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       # taz.de -- Album von Londoner Indiepopband: Soghafte Klangreise
       
       > „Ants from Up There“ von der Londoner Indiepopband Black Country, New
       > Road bietet kompositorische Raffinesse und viel Pathos.
       
   IMG Bild: Sieben Talente, eine Band: Black Country, New Road aus London
       
       Wenige Tage bevor „Ants from Up There“ überhaupt vergangene Woche
       veröffentlicht wurde, war das zweite Album der Londoner Band Black Country,
       New Road in gewisser Weise schon wieder Geschichte: Zumindest bezüglich der
       Hoffnung, ihre eigenwillige Mischung aus Postpunk, Balkan-Folklore,
       Progrock und [1][Free Jazz] einmal dort zu erleben, wo sie – gefühlt
       zumindest – hingehört: auf eine Bühne. Die Songs des Septetts schreien
       danach, bei Konzerten live zerlegt und wieder neu zusammengesetzt zu
       werden.
       
       Diverse Livestreams, die die Band nach Erscheinen ihres Debüts „For the
       First Time“ vor einem Jahr hochgeladen hatte (sehenswert etwa der
       [2][Bandcamp-Stream)], vermittelten jedenfalls trotz des Milchglases, den
       das Digitale zwischen Band und Publikum treibt, eine Vorstellung davon, wie
       toll es wäre, sich von Black Country, New Road mit auf eine Reise nehmen zu
       lassen.
       
       Eine, bei der immer wieder ein/e andere*r die Richtung vorgibt: Wo etwa
       Saxofonist Lewis Evans das Durcheinander mit einem sehnsuchtsvollen
       Widerhall erdet und die Geigerin Georgia Ellery geradewegs in
       Klezmer-Gefilde führt.
       
       Doch zu Konzerten wird es erst einmal nicht kommen, denn Isaac Wood –
       Sänger, Gitarrist und einer der zentralen Komponisten von Black Country,
       New Road – hat die Band kurz vor Erscheinen des neuen Albums verlassen. Und
       dies hat er so kommuniziert, dass man auf ernsthafte psychische Probleme
       schließen muss: „I have been feeling sad and afraid too. I have tried to
       make this not true, but it is the kind of sad and afraid feeling that makes
       it hard to play guitar and sing at the same time.“ Deshalb hat die Band
       auch erst einmal alle Auftritte abgesagt, will aber ohne Wood weitermachen.
       Wie das klingen wird, darauf muss man gespannt sein.
       
       Schließlich bündelt sich in Woods wanderpredigerhafter Persona doch viel
       dessen, was die Band besonders macht – auch wenn allesamt eindrucksvolle
       Instrumentalist:innen sind und sich aus ihrem ausufernden
       Zusammenspiel tolle Synergien entwickeln. Dass der erst 22-jährige Sänger
       mit der zitterigen Baritonstimme, die mal an [3][Bill Callahan] (alias
       Smog), mal an Conor Oberst erinnert, seine Gesundheit vorneanstellt und die
       Reißleine gezogen hat, ist so mutig wie traurig.
       
       Und beantwortet zugleich einige Fragen, die die Songs von Black Country,
       New Road von jeher aufwarfen; etwa, wie viel Pathos-Pose drin steckt – und
       wie viel existenzielles Drama. Eine Ambivalenz, die dafür sorgte, dass
       zumindest die Rezensentin von dieser Musik manches Mal nicht genug kriegen
       konnte und die gleichen Songs in anderen Momenten kaum erträglich fand.
       
       ## Unvermittelt und schroff
       
       Zumindest galt das fürs Debütalbum, das allerdings auch noch
       unvermittelter und schroffer klang als „Ants from Up There“. Auch wenn die
       Kanten diesmal abgeschliffener sind – was der Band nicht zuletzt Vergleiche
       mit dem Frühwerk der Kanadier von Arcade Fire einbrachte – haben Black
       Country, New Road sich ihre Eigenwilligkeit erhalten.
       
       So viele Arrangement-Ideen, wie sie etwa bei „Chaos Space Marine“ in gut
       dreieinhalb Minuten in einen einzigen Song packen, reichen anderen für ein
       ganzes Album. Und auch das schwelgerische, zwischendurch aufbrausende „Good
       Will Hunting“ ruft weitaus widerstreitendere Gefühle auf, als Songs, die –
       wie dieser – von unerwiderter Liebe erzählen, das gemeinhin tun.
       
       Ja, sogar etwa schalkhafter Humor steckt drin. „Ants from Up There“ nimmt
       mit auf eine soghafte und doch geschmeidige Klangreise. Auf Textebenen
       verwandeln sich euphorische Momente und Sackgassen in Zeilen, die mal
       kryptisch, dann wieder bekenntnishaft daherkommen (und vor dem Hintergrund
       von Woods Ausstieg noch mal einen anderen Widerhall bekommen).
       
       Den Bandnamen fand dieser übrigens bei Google über einen Zufallsgenerator.
       Wood mochte den Wortmix und versah ihn mit einem Komma, weil sich Black
       Country, New Road so als „Flucht von einem schlechten Ort“ lesen lässt.
       Zumindest für den Ex-Sänger scheint das nur bedingt wahr geworden zu sein.
       Doch vielleicht wartet ja ein neues Kapitel dieser verzwickten Geschichte.
       Zu wünschen wäre es dieser talentierten Band, die allen Hindernissen zum
       Trotz ein wirklich tolles Album aufgenommen hat.
       
       22 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Jazzdrummer-Bennink-ueber-Trommelwirbel/!5811976
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=3dgXXWTWf_A
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=5J-WpgOzW9A
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
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