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       # taz.de -- Möglicher Swift-Rauswurf Russlands: Die Waffe mit fünf Buchstaben
       
       > Der Ausschluss aus dem Überweisungssystem Swift könnte Russlands
       > Wirtschaft besonders hart treffen. Doch die Mitgliedstaaten der EU sind
       > sich uneins.
       
   IMG Bild: Die russische Zentralbank hat eine eigene Alternative zu Swift aufgebaut
       
       Wenn in Russland das ankommt, was viele als Finanzbombe bezeichnen, werden
       Druckwellen davon auch in der Produktionshalle von Frank Markert in
       Chemnitz zu spüren sein. Dort nähen Mitarbeiter*innen
       Männerunterwäsche zusammen. Vielleicht muss Markert bald einigen seiner 65
       Angestellten kündigen. Genauer weiß er das, wenn er in den nächsten Tagen
       die Geschäftspläne neu berechnet und den entscheidenden Faktor verändert:
       geplanter Gewinn mit Exporten nach Russland – null.
       
       In einem guten Jahr liefert Markerts Firma „Premium Bodywear AG“ 50.000
       Slips, Hemden, Tangas und Bodies nach Russland. Gerade stellt er sich
       darauf ein, dass es bald gar keine mehr sein könnten.
       
       Das liegt an der Finanzbombe, über die die EU gerade streitet: dem
       Ausschluss russischer Banken von Swift, dem System, mit dem Transaktionen
       zwischen Geldinstituten übermittelt werden. Es wäre das weitgehende Aus für
       den Zahlungsverkehr nach Russland und von Russland ins Ausland. Gas und Öl
       könnten nicht mehr ohne Weiteres bezahlt werden, aber auch Markerts
       Geschäftspartner in Moskau könnte seine Rechnungen nicht per Überweisung
       begleichen, viele Kreditkarten der Unterwäschekund*innen in Russland
       wären nicht mehr als ein Stück Plastik.
       
       Wladimir Putin greift die Ukraine mit brutaler militärischer Gewalt an,
       aber in diesem Krieg wird nicht nur mit Luftschlägen gekämpft. Sondern auch
       mit Cyberattacken und der Drohung mit Finanzwaffen, die eine verheerende
       Wirkung entfalten können. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nannte den
       Ausschluss aus Swift die „Atombombe der Finanzmärkte“. Die militärische
       Metapher soll klar machen, um wie viel Schaden es hier geht.
       
       Auch Roland Götz spricht von der „nuklearen Option“, wenn er die Abtrennung
       Russlands von Swift meint. Götz ist Ökonom mit Forschungsschwerpunkt
       Osteuropa. Bis zum Ruhestand war er Dozent an verschiedenen Universitäten
       und Mitarbeiter am ehemaligen Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und
       internationale Studien in Köln sowie der Stiftung Wissenschaft und Politik
       in Berlin.
       
       ## Die EU ist Russlands wichtigster Handelspartner
       
       „Die Folgen wären für beide Seiten verheerend, für Russland, aber auch für
       die EU“, sagt er. „Der Handel zwischen Russland und den meisten Ländern
       käme fast komplett zum Erliegen.“ Viele große, mittlere und kleine Betriebe
       aller Branchen und auch Privatpersonen wären betroffen. Die EU ist
       Russlands wichtigster Handelspartner.
       
       So weit wird es aber erst einmal nicht kommen. Zum Entsetzen vieler, die
       sich den Swift-Ausschluss als eindeutiges Signal gewünscht hatten, dass die
       EU bereit ist, selbst große Kosten zu tragen, um Russlands Vorgehen zu
       sanktionieren. [1][Rund fünf Stunden hatten die Staatschefs der EU in der
       Nacht auf Freitag über Sanktionen beraten.]
       
       Zusätzlich zu bereits sanktionierten Banken sollen weitere russische Banken
       von den EU-Finanzmärkten abgeschnitten werden. Sie können sich dann in der
       EU kein Geld mehr leihen und keins mehr verleihen. Das betreffe rund 70
       Prozent des russischen Bankensektors. Außerdem verhängten die Staatschefs
       Exportverbote für Ausrüstung und Technologie für die Modernisierung von
       Ölraffinerien, für Flugzeuge und Flugzeugteile. Auch der Zugang zu
       Halbleitern und Hightech-Produkten soll beschränkt werden. [2][Und die
       Vermögen von Wladimir Putin und Außenminister Sergei Lawrow in der EU
       werden eingefroren].
       
       In einer Frage sind die Staatschefs aber alles andere als geeint: Russland
       aus Swift ausschließen – ja oder nein?
       
       Alle 27 EU-Mitgliedsstaaten müssten das einstimmig beschließen. Die
       baltischen Staaten hatten dies gefordert, der tschechische Präsident Miloš
       Zeman ebenfalls. Deutschland, Italien, Ungarn und Zypern blockierten aber.
       Laut Bundesregierungssprecher Steffen Hebestreit habe auch Frankreich
       Bedenken gehabt.
       
       ## Als Option auf dem Tisch
       
       Finanzminister Christian Lindner verteidigte [3][am Freitag den deutschen
       Widerstand]. Der Ausschluss Russlands aus Swift liege als Option weiter auf
       dem Tisch, durch die Blockade russischer Banken sei der Geschäftsverkehr
       mit Russland aber schon jetzt nahezu beendet. Die Bundesregierung
       befürchtet bei einem Swift-Ausschluss aber offenbar zu große Schäden für
       die deutsche Wirtschaft.
       
       Der Grünen-Abgeordnete im Europaparlament Erik Marquardt [4][kritisierte
       auf Twitter], es sei ein großer Fehler, dass Olaf Scholz den
       Swift-Ausschluss blockiere. „Wir zahlen mit unseren Gasrechnungen einen
       Teil des russischen Angriffskrieges – wir sollten bereit sein, den Preis
       dafür zu zahlen, dass das sofort endet. Solidarität kostet.“
       
       Die Organisation, um die sich der Streit dreht, sitzt in dem
       7.500-Einwohner-Dorf La Hulpe in Belgien. Hier arbeitet seit 1973 die
       Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, abgekürzt
       Swift. Der Organisation selbst ist es nicht so recht, im Zentrum einer
       weltweiten Debatte zu stehen.
       
       ## Eine „neutrale Organisation“
       
       „Angesichts der aktuell sehr angespannten politischen Situation im Rahmen
       der Ukrainekrise kommuniziert Swift momentan sehr zurückhaltend“, sagte ein
       Sprecher der taz. Man sei eine „neutrale, globale genossenschaftliche
       Organisation“ mit mehr als 11.000 Banken in 200 Ländern. Die Entscheidung,
       einzelne Länder zu sanktionieren, liege „allein bei den jeweils zuständigen
       Regierungsstellen und Gesetzgebern“.
       
       Das System der Organisation braucht man bei jeder Banküberweisung. Der BIC,
       eine Art internationale Bankleitzahl, ist so was wie die Telefonnummer
       eines Kreditinstituts. Ohne sie kommt das Geld nicht an. Vereinfacht
       gesagt, bietet Swift eine Art sicheren SMS-Dienst, mit dem sich Banken
       Nachrichten über Überweisungen hin- und herschicken können.
       
       Für Finanztransaktionen hat Swift quasi ein Monopol: 9,5 Milliarden
       Zahlungen wurden 2020 so abgewickelt. Formal gesehen ist Swift im Besitz
       der Banken. Wegen des Firmensitzes in Belgien gilt EU-Recht.
       
       ## Der Rausschmiss Irans 2012
       
       Ein Beispiel für einen Rausschmiss gibt es auch: Iran. Am 15. März 2012
       schloss Swift nach einem Beschluss des EU-Rats das Land aus seinem
       Überweisungssystem aus. Für Iran hatte der Schritt dramatische Folgen. Die
       Wirtschaft brach ein und es mussten plötzlich Alternativen gefunden werden:
       Bezahlen mit Gold; Kuriere, die große Mengen Bargeld über Transitländer
       herbeischaffen; Tauschgeschäfte.
       
       Der Swift-Ausschluss dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass Iran
       an den Verhandlungstisch zurückkehrte und 2015 das Atomabkommen
       unterschrieb.
       
       Aber Russland ist viel größer und seine Wirtschaft enger verflochten mit
       der EU. Was würde die Sanktion dort erreichen?
       
       Russland würde hart getroffen, aber nicht in die Knie gezwungen, glaubt der
       Ökonom Roland Götz. Der russische Binnenmarkt ist riesig, Teile der
       Industrie produzieren überwiegend für die eigene Bevölkerung, Autos
       beispielsweise. Die Landwirtschaft ist stark, damit könnte die russische
       Bevölkerung komplett ernährt werden. „Satt würden die Leute werden, aber
       wahrscheinlich auch sehr unzufrieden ohne Lebensmittel aus dem Ausland“,
       sagt Götz.
       
       Russland hängt weniger stark am Im- und Export als viele europäische
       Staaten. Nur knapp die Hälfte des russischen Bruttoinlandsprodukts wird
       dadurch bestimmt. Bei Deutschland sind es 81 Prozent. Gänzlich
       abgeschnitten vom internationalen Handel wäre Russland ohne Swift auch
       nicht, China bliebe ein wichtiger Partner – und würde in seiner Bedeutung
       noch gewinnen, schätzen Experten.
       
       ## Ein russisches Pendant
       
       Spürbar wären die Einschnitte wohl vor allem in den Fabriken, wo moderne
       Maschinen gebraucht werden. Zum Beispiel Spezialmaschinen für Verpackungen,
       im Eisenbahnbau oder bei der Erdöl- und Erdgasförderung. „Russland würde
       nicht in der totalen Armut versinken, aber langfristig würde das Leben
       vieler Russen extrem eingeschränkt“, sagt Götz.
       
       Für Deutschland und Europa hingegen erwartet er bei einem Swift-Aus vor
       allem Einbußen beim Import von Rohstoffen. Es wäre ein weitgehendes Aus für
       Russlands Gas- und Ölexporte, die wegen der noch unzureichenden
       Leitungskapazitäten nach China auch nur zu einem geringen Teil dorthin
       umgelenkt werden könnten.
       
       Es ist auch nicht unmöglich, Swift zu ersetzen. Nachdem die USA 2014
       bereits angedroht hatten, russische Banken wegen der Annexion der Krim von
       Swift auszuschließen, hat die russische Zentralbank ein eigenes System
       entwickelt. Seit 2018 nutzen alle großen russischen Banken SPFS, wie das
       Netz heißt. Rund 20 Prozent des inländischen Zahlungsverkehrs sollen damit
       aktuell abgewickelt werden. Aber international ist das System kaum
       verbreitet.
       
       ## „Mühsamer, teurer und unsicherer“
       
       Außerdem bliebe noch der antiquierte Weg: Überweisungen per Brief, Telefon
       oder Telegramm. Banken prüfen auch digitale Alternativen zu Swift, wie etwa
       die Blockchain-Technologie. „Aber all das wäre mühsamer, teurer und
       unsicherer als Swift“, sagt Roland Götz.
       
       Für Frank Markert wäre das Swift-Aus das Ende einer langen
       Geschäftsbeziehung. Seit 15 Jahren arbeitet er mit dem gleichen
       Handelspartner in Moskau. Den Chef lernte er bei einer Modemesse in Paris
       kennen. Nachdem zehn russische Importeure an seinem Stand gewesen waren und
       behaupteten, sie seien die größten des Landes, fiel der elfte, der das
       nicht behauptete, ihm positiv auf. Ein Handschlag nach dem ersten
       Russlandbesuch ersetzte zunächst den Vertrag. Vertrauen entstand.
       
       „Sanktionen wirken nicht erst, wenn sie in Kraft gesetzt werden“, sagt
       Markert. „Es reicht schon, wenn darüber gesprochen wird.“ Weil das
       Vertrauen verschwinde. „Aber man hat als Unternehmer ein Geschäftsrisiko“,
       sagt er. Der Anteil, den der Russlandhandel an seinem Umsatz hat, ist in
       den vergangenen Jahren von 20 auf 5 Prozent gesunken.
       
       Hätten deutsche Unternehmen, die mit Russland Geschäfte machen, damit
       rechnen müssen, dass es so weit kommen könnte? Die Forderung, russische
       Banken aus Swift auszuschließen, beschäftigte das EU-Parlament seit der
       Krim-Annexion von 2014 immer wieder. Ende April 2021, Russland ließ bereits
       seine Armee an der ukrainischen Grenze aufmarschieren, fasste das
       Europäische Parlament den Entschluss: Sollte Russland in die Ukraine
       einmarschieren, würde das Land „aus dem Zahlungssystem Swift ausgeschlossen
       werden“.
       
       Verbindlich sind diese Beschlüsse nicht. Sie sind eher Appelle an die
       Regierungen der EU.
       
       ## Vom Dollarhandel abgeschnitten
       
       Die USA haben aber Möglichkeiten für Sanktionen mit ähnlicher Wirkung. Sie
       verfügen mit dem Dollar als internationaler Leitwährung über eine mächtige
       Waffe. Mehr als zwei Drittel der internationalen Finanzaktionen wird über
       Dollar abgewickelt – vor allem auf dem Energiemarkt wird eigentlich nur in
       der US-Währung gehandelt.
       
       Damit eine Bank irgendwo auf der Welt eine Dollar-Transaktion abwickeln
       kann, braucht sie eine Korrespondenzbank in den USA. Und die US-Regierung
       kann jede US-Bank anweisen, mit bestimmten Banken keine Geschäfte mehr zu
       machen. So können einzelne Finanzinstitute vom Dollarhandel abgeschnitten
       werden. Auch dafür gibt es eine starke Formulierung. Banker sprechen vom
       „Wall-Street-Äquivalent der Todesstrafe“.
       
       Am Donnerstag verkündete Joe Biden genau das für sechs russische Banken,
       darunter die größten des Landes. Diese Sanktionen [5][hätten noch
       weitreichendere Folgen als ein Swift-Ausschluss, betonte er].
       
       25 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-Reaktionen-auf-Russlands-Krieg/!5837662
   DIR [2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/putin-lawrow-eu-sanktionen-101.html
   DIR [3] https://www.deutschlandfunk.de/finanzminister-lindner-verteidigt-vorlaeufigen-verzicht-auf-swift-ausschluss-russlands-100.html
   DIR [4] https://twitter.com/ErikMarquardt/status/1496965667135926280
   DIR [5] https://www.reuters.com/business/finance/eu-unlikely-cut-russia-off-swift-now-sources-say-2022-02-24/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Erb
   DIR Anne Fromm
   DIR Christian Jakob
   DIR Jan Pfaff
   DIR Luise Strothmann
       
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