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       # taz.de -- Seehofers Polizeistudie: Rassismus? Wo?
       
       > Für das Bundesinnenministerium sind rassistische Kontrollen kein Thema.
       > Studien der Länder zeigen, dass diese Praxis weit verbreitet ist.
       
   IMG Bild: Was verboten ist, das gibt es nicht: Horst Seehofer mit Polizist*innen in Stuttgart
       
       Berlin taz | Berichte von nichtweißen Betroffenen über Rassismus bei der
       Polizei in Form von Herabsetzung, Gewalt oder rassistische Kontrollen gibt
       es schon lange, offiziell wurde das Problem lange geleugnet. Doch als sich
       ab 2018 die Meldungen über „Einzelfälle“ häuften, dämmerte es auch Politik
       und Verwaltung langsam, dass das Vertrauen in die „Freunde und Helfer“
       sogar bei der weißen Mehrheitsbevölkerung im Schwinden begriffen ist. Erste
       Pläne über Studien zu extremistischen Einstellungen bei der Polizei
       entstanden.
       
       Dann kam es zum Mord an George Floyd in den USA, die massiven Proteste
       gegen rassistische Polizeigewalt schwappten im Frühjahr 2020 nach
       Deutschland. Auch die Bundesregierung stritt über „latenten“ Rassismus in
       Sicherheitsbehörden. Eine Studie über Racial Profiling wurde angekündigt –
       und die Ankündigung kurz darauf von Bundesinnenminister Horst Seehofer
       (CSU) zurückgenommen. Begründung: Racial Profiling sei ja verboten, darum
       gebe es das auch nicht.
       
       Stattdessen gab Seehofer eine [1][Studie zu „Motivation, Einstellung und
       Gewalt im Polizeialltag“ (Megavo)] bei der Deutschen Polizeihochschule in
       Auftrag, die noch bis 2023 läuft. Der Auftrag ist breit: Sowohl die
       Motivation für die Berufswahl, als auch der Arbeitsalltag bis zur Gewalt
       gegen PolizistInnen soll bei einer Vollbefragung der 300.000 PolizistInnen
       abgefragt werden. Auf diese Weise erfahre man auch etwas über die Gründe
       für extremistische Einstellungen, sagte [2][die Leiterin der Studie, Anja
       Schiemann, 2021 im taz-Interview]. Das Thema Racial Profiling werde man
       aber nicht beleuchten, erklärte sie diese Woche auf Nachfrage.
       
       Als klar wurde, dass Rassismus in der Polizei nicht im Fokus der
       „Seehofer-Studie“ stehen würde, kündigten [3][Niedersachsen] und
       [4][Berlin] eigene Studien an, weitere Länder sind dem inzwischen gefolgt.
       „Unser Fokus ist Rassismus und Diskriminierung. Diskriminierung ist noch
       mal weiter gefasst als Rassismus. Auf jeden Fall geht es um Rassismus gegen
       schwarze Menschen, um antimuslimischen Rassismus und um Antiziganismus, der
       insbesondere auch im öffentlichen Raum stattfindet“, [5][erklärte die
       Leiterin der Berliner Studie, Christiane Howe, im Oktober in der taz.]
       Anders als bei der Bundesstudie werden in Berlin qualitative Interviews
       geführt, zudem will Howe mit auf Streife gehen. Die Forschung soll bis Ende
       Mai umgesetzt sein.
       
       Dass bestehende Gesetze [6][rassistische Polizeipraktiken wie Racial (oder
       Ethnic) Profiling] nicht verhindern, wie Seehofer meint, sondern teils
       sogar befördern, wurde wissenschaftlich wiederholt nachgewiesen, zuletzt in
       der Pilitstudie des Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität
       Duisburg-Essen, „Rassismus in Behörden“, die vorige Woche veröffentlicht
       wurde.
       
       In den dafür ausgewerteten Interviews mit Polizist*innen ging es unter
       anderem um Personenkontrollen an „kriminalitätsbelasteten“ oder
       „gefährlichen“ Orten, also solchen, wo laut Polizeigesetz ohne Anlass
       kontrolliert werden darf. Die Interviewpartner beriefen sich zumeist auf
       ihr „Erfahrungswissen“, um zu erklären, warum sie vor allem bestimmte
       Personengruppen – etwa Schwarze – kontrollieren, erklärt Alexandra
       Graevskaia von der Universität Duisburg-Essen.
       
       Wobei „Erfahrungswissen“ vor allem die Kriminalitätsstatistiken meint, die
       auf Basis genau solcher Kontrollen entstehen. Doch natürlich gibt es mehr
       „Treffer“ in einer Gruppe, je mehr diese Gruppe kontrolliert wird. „Racial
       Profiling folgt also einem Zirkelschluss“, sagt Graevskaia – und müsse
       daher als Mechanismus des institutionellen Rassismus von Polizei angesehen
       werden.
       
       25 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/megavo-polizeistudie/megavo-node.html
   DIR [2] /Forscherin-ueber-Seehofers-Polizeistudie/!5757823
   DIR [3] /Rassismus-bei-der-Polizei-Niedersachsen/!5719386
   DIR [4] /Untersuchung-zu-Rassismus/!5695615
   DIR [5] /Soziologin-zu-Polizei-Rassismus-Studie/!5804029
   DIR [6] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/migration-und-sicherheit/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten/#node-content-title-0
       
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   DIR Susanne Memarnia
       
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