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       # taz.de -- UN-Rede zu Russland-Ukraine-Konflikt: Die Grenzen sind unantastbar
       
       > Kenias UN-Botschafter Kimani fordert im Sicherheitsrat, in Sachen Ukraine
       > keinen Präzedenzfall zu schaffen. Ein solcher würde auch Afrika schaden.
       
   IMG Bild: Martin Kimani, UN-Botschafter von Kenia
       
       Martin Kimani, Botschafter Kenias bei den Vereinten Nationen, hat bei der
       Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates am Montagabend in New York mit einer
       beeindruckenden Rede die Sicht aus Afrika auf den Russland-Ukraine-Konflikt
       dargelegt. Die taz dokumentiert die Rede an dieser Stelle. Mit dem
       angeredeten „Herr Präsident“ ist der russische UN-Botschafter Vasily
       Nebenzya gemeint. Der Vorsitz des UN-Sicherheitsrates rotiert monatlich
       unter den 15 Mitgliedsstaaten. Im Februar hat Russland den Vorsitz inne. 
       
       Herr Präsident,
       
       wir stehen heute Abend am Rande eines großen Konflikts in der Ukraine.
       [1][Die Diplomatie,] die wir am 17. Februar dringend empfahlen, ist dabei,
       zu scheitern.
       
       Die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine ist verletzt
       worden. Die Charta der Vereinten Nationen welkt wieder einmal unter dem
       unnachgiebigen Angriff der Mächtigen. Sie wird feierlich gepriesen von
       genau den Ländern, die ihr dann den Rücken zuwenden, um Ziele im direkten
       Gegensatz zu internationalem Frieden und Sicherheit zu verfolgen.
       
       In den letzten zwei Treffen zur Situation in der Ukraine und zum
       Truppenaufbau durch die Russische Föderation drängte Kenia darauf, der
       Diplomatie eine Chance zu geben. Unser Ruf wurde nicht gehört, und
       wichtiger noch: die Aufforderung der Charta an Staaten, „ihre
       internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen, dass
       der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht
       gefährdet werden“ ist tief untergraben worden.
       
       Heute ist „die Androhung oder der Einsatz von Gewalt gegen die territoriale
       Integrität oder politische Unabhängigkeit der Ukraine“ in die Tat umgesetzt
       worden. Kenia ist zutiefst besorgt über die Ankündigung der Russischen
       Föderation, die Regionen Donetsk und Luhansk der Ukraine als unabhängige
       Staaten anzuerkennen. Unserer Ansicht nach verletzt diese Handlung und
       Ankündigung die territoriale Integrität der Ukraine.
       
       Wir leugnen nicht, dass es ernsthafte Sicherheitsbedenken in diesen
       Regionen geben kann. Aber sie können nicht die [2][heutige Anerkennung von
       Donetsk und Luhansk als unabhängige Staaten] rechtfertigen – nicht, wenn
       vielfache diplomatische Kanäle zur Verfügung standen und genutzt wurden,
       die in der Lage waren, friedliche Lösungen anzubieten.
       
       Herr Präsident,
       
       Kenia und fast jedes afrikanische Land wurde durch das Ende eines Empire
       geboren. Unsere Grenzen zogen wir nicht selbst. Sie wurden in den fernen
       Kolonialmetropolen London, Paris und Lissabon gezogen, ohne Rücksicht auf
       die alten Nationen, die sie spalteten.
       
       Heute leben über die Grenze jedes einzelnen afrikanischen Landes hinweg
       unsere Landsleute, mit denen wir tiefe historische, kulturelle und
       sprachliche Verbindungen teilen.
       
       Hätten wir bei der Unabhängigkeit entschieden, Staaten auf der Grundlage
       ethnischer, rassischer oder religiöser Homogenität zu gründen, würden wir
       viele Jahrzehnte später immer noch blutige Kriege führen. Stattdessen
       einigten wir uns, die Grenzen so zu belassen, wie wir sie erbten – aber
       kontinentweite politische, ökonomische und rechtliche Integration zu
       verfolgen. Statt Nationen zu bilden, die rückwärts in die Geschichte
       blicken mit einer gefährlichen Nostalgie, entschieden wir uns für den Blick
       nach vorn in eine Größe, die keine unserer vielen Nationen und Völker je
       gekannt hat.
       
       Wir entschieden uns, den Regeln der OAU und der Charta der Vereinten
       Nationen zu folgen, nicht weil wir mit unseren Grenzen zufrieden waren,
       sondern weil wir etwas Größeres wollten, das im Frieden entsteht.
       
       Wir glauben, dass alle Staaten, die aus zusammengebrochenen und
       zurückgewichenen Empires entstehen, viele Völker in sich tragen, die sich
       nach Integration mit Völkern in Nachbarstaaten sehnen. Das ist normal und
       verständlich. Denn wer will nicht mit seinen Brüdern vereint werden und mit
       ihnen gemeinsame Ziele verwirklichen?
       
       Doch Kenia lehnt es ab, eine solche Sehnsucht mit Gewalt zu verfolgen. Wir
       müssen unsere Heilung von der Asche toter Empires in einer Weise
       abschließen, die uns nicht in neue Formen von Herrschaft und Unterdrückung
       zurückwirft. Wir lehnten Irredentismus und Expansionismus ab, auf jeder
       Basis, auch rassisch, ethnisch, religiös oder kulturell. Wir lehnen es auch
       heute ab.
       
       Kenia meldet seine große Sorge und Gegnerschaft zur Anerkennung von Donetsk
       und Luhansk als unabhängige Staaten an. Wir verurteilen zudem sehr stark
       den Trend der letzten Jahrzehnte, dass mächtige Staaten, Mitglieder dieses
       Sicherheitsrates eingeschlossen, bedenkenlos das Völkerrecht verletzen.
       
       Der [3][Multilateralismus] liegt im Sterben heute Nacht. Er ist angegriffen
       worden, wie von anderen mächtigen Staaten in der jüngsten Vergangenheit.
       
       Wir rufen alle Mitgliedstaaten dazu auf, hinter dem Generalsekretär zu
       stehen und ihn zu bitten, uns zur Verteidigung des Multilateralismus um
       sich zu scharen. Wir rufen ihn auch dazu auf, sein Amt walten zu lassen, um
       den betroffenen Parteien zu helfen, die Lage mit friedlichen Mitteln zu
       lösen.
       
       Lassen Sie mich schließen mit der Betonung, dass Kenia die territoriale
       Integrität der Ukraine innerhalb seiner international anerkannten Grenzen
       respektiert.
       
       Ich danke Ihnen.
       
       22 Feb 2022
       
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