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       # taz.de -- Wirtschaft fordert Windkraft-Ausbau: Die neue Liebe zum Windrad
       
       > In Niedersachsen trommeln jetzt viele für einen schnelleren und
       > leichteren Ausbau der Windkraft. Doch der Naturschutzbund hält dagegen.
       
   IMG Bild: Flächen für Windkraft – im Wald und anderswo – sind ein Problem in Niedersachsen
       
       Hannover taz | Es war schon ein beeindruckend breites Bündnis, das der
       Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) da zu seiner jüngsten
       Pressekonferenz aufgeboten hat: Am Tisch saßen neben LEE-Geschäftsführerin
       Silke Weyberg, Philip Freiherr von Oldershausen für die niedersächsischen
       Waldbesitzer, Volker Müller für die Unternehmerverbände (UVN), Petra Adolph
       für die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und Peter
       Klug, Projektentwickler beim Windkraftanlagenbauer Alterric.
       
       „Das hätte ich noch vor ein paar Jahren auch nicht gedacht, dass ich heute
       hier einmal in dieser Runde sitzen und vehement für den Ausbau der
       Windkraft eintreten würde“, sagt UVN-Geschäftsführer Müller lachend. Aber
       die Zeiten ändern sich eben – [1][nicht zuletzt mit Blick auf die
       Ukraine]. Den Unternehmer treibt letztlich die gleiche Sorge um wie die
       Gewerkschafterin neben ihm: die energieintensiven Unternehmen
       Niedersachsens zukunftsfähig aufzustellen.
       
       „Wir wissen ganz genau, was wir wann abschalten, aber so langsam müssen wir
       einmal anfangen, seriös zu kalkulieren und zu planen, woher der Strom denn
       stattdessen kommen soll“, mahnt Müller. „Daran hängen in Niedersachsen
       massenhaft Arbeitsplätze“, ergänzt Petra Adolph.
       
       Zwei große Problemfelder zeichnen sich dabei ab: Da ist zum einen das zähe
       Ringen um die Ausweisung von weiteren Windkraftflächen, auch in
       Waldgebieten. Und zum anderen die Schwierigkeiten, Unsicherheiten und vor
       allem Dauer von Planungsprozessen.
       
       ## Naturschützer misstrauen den Motiven der Waldbesitzer
       
       „Wenn wir in zehn Jahren die Ausbauziele erreicht haben wollen, dann müssen
       die Flächen jetzt bereitgestellt werden“, mahnt Projektentwickler Peter
       Klug. Aber das droht an einer ganzen Reihe von Stellschrauben zu scheitern.
       
       Da ist zum einen [2][der ewige Streit um den Wald]. „Es will doch niemand
       alte Eichen und Buchen fällen, um dann da Windräder hinzustellen“, sagt
       Philip Freiherr von Oldershausen fast beschwörend. „Aber es ist doch auch
       nicht jedes Waldstück ökologisch gleichermaßen wertvoll.“ Und dort, wo es
       ohnehin schon Sturmschäden oder sonstigen Kahlschlag gegeben hat, sollte es
       doch möglich sein, auch über das Aufstellen von Windrädern nachzudenken.
       
       Das ist allerdings genau der Punkt, der bei Naturschützern regelmäßig
       Argwohn erregt: Sie unterstellen, die Waldbesitzer wollten hier vor allem
       ihre Verluste aus abgestorbenen Fichtenwäldern kompensieren – und nähmen
       die Zerstörung weiterer Waldflächen dabei billigend in Kauf.
       
       Die Waldbesitzer halten ihrerseits den pauschalen Ausschluss von
       historischen Waldflächen, der auf Betreiben der Naturschutzverbände ins
       Landesraumordnungsprogramm aufgenommen wurde, für zu weitgehend: „Damit ist
       praktisch jeder Höhenkamm in Niedersachsen von der Nutzung für Windenergie
       ausgenommen“, sagt von Oldershausen.
       
       ## Gerichte kippen regionale Raumordnungsprogramme
       
       Der noch viel größere Bremser sind allerdings die Planungsprozesse. Vor
       allem die damit verbundenen Unsicherheiten schreckten Investoren ab,
       erläutert LEE-Geschäftsführerin Weyberg. Die Planung und Genehmigung einer
       konkreten Anlage nehme derzeit schon mehrere Jahre in Anspruch, sagt auch
       Klug. Und ständig laufe man dabei Gefahr, dass sie sich selbst überholt.
       
       „Wenn sich so ein Prozess über Jahre hinzieht, dann ist das
       naturschutzrechtliche Gutachten, das ich am Anfang erstellt habe, doch
       längst wieder obsolet, weil sich das Ökosystem längst wieder verändert
       hat.“ Noch schwieriger wird es aber, ergänzt Weyberg, wenn – wie zum
       Beispiel in Uelzen oder in der Region Hannover – die regionalen
       Raumordnungsprogramme von Gerichten gekippt werden.
       
       Beispiel Hannover: Das regionale Raumordnungsprogramm 2016 ist nach einem
       fünfjährigen Dialog- und Planungsprozess 2016 verabschiedet worden und 2017
       in Kraft getreten. Eigentlich hätte es für zehn Jahre gelten sollen.
       
       Doch i[3][m März 2019 kassierte das Niedersächsische
       Oberverwaltungsgericht] die darin enthaltenen Festlegungen zur Windenergie
       ein. Unter anderem, weil Abstandsregelungen nicht korrekt berechnet worden
       waren. Jetzt, drei Jahre später, hat die Region angekündigt, die
       überarbeitete Planung in den öffentlichen Beteiligungsprozess zu geben –
       Ausgang ungewiss.
       
       Dabei sind es nicht einmal immer Umweltschützer oder Nachbarn, die klagen.
       In Uelzen beispielsweise [4][waren es Energieversorger, weil dort
       haufenweise Vorrangflächen] ausgewiesen werden sollten, auf denen aber gar
       keine Windräder gebaut werden konnten, weil sie im Tieffluggebiet der
       Bundeswehr lagen. Das Ergebnis ist aber das gleiche: Genehmigungsverfahren
       und Projekte werden verzögert.
       
       ## Klare Zuständigkeiten und verbindliche Verfahren gefordert
       
       „Wir brauchen einfach Beteiligungsverfahren und Diskussionsprozesse, die
       frühzeitig alle Parteien einbinden und dann aber auch zu verbindlichen
       Ergebnissen kommen“, sagt Gewerkschafterin Adolph. „Und dann müssen
       vielleicht auch BUND und [5][Nabu mal die ein oder andere Kröte] schlucken,
       wenn ihre Einwände gehört wurden, aber im Abwägungsprozess unterlegen
       sind.“ Das allerdings dürfte juristisch nicht ganz einfach umzusetzen sein.
       
       Man brauche vor allem auch eine präzisere und klarere Kompetenzverteilung
       zwischen den verschiedenen Ebenen auf Bundes-, Landes- und kommunaler
       Ebene, sagt der Planer Klug. In der komplexen Hierarchie von
       Landesraumordnung, regionaler Raumordnung und kommunalen
       Flächennutzungsplänen komme es sonst immer wieder zu Widersprüchen.
       
       Der Nabu reagierte sofort mit einer Pressemitteilung auf die Veranstaltung
       des LEE. Darin wirft der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann den
       Akteuren unter anderem vor, vor allem finanzielle Interessen zu vertreten
       und die Rückwirkungen auf das Ökosystem Wald und das Artensterben nicht
       hinreichend zu berücksichtigen. Er mahnte, man dürfe Windkraft nicht als
       Allheilmittel in der Energiewende betrachten. Stattdessen sollte lieber das
       Photovoltaikpotenzial ausgeschöpft werden.
       
       5 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-Klimaziele-und-der-Ukrainekrieg/!5837593
   DIR [2] /Streit-um-Waldnutzung/!5829660
   DIR [3] https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Gericht-kippt-Windkraftkonzept-der-Region-Hannover
   DIR [4] https://www.az-online.de/uelzen/stadt-uelzen/energieversorger-enbw-begruesst-urteil-des-ovg-lueneburg-91317616.html
   DIR [5] /Naturschutz-versus-Energiewende/!5610830
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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