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       # taz.de -- Human remains in Berlin: Repatriierung als Menschenrecht
       
       > Über die human remains aus Kolonialzeiten in Berlin ist wenig bekannt,
       > sagt ein Gutachten. Weitere Forschung müsse zügige Rückgaben zum Ziel
       > haben.
       
   IMG Bild: Schädel eines Opfers des Genozids in „Deutsch-Südwest“ bei einer Übergabezeremonie in Berlin 2018
       
       Berlin taz | Über die Verbrechen der Kolonialzeit – auch der deutschen –
       wird inzwischen viel diskutiert. Auch die Forderung nach Rückgaben
       geraubter Kulturgüter ist kein Tabu mehr, nicht zuletzt dank der Debatten
       ums Humboldt Forum. Ein wichtiger Aspekt kommt in der öffentlichen
       Wahrnehmung bislang jedoch kaum vor: dass in hiesigen Museen und Sammlungen
       auch Tausende menschliche Gebeine und Schädel (human remains) aus
       ehemaligen Kolonien lagern. Wie viele es genau sind und wer diese Menschen
       waren, ist größtenteils unbekannt, denn es gibt keine öffentlich
       einsehbaren Bestandslisten. Dies aber wäre eine Voraussetzung, damit die
       Nachfahren die Gebeine zurückfordern könnten.
       
       Das am Dienstag vorgestellte wissenschaftliche [1][Gutachten „We want them
       back“] zum Bestand menschlicher Überreste aus kolonialen Kontexten in
       Berlin gibt erstmals einen Überblick über die Lage. Veranlasst wurde es von
       der beim Verein Decolonize Berlin angesiedelten „Koordinierungsstelle für
       ein gesamtstädtisches Aufarbeitungskonzept zu Berlins kolonialer
       Vergangenheit“. Sie wurde vom Senat beauftragt, Berlins Kolonialgeschichte
       zu erforschen und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.
       
       Laut dem Gutachten gibt es mehr als 5.958 menschliche Gebeine aus
       kolonialen Kontexten in Institutionen im Raum Berlin. Genau könne man es
       nicht sagen, erklärte die Verfasserin, die Ethnologin Isabelle Reimann von
       der Huboldt-Universität. Auch deswegen, weil die private Berliner
       Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, bei der sich
       die [2][Rudolf-Virchow-Sammlung mit Knochen von rund 3.500 Individuen]
       befindet, eine Auskunft verweigert habe. Hinzurechnen müsste man wohl auch
       die 16.000 Knochenfragmente aus Grabungen am ehemaligen
       Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie.
       
       Reimann betonte, nur bei einem „Bruchteil“ der human remains habe
       Provinienzforschung stattgefunden, sodass die Namen der Toten oder
       wenigstens Herkunftskontexte zugeordnet werden könnten. Die Sammlungen
       hätten oft erklärt, dafür fehle es ihnen an Geld und/oder Expertise. Es
       gebe bislang auch kaum Kontakte der Berliner Institutionen zu
       Herkunftsgesellschaften, um Rückgaben einzuleiten.
       
       ## Nachfahr*innen sollen mitreden
       
       Für die weitere Provinienzforschung fordert Reimann die Einrichtung eines
       „advisory board“ aus Repatriierungspraktiker*innen und
       Nachfahr*innen. Diese sollten die Sammlungen beraten und „an
       grundlegenden Entscheidungen ihre Vorfahren betreffend beteiligt“ werden.
       Ziel aller weiteren – möglichst institutionenübergreifenden – Forschung
       müsse sein, mehr Transparenz zu schaffen, um zügige Repatriierungen zu
       ermöglichen. Reimann: „Den Nachfahren muss es so einfach wie möglich
       gemacht werden, ihre Vorfahren angemessen zu bestatten und ihnen ein
       würdevolles Andenken zukommen zu lassen.“
       
       Dazu sei Deutschland sogar verpflichtet, betonte Sarah Imani,
       Rechtsberaterin am European Center for Constitutional and Human Rights
       (ECCHR), die am Dienstag einen Bericht zu Rechtsfragen in diesem
       Zusammenhang vorstellte: „Die Repatriierung von ancestral human remains ist
       ein Menschen- und Grundrecht.“
       
       1 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://decolonize-berlin.de/wp-content/uploads/2022/02/We-Want-Them-Back_deutsch-web.pdf
   DIR [2] /Rassistische-Wissenschaft/!5047937
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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