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       # taz.de -- Berlins Abschiebepolitik: Eine zu hohe Zahl von Einzelfällen
       
       > Mehr als die Hälfte der Menschen, die abgeschoben werden, holt die
       > Polizei nachts ab. Jian Omar (Grüne) kritisiert die Politik von
       > Rot-Grün-Rot.
       
   IMG Bild: Immer wieder firmiert sich Protest gegen die Abschiebungen, so wie am BER Anfang Februar 2022
       
       Berlin taz | In Sachen Abschiebepolitik hält sich Rot-Grün-Rot weiterhin
       nicht an seine eigenen Vereinbarungen. Dies geht aus einer Antwort der
       Innenverwaltung auf eine Anfrage des migrationspolitischen Sprechers der
       Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Jian Omar, hervor, die der taz
       exklusiv vorliegt.
       
       Danach wurden mehr als die Hälfte der 1.126 Menschen, die im Zeitraum von
       1. Januar 2021 bis 31. Januar 2022 abgeschoben wurden, zur Nachtzeit aus
       ihrer Unterkunft oder Wohnung geholt. Ganz genau „erfolgten 645 Festnahmen
       in der Zeit zwischen 00:00 und 06:00 Uhr“, schreibt die Innenverwaltung.
       Omar sagte dazu: „Nächtliche Abholungen zum Zweck der Abschiebung sind
       äußerst belastend, insbesondere für Familien mit Kindern. Genau deswegen
       haben wir als rot-grün-rote Koalition vereinbart, dass auf nächtliche
       Abschiebungen verzichtet werden soll.“
       
       Rechtlich und politisch ist die Sache eigentlich klar geregelt: Laut dem
       2019 geänderten Aufenthaltsgesetz darf die Wohnung eines
       Abschiebekandidaten nur in Ausnahmen zur Nachtzeit betreten oder durchsucht
       werden. Auch in einer Vereinbarung zwischen Innen- und Sozialverwaltung von
       Ende 2019 heißt es, „im begründeten Einzelfall (ist) auch ein Betreten oder
       Durchsuchen zur Nachtzeit (ganzjährig von 21:00 bis 06:00) zu ermöglichen“.
       
       Im neuen Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot steht sogar explizit: „Auf
       nächtliche Abschiebungen, insbesondere bei Familien mit Kindern, alten
       Menschen und Menschen mit Behinderung oder schwerer Erkrankung, soll
       verzichtet werden.“
       
       ## Hohe Zahl sei „kritikwürdig“
       
       Dass dennoch mehr als die Hälfte der Abschiebungen zu dieser Zeit
       passieren, begründet die Verwaltung nebulös mit „verbindlichen Vorgaben der
       Zielstaaten zu Abflug- und Ankunftszeiten“. Allerdings ist die
       „Organisation einer Abschiebung“ laut Aufenthaltsgesetz kein Grund für eine
       nächtliche Festnahme. Die hohe Zahl nächtlicher Abschiebungen hatte
       [1][auch der Berliner Flüchtlingsrat in der Vergangenheit verschiedentlich
       kritisiert].
       
       Schon die an sich hohe Zahl von Abschiebungen aus Berlin ist kritikwürdig,
       findet Omar. Dies sei „ein Armutszeugnis“ für eine Regierung, die
       allenthalben betone, dass Berlin ein „sicherer Hafen“ sei. Auch dass Berlin
       im vorigen Jahr – zumindest vereinzelt – Afghanen abgeschoben hat, könne er
       nicht nachvollziehen. Laut Antwort wurden im Januar zwei Afghanen
       abgeschoben, im März einer – also zu einem Zeitpunkt, „als die Lage dort
       schon dramatisch war“.
       
       Auffällig ist, dass weiterhin der überwiegende Teil der Abschiebungen
       Menschen aus Moldau betrifft. Allein im Januar dieses Jahres gingen 84 (von
       101) Abschiebungen dorthin, im vorigen Jahr waren es 409 von 1.005. Die
       meisten von ihnen sind offenbar Rom*nja, die in dem bitterarmen Land laut
       einem aktuellen Bericht von Pro Asyl und Berliner Flüchtlingsrat
       systematisch diskriminiert werden – und dennoch hier kein faires
       Asylverfahren bekommen. Die meisten, die in Deutschland Asyl beantragen,
       werden in Berlin untergebracht – und schlecht behandelt, etwa durch
       Unterbringung in separaten Unterkünften, [2][kritisiert der Bericht].
       
       Einen weiteren Regelbruch sieht Omar in der Tatsache, dass allein im Januar
       121 Menschen abgeschoben wurden, obwohl man laut neuem Koalitionsvertrag
       auf Winterabschiebungen verzichten will. „Im Winter soll auf Abschiebungen
       verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten“,
       heißt es dort. „Ich erwarte, dass sich der gesamte Senat an den
       Koalitionsvertrag hält“, sagte Omar vor allem in Richtung der neuen
       Innensenatorin Iris Spranger (SPD).
       
       28 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kritik-an-Berliner-Abschiebepolitik/!5816246
   DIR [2] https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
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