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       # taz.de -- Debatte um Menschenhandel in China: Das Schicksal der „Ketten-Frau“
       
       > Eine psychisch kranke Frau wurde verkauft und angekettet. Das öffentliche
       > Interesse an dem Fall hilft trotz Widerstands der Behörden dem Opfer.
       
   IMG Bild: Ausschnitt aus dem Video, das die angekettete Frau zeigt
       
       Peking taz | Das verstörende Video tauchte Anfang Januar auf der
       chinesischen Online-Plattform Douyin auf: Darin kauert in einer
       heruntergekommenen Steinhütte eine Frau mit einer Eisenkette samt Schloss
       um den Hals. Trotz Kälte trägt sie nur einen verdreckten Pullover.
       Verständlich machen kann sie sich nicht. Neben ihr ist eine Schüssel mit
       gefrorenem Brei – offenbar ihr Essen.
       
       Seither hat das Video Chinas Öffentlichkeit nicht mehr losgelassen. Täglich
       sahen Hunderte Millionen den Clip und debattierten die möglichen
       Hintergründe. Die waren zunächst mysteriös: Ein Blogger hatte offenbar das
       Video gemacht, da er einem Spendenaufruf auf den Grund gehen wollte.
       
       Denn ein Mann aus der Ostprovinz Jiangsu hatte um Geld für sich und seine
       acht Kinder gebeten. In China, wo bis 2016 die strenge Ein-Kind-Politik
       galt, ist das sehr dubios.
       
       Für viele war schnell klar, dass die angekettete Frau und Mutter der acht
       Kinder Opfer von Menschenhändlern war. Das stritt das lokale Parteikomitee
       erst ab, die übergeordnete Stadtregierung gab das aber bald zu.
       
       ## Widersprüche der Behörden deuten auf Vertuschung
       
       Wegen der Widersprüche ließ der Aufregung nicht nach. Die lokale Polizei
       wollte den Fall vertuschen, auch die Zensoren schritten ein. Obwohl das
       Thema in Chinas Internet mehr Aufmerksamkeit fand als die Olympischen
       Spiele, schwiegen wochenlang alle Staatsmedien dazu.
       
       Und wer als Bürgerjournalist vor Ort selbst Hintergründe recherchieren
       wollte, wurde in Gewahrsam genommen. Das Dorf wurde abgeriegelt, offiziell
       aus epidemiologischen Gründen.
       
       Erst an diesem Mittwoch veröffentlichte die Regierung ihre Untersuchungen,
       die zur Bestrafung von 17 Beamten führten. Demnach wurde die Frau namens
       Xiaohuamei 1978 in der südwestlichen Provinz Yunnan geboren und
       nacheinander an zwei Männer verkauft. Später wurde bei ihr schwere
       Schizophrenie diagnostiziert.
       
       Dass die Behörden den Fall zunächst bagatellisieren wollten, ist eine
       typische Reaktion eines Staates, der sich nur äußerst widerwillig mit
       seinen eigenen Schattenseiten auseinandersetzen will.
       
       ## Kaum psychologische Hilfe
       
       Dabei gäbe es viel aufzuarbeiten: Die Situation für psychisch Erkrankte ist
       nach wie vor desolat, vor allem abseits der wohlhabenden
       Ostküstenmetropolen. Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es nur zwei
       Psychiater pro 100.000 Einwohner.
       
       In ärmeren Gegenden wissen sich viele Familien nicht anders zu helfen, als
       Betroffene wie Tiere in Käfigen einzusperren.
       
       Zugleich wirft der Fall ein Schlaglicht auf den Menschenhandel. Die
       [1][Ein-Kind-Politik] hat zu illegalen Abtreibungen weiblicher Föten und zu
       deshalb einem starken Männerüberschuss geführt.
       
       Viele Männer haben Frauen aus ärmlichen Dörfern gekauft, mittlerweile
       stammen die meisten Opfer aus Südostasien. Die rechtlichen Strafen sind
       bislang viel zu niedrig: Wer eine entführte Frau kauft, muss nur mit bis zu
       drei Jahren Haft rechnen. Die Menschenhändler selbst können immerhin bis zu
       zehn Jahre weggesperrt werden.
       
       Doch der Fall Xiaohuamei zeigt auch, dass trotz Zensur und Vertuschen der
       Behörden anhaltende Kritik seitens der Bevölkerung zu gesellschaftlichem
       Wandel führen kann. Nicht nur sitzen die Täter mittlerweile hinter Gittern,
       auch die Frau selbst befindet sich endlich in stationärer Behandlung –
       gemeinsam mit ihrem ältesten Sohn.
       
       23 Feb 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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