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       # taz.de -- Tiktok-Comedian Toxische Pommes: Battleground Humor
       
       > Die Wienerin Toxische Pommes gehört zu einer neuen Generation Comedians.
       > Sie demaskieren auf Tiktok und Instagram die Dominanzgesellschaft.
       
   IMG Bild: Irina aka Toxische Pommes
       
       Was kann Humor? Nach unten treten, beispielsweise. Im Idealfall aber auch:
       nach oben. Er kann sich über bestehende Verhältnisse lustig machen oder
       über die Menschen, die sowieso schon von den Strukturen an den Rand
       gedrängt werden. [1][Vor allem ist Humor ein Schlachtfeld] zwischen denen,
       die schon immer die Fernsehplätze und Comedybühnen besetzt haben, und
       denen, die die Schenkelklopfer von einst [2][heute als rassistisch, misogyn
       oder klassistisch kritisieren].
       
       Und dann gibt es noch [3][Tiktok]. Die Plattform wächst seit einigen Jahren
       rapide, in der breiten Öffentlichkeit ist sie vor allem für tanzende
       Teenager bekannt. Gleichzeitig entwickelt sich das Medium aber zu einer
       Plattform für eine neue Generation von Comedians, die nicht auf
       Open-Mic-Nächten und in Poetry Slams ihre Routinen entwickelt haben,
       sondern in 15-sekündigen Sketchvideos. Eine von ihnen: Toxische Pommes.
       
       Innerhalb weniger Monate entwickelte sich die Juristin aus Wien zu einem
       deutschsprachigen Tiktok-Phänomen mit Zehntausenden Follower*innen und
       unzähligen kurzen Videos, in denen sie bourgeoise Jurist*innen auf die
       Schippe nimmt, rassistische Internettrolle, ihre vom Balkan stammende
       Familie oder die Verhältnisse an und für sich.
       
       Dabei schlüpft sie in Rollen. Laurenz etwa, der reiche Wiener Juraschnösel.
       Oder Renate, die österreichische Wiedergängerin der US-amerikanischen
       Klischeefigur „Karen“, dem Prototyp der alltagsrassistischen Spießbürgerin.
       Meist stellt sie eine kleine Alltagsszene nach oder eine
       Interviewsituation, da meint etwa Laurenz, dass Ungeimpfte ausschließlich
       an den hohen Coronazahlen schuld seien. Schnitt. In der nächsten
       Einstellung steht Toxische Pommes als Laurenz, diesmal im Skioutfit, vor
       einem Stockfoto einer Après-Ski-Hütte und feiert. Oft entsteht der Witz
       auch durch die Kombination mit dem kommentierenden Text auf dem Video.
       
       ## Humor auf persönliche Erfahrung bezogen
       
       Geplant war das alles nicht: „Im Lockdown hat mir eine Freundin die App
       gezeigt.“ Anfangs hatte sie Klischees über die Plattform im Kopf. „Aber
       dann habe ich gemerkt, wie viel ich bei diesen Videos gelacht habe, und
       dachte: Was, wenn ich nicht nur Zuschauerin bin, sondern auch selbst Dinge
       produziere, die ich lustig finde?“
       
       In Kroatien geboren und Anfang der Neunziger mit ihren Eltern nach
       Österreich geflohen, bezieht sich der Humor von Toxische Pommes, die im
       wahren Leben Irina heißt und alle weiteren Details über ihre Identität und
       ihr Leben für sich behält, vor allem auf persönliche Erfahrungen. Und zwar
       durchaus auch, wie es in ihrer Kanalbeschreibung steht, mit den „hässlichen
       Seiten des Lebens“ und den schmerzhaften. „Da gibt es einfach Themen in
       meiner Biografie, die mich aufgrund der Tatsache, dass ich
       [4][Migrationshintergrund] habe, beschäftigen. Comedy-Videos zu machen kann
       auch als eine Art persönliches Ventil zur Verarbeitung von Erlebnissen
       dienen, die nicht immer so toll waren.“
       
       ## Es zählen nicht nur Herzchen
       
       Der Künstlername verweist auf eine dieser Erfahrungen, eine toxische
       Beziehung, die sie kurz vor dem Start ihres Tiktok-Kanals beendet hatte,
       die Pommes dagegen stehen, wie könnte es anders sein, für ihr
       Lieblingsessen. Die Resonanz seit ihrem ersten Video im Juli 2020 war für
       die selbst erklärte Technik-Laiin ziemlich überwältigend: Der
       österreichische Radiosender FM4 wählte sie 2021 zur „Influencerin des
       Jahres“, sie drehte Videos mit Altmeister Josef Hader, absolvierte ihren
       ersten Liveauftritt als Stand-up-Comedian im Rahmen des Wiener Politically
       Correct Comic Club und erreicht mittlerweile 4,3 Millionen Likes auf
       Tiktok.
       
       Aber für sie zählen nicht nur die Herzchen unter den Videos, vielmehr ist
       Humor für Toxische Pommes ein Werkzeug: „Es tut gut zu sehen, dass andere
       Menschen ähnliche Erlebnisse gemacht haben, es tut auch seelisch gut, so
       einen empathischen Widerhall zu bekommen.“
       
       ## Werkzeug für Empowerment
       
       Dass Comedy ein Werkzeug für Empowerment sein kann, ist keine Neuigkeit: UN
       Women richtete 2018 schon Veranstaltungen mit dem Titel „Comedy for
       Equality“, also „Comedy für Gerechtigkeit“, aus, um „die Kraft des Lachens“
       für „Empowerment und Frieden“ zu nutzen. Mittels Humor können
       althergebrachte Stereotype und Ideologien infrage gestellt und einfach
       verständliche Werte wie die Gleichstellung der Geschlechter vermittelt
       werden. Ganz so ambitioniert sind Irinas Pläne nicht, aber auch sie sieht
       Comedy als eine Form des Empowerments, auch der Kommunikation: „Durch Humor
       kannst du an Leute herantreten und mit ihnen in eine Kommunikation kommen.
       Die meisten Menschen lachen gerne und es eröffnet eine niedrigschwellige
       Kommunikation, mit der man aber auch ernste Themen ansprechen kann.“
       
       Ihre Videos beziehen sich oft auf sehr spezifische Erfahrungen als Mensch
       mit postjugoslawischer Migrationsbiografie in Österreich – doch die
       dahinterliegenden Grundprobleme von rassistischer, sexistischer und
       klassistischer Ausgrenzung transzendieren die zugespitzt dargestellte
       Situation. „Ich sehe auch oft Videos, zu denen ich einen Bezug habe, obwohl
       mir nicht dasselbe widerfahren ist. Das verbindet, empowert und gibt dir
       das Gefühl, nicht allein zu sein. Humor ist ein sozialer Kleber. Er kann
       zeigen, okay, du bist mit deinen Erfahrungen nicht alleine. Er kann zu
       Denkprozessen anregen und verbinden.“
       
       ## Kritik annehmen
       
       Dazu gehöre auch, Kritik anzunehmen, mit ihr transparent umzugehen, Videos
       zu löschen oder zu verändern und offen mit dem Lernprozess umzugehen, wie
       Humor [5][neu und diskriminierungsarm gedacht werden kann]. Humor, der
       vermeintlich „politisch korrekt“ ist, bedeutet nicht, dass er weniger
       bissig sein muss. Im Gegenteil, er greift bestehende Machtverhältnisse in
       einer Gesellschaft an.
       
       Aber das bedeutet auch, dass es vielleicht einfach schwieriger ist, eine
       gute Punchline zu entwickeln, wenn man sich wie Toxische Pommes und
       internationale Vorbilder wie [6][Hannah Gadsby] nicht auf bestehende
       Klischees und Topoi der Comedy verlassen will. Auf Tiktok im Allgemeinen
       und dem deutschsprachigen im Besonderen gehört Toxische Pommes noch zu
       einer verhältnismäßig kleinen Nische von Comedy-Creators mit explizit
       progressiven Inhalten – aber einer, deren Publikum beständig wächst, wie es
       ihre Followerzahlen zeigen.
       
       ## Berechtigte Kritik
       
       Diese Ausdrucksformen stellen auf sozialen Medien natürlich nicht die
       Mehrheit. Insbesondere Tiktok und Instagram stehen nun schon seit geraumer
       Zeit unter berechtigter Kritik, weil die Plattformen Falschinformationen,
       Hetze, Mobbing und Hass dulden.
       
       Dabei gerät manchmal aber aus dem Fokus, dass soziale Medien trotz aller
       Unzulänglichkeiten immer noch auch jenen Mitsprache ermöglichen, die sonst
       keinen Zugang zum vorherrschenden Diskurs erlangen: „Dadurch, dass soziale
       Medien eine so leicht zugängliche Form von Meinungsäußerung sind, können
       sie auch Menschen eine Stimme geben, die sie sonst nicht so leicht hätten“,
       sagt Toxische Pommes.
       
       ## „Doch wieder in der Bubble“
       
       Die Sinnfrage stellt sich die Digitalsatirikerin allerdings trotzdem:
       „Manchmal denke ich mir: Du landest eben doch wieder in deiner Bubble. Ich
       weiß nicht, ob es die Menschen erreicht, die es wirklich betrifft, die ich
       kritisiere. Aber immerhin schreiben mir recht oft Leute, dass sie sich bei
       bestimmten Videos sehr ertappt fühlen.“
       
       Mit der Resonanz entsteht aber auch eine gewisse Verpflichtung, immer
       wieder neue Inhalte zu produzieren. Das ist schon nicht leicht für Leute,
       die dem Beruf in Vollzeit nachgehen. Für Irina ist die Comedy nur ein Hobby
       nach Feierabend von ihrem Vollzeitjob als Juristin. „Vor einem Jahr hätte
       ich gesagt, dass das Videodrehen so etwas ist wie vielleicht ein Sportklub.
       
       Aber mittlerweile merke ich, dass es vor allem mehr emotionale Arbeit ist
       und einen Einfluss auf mich hat. Es entsteht Druck, etwas Neues, aber auch
       etwas Sinnvolles mit dieser Plattform zu machen“, erzählt sie. „Ich habe
       jetzt diese Plattform, die viele nicht haben. Mache ich etwas Sinnvolles
       damit? Sollte ich etwas anderes machen? Soll ich sie jemand anderem geben,
       der etwas Sinnvolleres damit anfangen kann?“
       
       Was Sinn ergibt und was nicht, ist aber immer Auslegungssache. Die
       Tausenden Follower*innen von Toxische Pommes scheinen jedenfalls ihren
       persönlichen Sinn in Irinas Videos zu finden. Ob es nun das Gefühl ist,
       endlich verstanden zu sein, Selbstkritik – oder auch manchmal einfach nur
       ein ausgelassenes Lachen.
       
       2 Mar 2022
       
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