URI: 
       # taz.de -- Die Kunst der Woche für Berlin: Abriss, Angriff
       
       > Schlagfertig: die Grupenausstellung „Tagesschau“ bei Mountains;
       > Antikolonial: das Kollektiv CATPC bei KOW; Einsam: Porträts von Aubrey
       > Levinthal.
       
   IMG Bild: Schlagfertig: Die Gruppenausstellung „Tagesschau“, Installationsansicht, Mountains, Berlin, 2022
       
       Die roten Boxhandschuhe scheinen kurz davor, mit Wucht auf einen
       einzuschlagen, derart spannt Katja Aufleger sie mit sich biegenden
       Plastikrohren zwischen Decke und Boden der [1][Galerie Mountains].
       „Argument“ heißt ihre Arbeit schlicht, während Eric Meier dahinter aus
       einer glänzenden Epoxidharzschicht die ungelenke Handschrift von der Tafel
       einer Eckkneipe mit „Ab 13 Uhr auf / Cuba Libre: 3,50€“ ankündigen lässt,
       wie solch Argument auch ausgetragen werden könnte. Cuba Libre, das ist so
       etwas wie FaKo in Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“: das Gesöff
       für ganz unten.
       
       Implodierende Aggressionen oder beinahe explodierende Aggressionen lassen
       sich aus jeder Arbeit der zehn Künstler:innen herauslesen, die der
       Künstler-Kurator Eric Meier hier unter dem lakonischen Titel „Tagesschau“
       versammelt hat. Da sind Ahmet Öğüts Hundeattacken aus Bronze. Im Moment des
       Angriffs festgehalten, könnten sie im kleinen Gartenskulptur-Format auch
       vor einer Manager-Villa stehen. Da sind Sebastian Jungs tolle Zeichnungen,
       die er in Wohnungen einer Chemnitzer Abriss-Platte installierte, um die man
       weiß, dass sie mittlerweile weg ist.
       
       Abriss, Saufen, Schlagen, Angriff: Es sind die vielen, alltäglichen
       Gewalttätigkeiten einer heutigen Normalität in der Bundesrepublik, auf die
       „Tagesschau“ anspielt. Durchaus auch mit Humor. Und diesen Part spielt der
       aus Chemnitz kommende Osmar Osten mit seinen sowohl feinsinnigen wie groben
       Malereien wunderbar aus. Schon allein für seine Arbeiten „Kein Durst ist
       kein Geld“ oder „Wollt ihr die totale digitale Scheiße“ kann man sich diese
       Ausstellung ansehen.
       
       ## Kollektiv zur Restitution
       
       Man weiß gar nicht, wo einhaken in einer lang sich drehenden
       Wirtschaftsspirale von Kolonialismus und Kapitalanhäufung, die sich nur in
       die Richtung zuspitzt, allen Reichtum vom globalen Süden in den globalen
       Norden zu spülen bis er über das Sponsoring von Kunst wieder reingewaschen
       wird. Das von den kongolesischen Palmölplantagen kommende Kunstkollektiv
       CATPC (für Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise) setzt in
       der [2][Galerie KOW] mit einem Ghost an, und zwar als NFT, als virtuelles
       Original im Netz.
       
       Es handelt sich bei diesem techno-spirituellen Kunstgriff um den Geist des
       belgischen Offiziers Maximilian Balot, den die auf den Plantagen
       arbeitenden Pende 1931 in einem Aufstand gegen seine Grausamkeiten töteten.
       Eine kleine Skulptur mit der Darstellung des Offiziers diente lange als
       Kultobjekt eines Erinnerungsritus bis die Pende, die auf den
       Palmölplantagen faktisch als Versklavte arbeiteten, die Figurine in den
       1970er Jahren aus materieller Not an Touristen verkauften.
       
       Nun dreht sich der virtuelle „Balot“ als Zeichen einer zumindest digitalen
       Restitution auf einem Bildschirm der Galerie, während das US-amerikanische
       Virginia Museum of Fine Arts [3][nicht vom tatsächlichen „Balot“ lassen
       will]. Auf sechs weiteren Bildschirmen zeichnet das CATPC den Weg der
       Skulptur vom Aufstand bis zur hochklimatisierten Museumsvitrine nach. Und
       immer wiederholt sich auf den Flatscreens ein Bild: das eines schneeweißen
       Museumsbaus des Superbüros OMA inmitten der dünn-grünen Plantagenfelder im
       Kongogebiet, die einst der Firmengigant Unilever bestellen ließ.
       
       Unter Vermittlung des niederländischen Künstlers Renzo Martens konnten die
       Plantagenarbeiter:innen den ewigen Fluss von Palmöl und Geld kurz zu
       ihren Gunsten umkehren und dieses Gebäude in ihrem Dorf finanzieren (Renzo
       Martens 78-minütige, durchaus ambivalente Doku „White Cube“ in der Galerie
       zeigt, wie es dazu kam). Doch der modernistische White Cube – Sinnbild und
       Irrwitz der westlichen Kunstwelt – steht leer.
       
       ## Sisyphos der Einsamkeit: Aubrey Levinthal
       
       Zwischen Schönheit und Ernüchterung schwanken die Malereien von Aubrey
       Levinthal. Farblich und flächig geradezu geschmackvoll komponiert ist das
       eigentliche Sujet ihrer Bilder ein gesellschaftliches, das vom Zustand der
       Einsamkeit inmitten einer nur nach unserer Funktionsfähigkeit fragenden
       Lebenswelt.
       
       In den Räumlichkeiten der Charlottenburger [4][Galerie Haverkampf
       Leistenschneider] reihen sich mit Farbe auf Holz die melancholischen
       Portraits der US-amerikanischen Künstlerin. Sie zeigen Menschen aus ihrer
       Umgebung und auch sie selbst in Momenten des Alltags, im Auto an der Ampel
       wartend, im Café aus dem Fenster schauend, zu Hause das Baby in den Schlaf
       wiegend.
       
       Ihr Blick geht ins Leere, sie steigen aus und womöglich fällt da gerade
       eine Erkenntnis über die Portraitierten ein, die auch Albert Camus in
       seinem Mythos des Sisyphos so prominent ausführte: die der ziemlichen
       Sinnlosigkeit.
       
       23 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://mountains.gallery/
   DIR [2] https://kow-berlin.com/kow
   DIR [3] https://www.theguardian.com/artanddesign/2022/feb/19/congolese-statue-loan-legal-battle-nfts-colonial-rule-us-museum
   DIR [4] https://haverkampfleistenschneider.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Jung
       
       ## TAGS
       
   DIR taz Plan
   DIR Berliner Galerien
   DIR Kunst Berlin
   DIR Skulptur
   DIR Kolonialismus
   DIR Restitution
   DIR NFT
   DIR Zeitgenössische Malerei
   DIR Bildende Kunst
   DIR taz Plan
   DIR taz Plan
   DIR taz Plan
   DIR taz Plan
   DIR taz Plan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kunstausstellung in Chemnitz: Identität nicht nachgewiesen
       
       Dank Coronahilfen erwarb der Bund zuletzt viel junge Kunst. Sie erzählt von
       unserer postmigrantischen Gesellschaft, wie nun in Chemnitz zu sehen ist.
       
   DIR Die Kunst der Woche für Berlin: Im Ohrenschmalz die Kenntnis
       
       Durch Gräser tauchen mit Raphaël Larre, Gemälde aus Samen von Trisha Baga
       und ein einziges Winden durch die Gehörgänge mit Wong Ping.
       
   DIR Die Kunst der Woche für Berlin: Die Farbe weben
       
       Die Malerin Hyun-Sook Song zeigt ihre erste Einzelausstellung bei Sprüth
       Magers. Die Sprache ihrer abstrakten Gemälde ist reduziert und elementar.
       
   DIR Die Kunst der Woche für Berlin: From Disco to Disco
       
       Bei Barbara Thumm erhebt sich endlich wieder eine Discokugel, Kerstin
       Drechsel zeltet bei Zwinger, Textbasiertes von Jimmie Durham bei Barbara
       Wien.
       
   DIR Kunsttipps der Woche: Worte und Nischen
       
       Eröffnungsschau im neuen CCA, Isabel Lewis und Dirk Bell spielen mit
       scheinbarer Leichtigkeit, Zilberman zeigt Aneignungen von Guido Casaretto.
       
   DIR Filmkunst in Berlin: Das Kino, in Fragen getaucht
       
       Die Regisseurin und Künstlerin Albertina Carri entwirft in der daadgalerie
       mit „Cinema puro“ ein bewegendes Archiv der Abwesenheiten.