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       # taz.de -- Vorwürfe gegen Ausländerbehörde: Pellworm, Ukraine und zurück
       
       > Monatelang wartete eine gebürtige Ukrainerin auf ein Visum für sich und
       > ihre Kinder. Das kam nicht. Kurz vor Kriegsausbruch reisten sie zurück.
       
   IMG Bild: Wie hier fliehen derzeit Tausende Menschen vor dem Krieg in der Ukraine
       
       Rendsburg taz | 37 Stunden Flucht haben Nataliia Schwarze und ihre 13- und
       15-jährigen Kinder hinter sich. Am Sonnabend kam die gebürtige Ukrainerin
       aus dem Kriegsgebiet wieder bei ihrem Ehemann auf der Nordseeinsel Pellworm
       an. Guido Schwarze ist überglücklich – gleichzeitig aber voller Wut auf die
       Ausländerbehörde des Kreises Nordfriesland: Acht Monate lang wartete die
       Familie auf ein Dauer-Visum, und als die Aufenthaltsfrist ablief, habe es
       Druck gegeben, berichtet Schwarze. Also reiste Nataliia Schwarze wenige
       Tage vor dem [1][Einmarsch der russischen Truppen] ab. Der Kreis weist die
       Vorwürfe zurück – mit Begründungen, die sich widersprechen.
       
       Per Whatsapp blieb Guido Schwarze mit seiner Frau und ihren Kindern, die
       aus einer früheren Beziehung stammen, in Kontakt. Als die ersten Bomben
       explodierten, „hat sie die Kinder genommen und ist in ein Auto gesprungen“,
       berichtet der Ehemann. „Die Kinder waren in Panik.“
       
       Die 43-jährige Ukrainerin und der 53-jährige Nordfriese lernten sich 2019
       auf Pellworm kennen und lieben, im Dezember 2020 heirateten sie im
       ukrainischen Winnyzja. Nataliia Schwarze und ihre Kinder reisten mit
       Besuchsvisa nach [2][Pellworm], kehrten zwischenzeitlich in die Ukraine
       zurück, um dort die Sprachprüfung abzulegen, die Bedingung für eine
       Aufenthaltsgenehmigung ist. „Alle Dokumente lagen vor, die Deutsche
       Botschaft in der Ukraine fand alles korrekt“, berichtet Schwarze. „Uns
       wurde gesagt, die Aufenthaltsgenehmigung sei kein Problem.“
       
       Im Juni 2021 beantragte er bei der Ausländerbehörde in Husum das
       Dauervisum. „Ich habe mehrfach nachgefragt und erhielt automatisierte
       Antwortschreiben, dass die Anfrage weitergeleitet würde“, berichtet er.
       
       ## Die Behörde musste „Prioritäten“ setzen
       
       Kreissprecher Martin Slopianka stellt den Fall anders dar: Die
       Ausländerbehörde sei „die falsche Stelle für solche Nachfragen –
       Visumsprüfungen obliegen ausschließlich der Botschaft“. Dazu passt
       allerdings nicht, dass Slopianka weiter berichtet, dass „die Botschaft bei
       uns im Juni 2021 eine Anfrage gestellt und im September sowie Dezember
       jeweils eine Erinnerung gesandt hat“, also offenbar auf eine Zuarbeit der
       Ausländerbehörde angewiesen war, um den Antrag weiter zu bearbeiten.
       
       Tatsächlich habe der Kreis „Herrn Schwarze schriftlich gebeten, neue
       Einkommensnachweise einzureichen“. Das geschah allerdings erst im Februar
       2022, acht Monate nach dem Antrag. Warum es so lange dauerte, begründet der
       Kreis gegenüber der Lokalzeitung Husumer Nachrichten, die zuerst über den
       Fall berichtete, mit der Belastung der Behörde, die „Prioritäten“ setzen
       musste: „Die deutliche Verschärfung der Lage in Teilen der Ukraine hat sich
       erst in der letzten Zeit entwickelt.“ Gegenüber der taz argumentiert
       Slopianka außerdem mit „der Hoffnung, dass Herrn Schwarzes Einkommen sich
       seit Juni deutlich erhöht hat“. Denn sonst „hätte die Botschaft den
       Visumsantrag zweifelsohne sofort abgelehnt“.
       
       Die Sache mit dem Einkommen ist kompliziert: Ginge es nur um Nataliia
       Schwarze, wäre der Verdienst ihres Mannes egal, denn „die Erteilung einer
       Aufenthaltserlaubnis ist beim Zuzug zu Deutschen nicht vom Nachweis des
       gesicherten Lebensunterhaltes abhängig“, heißt es auf der [3][Homepage des
       Integrationsbeauftragten der Bundesregierung]. Doch da Nataliia Schwarze –
       wenig überraschend – „im Visumsverfahren erklärt hat, nur zusammen mit
       ihren Kindern einreisen zu wollen“, gelten schärfere Regeln. Um ihren
       Lebensunterhalt zu sichern, brauche es ein Nettoeinkommen von rund 3.000
       Euro, berechnet der Kreis.
       
       Schwarze beteuert, er sei in der Lage, die ganze Familie zu finanzieren:
       „Das habe ich in den vergangenen Monaten schließlich getan.“ Auch habe
       seine Frau bereits eine Arbeitsstelle auf Pellworm gehabt, beider Einkommen
       gemeinsam reiche problemlos. „Ich habe nie staatliche Hilfen beantragt und
       habe das auch nicht vor.“ Eine entsprechende eidesstattliche Erklärung
       könne er abgeben.
       
       ## Es drohte eine mehrjährige Einreisesperre
       
       Es sei ein „Unding“, wie der Kreis auf seine Vorwürfe reagiere, sagt
       Schwarze: „Ich bin nur noch hassig.“ Er berichtet von Telefonaten mit dem
       Leiter der Ausländerbehörde, um kurz vor dem Auslaufen des Touristenvisums
       eine Verlängerung zu erreichen, immerhin standen bereits russische Truppen
       an der Grenze zur Ukraine. Aber ihm sei deutlich gemacht worden, dass eine
       mehrjährige Einreisesperre drohe, wenn Nataliia Schwarze ohne gültiges
       Visum im Land bleibe.
       
       Die Behörde habe nicht auf die Ausreise bestanden, widerspricht
       Kreissprecher Slopianka. Zwar sei der Aufenthalt ohne Visum eine „Straftat
       oder Ordnungswidrigkeit“, aber wenn es nur um wenige Tage ginge, „hätten
       wir kein Verfahren eingeleitet und keine Einreisesperre angeordnet“.
       Schwarze hat das anders verstanden: „Hätten wir den Hinweis nicht ernst
       genommen, wäre meine Frau ja nicht mitten im Sturm von Pellworm abgereist,
       um den Bus in die Ukraine zu erreichen.“ Für ihn ist trotz des guten Endes
       klar: „Die Ausländerbehörde hat versagt, ihr Verhalten ist
       menschenverachtend.“
       
       Jetzt ist die Familie zwar in Sicherheit – ein Dauervisum haben Nataliia
       Schwarze und ihre Kinder aber damit noch nicht.
       
       28 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
   DIR [2] /Pellworm-will-Sterneninsel-werden/!5771227
   DIR [3] https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/familienzusammenfuehrung
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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