergangene Mittwoch ein guter Tag.
       Endlich, so sieht es nach der jüngsten Bund-Länder-Konferenz zu Corona aus,
       ist das Ende nah: Freedom Day, [1][Lockerungen], die Aussicht auf ein Leben
       in Normalität. Was eine Mehrheit mit Freude erfüllt, ist für andere noch in
       weiter Ferne. Denn für etliche ist Corona noch lange nicht zu Ende. Weil
       ihre Krankheit einfach nicht endet.
       
       Zwei Wochen, in schweren Fällen drei bis vier – so lange würde eine
       Infektion mit dem neuen Coronavirus etwa dauern –, dachte man zu Beginn der
       Pandemie. Doch während der Erreger sich über die Welt ausbreitete, begannen
       sich Berichte von Patient:innen zu häufen, die es anders erlebten. Sie
       wurden nicht mehr gesund, bekamen zum Teil neue Symptome hinzu.
       
       Es waren die Patient:innen selbst, die den Begriff „Long Covid“
       prägten. Im Mai 2020 berichtete der britische Infektionsmediziner [2][Peter
       Garner in einem Blog] des British Medical Journal, was Covid-Infizierte
       weltweit feststellten: wie sie weit über vier Wochen hinaus mit schwerer
       Erschöpfung, Geschmacksverlust, Schmerzen, einem vernebelten Gehirn
       kämpften. Dass sie nicht, wie von ihnen erwartet wurde, nach wenigen Wochen
       an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten.
       
       Manche sind bis heute nicht in ihr altes Leben zurückgekehrt, aber eine
       Sache hat sich seit dem ersten Pandemiejahr immerhin geändert: Long Covid
       ist unter seriösen Mediziner:innen inzwischen eine anerkannte
       Erkrankung, es gibt Forschung zu den Ursachen, zu Therapien, und die
       Betroffenen erhielten nach Möglichkeit eine gezielte medizinische
       Betreuung.
       
       ## Andauernd erschöpft
       
       Das liegt nicht zuletzt an der Häufigkeit, mit der Corona-Infektionen und
       damit auch die Spätfolgen mittlerweile auftreten. Etwa jede:r zehnte
       Coronapatient:in bleibt über die akute Infektion hinweg krank. Ab
       vier Wochen nach Infektion bis drei Monate nach der akuten Erkrankung
       sprechen Mediziner:innen dabei von Long Covid oder post-akuten
       Covid-19-Folgen (Englisch: PICS abgekürzt). Dauern die Beschwerden an, wird
       aus Long Covid ein Post-Covid-Syndrom.
       
       Die Mehrheit erholt sich nach einiger Zeit zwar wieder, aber ein Teil der
       Patient:innen bleibt sehr lange oder chronisch krank, zumeist mit dem
       Leitsymptom einer andauernden Erschöpfung oder Fatigue. Sie und die
       sogenannte Post-exertionelle Malaise (PEM) gehören zu den prominentesten
       Symptomen von Long Covid. Viele Patient:innen berichten zudem von
       Problemen mit der Atmung, über Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, können
       nicht denken, nicht riechen und auch nicht schlafen. Manche haben
       Verklumpungen im Blut, die die Gefäße verstopfen, andere Haarausfall oder
       Ekzeme. Und es zeichnen sich weitere, zum Teil schwerwiegende
       Komplikationen ab.
       
       So hat eine Arbeit in [3][Nature Medicine ] gerade gezeigt, dass
       Long-Covid-Patient:innen ein stark erhöhtes Risiko für praktisch alle
       Herzkreislaufleiden wie Schlaganfälle, Herzinfarkte, Herzmuskelentzündungen
       haben. Zehn Prozent der Post-Covid-Fälle gehen vermutlich in ein
       Chronisches Erschöpfungssyndrom, ME/CFS abgekürzt, über, das auch nach
       anderen Virusinfektionen auftritt, zum Beispiel mit dem Epstein-Barr-Virus.
       CFS ist eine schwere, unheilbare Erkrankung, die bisher eher selten war.
       Durch Corona könnte sie zu einem Massenphänomen werden.
       
       „Wir haben mindestens schon zehn Millionen Infizierte in Deutschland und
       wir gehen davon aus, dass nach sechs Monaten ungefähr zehn Prozent relevant
       krank sind, also das, was man Post-Covid-Syndrom nennt“, sagt Carmen
       Scheibenbogen, die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner
       Charité. „Wenn man davon ausgeht, dass davon nochmal zehn Prozent mit
       ME/CFS schwer krank sind, dann wären das allein schon 100.000 überwiegend
       junge Menschen, die auch aus dem Berufsleben fallen.“
       
       ## Immunsystem Schuld?
       
       Die Internistin sieht deshalb großen Forschungsbedarf. Zuerst, was die
       Ursachen von Long und Post Covid betrifft. Parallelen zu anderen
       Erkrankungen wie CFS oder der Multiplen Sklerose liefern Hinweise: So
       vermuten Expert:innen, dass der Verbleib von Viren oder Virusbestandteilen
       im Körper eine Rolle spielt.
       
       Im Verdacht steht zudem eine anhaltende und damit überschießende Reaktion
       des Immunsystems, die sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion außerdem noch
       gegen den eigenen Körper richten könnte. Die Entstehung von Long Covid sei
       jedoch multifaktoriell und nicht bei jedem Patienten gleich, heißt es in
       der Leitlinie der Fachgesellschaften, die im vergangenen Sommer
       veröffentlicht wurde.
       
       Seit jenem Sommer sind viele neue Fälle von Long Covid aufgetreten, die
       Folgen der Omikronwelle stehen noch aus. Doch so bitter es klingt: Die
       schiere Zahl an Patient:innen wird die Forschung deutlich voranbringen
       – und auch die Suche nach Therapien. Erste Tests stimmen schon jetzt
       hoffnungsvoll. So konnten Heilversuche mit einem gegen Autoimmunkrankheiten
       entwickelten, in Studien bereits mehrfach untersuchten Medikament mehreren
       Patienten helfen.
       
       Das Mittel, BC007, muss allerdings noch in größeren Studien an
       Long-Covid-Patienten getestet werden. Nach Angaben der Website
       [4][Clinicaltrials.gov], die unter anderem vom nationalen
       Gesundheitsinstitut in den USA betrieben wird, laufen weltweit mehr als 80
       klinische Studien zu Long-Covid-Behandlungen oder sind in Planung.
       
       ## Vorsicht vor Quacksalbern
       
       Bis richtige Therapien erforscht und zugelassen sind, lassen sich bislang
       nur Symptome lindern. Die als „Pacing“ bezeichnete Strategie kann helfen,
       die Kräfte besser einzuteilen. Je nach Vorgeschichte können Thrombosen
       vorgebeugt, die Atmung unterstützt und Schmerzen behandelt werden. Und
       schließlich braucht die Psyche meist professionelle Zuwendung.
       
       Die Wartezeiten für solche umfassenden Maßnahmen sind lang, viele Menschen
       mit Long Covid müssen über Monate auf Hilfe warten. In der Zwischenzeit
       verzweifeln nicht wenige – an ihrer Krankheit, an dem Unverständnis, das
       ihnen bisweilen noch immer entgegengebracht wird, an der fehlenden
       Perspektive auf ein halbwegs normales Leben. Und wo der Leidensdruck groß
       ist, wo die nötige Hilfe fehlt, füllen nicht selten ungeprüfte Behandlungen
       und falsche Heilsversprechen die Lücke.
       
       Geschichten von Einzelfällen, in denen Therapien Heilung gebracht haben
       sollen, häufen sich, auch im Fernsehen. Da ist der Mann, der durch eine
       hyperbare Sauerstofftherapie kuriert worden sein will. Das Verfahren führt
       dem Körper unter hohem Druck Sauerstoff zu. Der Sauerstoff, heißt es, rege
       eine Regeneration von Zellen im Körper an. Berühmt ist eine
       Blutwäschepraxis in Mühlheim, sie soll das Blut von krankmachenden
       Bestandteilen reinigen. Auch hier berichten Patient:innen medienwirksam
       von Heilerfolgen.
       
       Studien, die solche Wirkungen klar belegen, gibt es bislang nicht. Machen
       kann die Therapien trotzdem jede:r, die oder der dafür zu zahlen bereit
       ist. Ein paar Tausend Euro, manche müssen sich dafür verschulden. Es ist
       ein Geschäft mit der Hoffnung, bis jetzt jedenfalls. Nur die Forschung kann
       helfen, das zu ändern. Ein Anfang – immerhin – ist gemacht.
       
       21 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bund-Laender-Gipfel/!5835973
   DIR [2] https://blogs.bmj.com/bmj/2020/05/05/paul-garner-people-who-have-a-more-protracted-illness-need-help-to-understand-and-cope-with-the-constantly-shifting-bizarre-symptoms/
   DIR [3] https://www.nature.com/articles/s41591-022-01689-3
   DIR [4] https://www.clinicaltrials.gov/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Zinkant
       
       ## TAGS
       
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