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       # taz.de -- Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: Ein sichereres Match
       
       > Immer mehr Ukraine-Flüchtlinge kommen in Berlin an. Am Hauptbahnhof soll
       > die private Vermittlung von Betten nun besser organisiert werden.
       
   IMG Bild: Ankunft am Hauptbahnhof mit dem Zug aus Warschau
       
       Berlin taz | Schon von Weitem zeichnet sich das große, weiße Zelt am
       Washingtonplatz vor der Silhouette des Hauptbahnhofs ab. Drinnen stehen
       Reihen von Bierbänken und Tischen, daneben kleine Stühle und Tische für
       Kinder. Buntstifte liegen bereit, auch ein Dreirad gibt es. Noch ist die
       Halle leer. Helfer treffen letzte Vorbereitungen, kleben Hinweisschilder
       mit einem großen Essbesteck und WC-Zeichen an die Wände. „Um 17 Uhr geht es
       los“, sagt Jens-Martin Krieg, Verantwortlicher von der Stadtmission, blaue
       Weste, schwarze Maske, Brille, am Mittwochmittag.
       
       Ab dann, so der Plan, sollen alle mit Zügen ankommenden Ukrainer*innen
       an Sammelpunkten [1][im Hauptbahnhof] in Empfang genommen werden. Wer in
       Berlin bleiben möchte, soll in das Zelt auf dem Vorplatz geleitet werden.
       Die „Wellcome Hall Land Berlin“, wie sie offiziell heißt, soll rund um die
       Uhr geöffnet sein und kann laut Krieg maximal 400 Menschen gleichzeitig
       aufnehmen.
       
       Sie sei eine Art erweiterte Wartehalle für die Erstversorgung, erklärt er.
       Die Leute könnten etwas essen, sich die Hände waschen und auf die Toilette
       gehen. „Das alles war ja bei langen Reise kaum möglich.“ Nach einer halben
       bis einen Stunde würden sie mit Sonderbussen zum Ankunftszentrum
       Reinickendorf gebracht. Dort werden sie vom Landesflüchtlingsamt
       untergebracht oder von Hilfsorganisationen in private Unterkünfte
       vermittelt.
       
       ## In organisierte Bahnen lenken
       
       Das Zelt ist Teil der Bemühungen des Landes Berlin, den Flüchtlingsstrom
       aus der Ukraine, der von Tag zu Tag größer wird, in organisierte Bahnen zu
       lenken. Bislang läuft die meiste Hilfe am Hauptbahnhof auf ehrenamtlicher
       Basis – doch je mehr Menschen kommen, desto chaotischer wird die Lage.
       Manchmal, wenn sich ein Zug verspätet und kurz danach schon der nächste aus
       Richtung Polen einläuft, tummeln sich 2.000 Menschen in der Zwischenetage
       UG1, wo die Ukraine-Hilfe bislang logiert.
       
       Inzwischen gibt es, lobt Diana Henniges von Moabit hilft, immerhin einen
       Krisenstab von Senatsverwaltung und Hilfsorganisationen, mit dem man das
       weitere Vorgehen besprechen kann. Doch offenbar gibt es noch
       Abstimmungsprobleme. So weiß Krieg von der Stadtmission nichts davon, dass
       ab sofort in dem Zelt am Washingtonplatz auch die neu organisierte
       Vermittlung zwischen Geflüchteten und Berliner*innen, die Betten oder
       Zimmer anbieten, stattfinden soll. Laut der Hilfsorganisationen Moabit
       hilft und Karuna soll diese ebenfalls ab Mittwoch dort starten.
       
       Bislang hatte Karuna im Untergeschoss auf Zuruf Schlafplatzangebote von
       Berliner*innen an Geflüchtete vermittelt und damit laut Karuna-Chef
       Jörg Richert an manchen Tagen bis zu 500 Familien untergebracht. Moabit
       hilft und andere hatten diese Art der unkontrollierten Vermittlung
       kritisiert – vor allem, weil sie womöglich Menschenhändler und sexistische
       Ausbeuter anlocke. „Diese Erfahrung“, sagt Henniges, „haben wir 2015/16 im
       Zuge des Lageso-Chaos leider wiederholt machen müssen.“ Auch die Polizei
       warnte am Mittwoch vor kriminellen Angeboten: Am Dienstag habe es Fälle
       gegeben, bei denen Männer Frauen dubiose Angebote gemacht hätten, sagte
       eine Sprecherin der Bundespolizei.
       
       ## Private Vermittlungsbörse
       
       Die neue private Vermittlungsbörse soll laut Henniges und Richert so
       funktionieren: Im Zelt soll es einen Bereich geben mit Computern, auf denen
       die Helfer*innen von Karuna Zugriff auf die Datenbank von
       [2][www.unterkunft-ukraine.de] haben. Dort hätten in den vergangenen Tagen
       rund 10.000 Berliner*innen angegeben, für wie viel Personen sie Platz
       haben und welche Sprachen sie sprechen, erklärt Richert. Die
       Helfer*innen schauen in der Datenbank nach einem passenden Angebot für
       Geflüchtete, die in Berlin bleiben wollen. „Wenn wir ein ‚match‘ haben,
       rufen wir an, und bitten die Berliner*innen, zu kommen.“
       
       Noch sei allerdings unklar, wo das Treffen dann stattfinden soll, so
       Richert: Nach derzeitiger Planung sollen die Geflüchteten ihre Gastfamilien
       am Ankunftszentrum treffen. Auf jeden Fall werde deren Personalausweis
       kopiert, ergänzt Henniges: „Wir hoffen, dass das Menschen abschreckt, die
       Böses vorhaben.“ Zudem bekommen Anbietende und Suchende etwas Zeit, sich
       kennen zu lernen. Nach zwei Tagen sollen die Familien kontaktiert werden,
       um zu kontrollieren, ob die Unterbringung klappt.
       
       Henniges lobt, dass der Senat auf die Kritik reagiert habe und man dieses
       neue Vermittlungssystem ersonnen hat. „Die Senatsverwaltung macht diesmal
       einen deutlich besseren Job als 2015“, sagt sie – vor allem, indem sie
       versuche, „mit den Hilfsorganisationen in Kommunikation zu treten“.
       
       Allerdings klappt das wohl nicht immer. Schlecht und gar nicht im Sinne der
       ehrenamtlichen Hilfe, findet Henniges, sei etwa, Sachspenden ab sofort
       zentral am ehemaligen Flughafen Tempelhof abzugeben, wie es [3][die
       Integrationsverwaltung am Montag per Twitter] forderte. „Wir haben das auf
       Bezirksebene gerade sehr gut organisiert. Es ist viel zu viel Aufwand, die
       Spenden zentral zu verwalten und dann wieder verteilen zu müssen.“
       
       In jedem Bezirk gibt es laut Henniges Vereine, Freiwilligenagenturen und
       Stadtteilzentren, die Spenden annehmen und an die Kriegsflüchtlinge
       austeilen, entweder direkt oder indem sie den Hauptbahnhof oder den ZOB
       beliefern. Wenn in den Bezirken nun wegen des Aufrufs der Senatsverwaltung
       die Spenden ausblieben, sei das ein Riesenproblem, so Henniges. „Wir machen
       Taschen mit Starterpaketen mit Essen, Einkaufsgutscheinen und Informationen
       auf Ukrainisch.“
       
       Dafür sei man auf Spenden und auf die weitere Belieferung der Geflüchteten
       mit Lebensmitteln und anderem angewiesen. „Die Leute sind völlig mittellos,
       ihre EC-Karten funktionieren nicht, sie haben nichts.“ Manche Menschen
       säßen sogar in teuren Hotelzimmern, die Berliner*innen für Geflüchtete
       angemietet haben, und hätten Hunger. „Wenn wir davon erfahren, bringen wir
       Essen vorbei. Wir werden sogar von Spitzenrestaurants gecatert, die sich
       engagieren.“ Diese dezentralen Hilfsstrukturen dürften nicht zerstört
       werden, appelliert Henniges an Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke).
       
       ## Hinweise sucht man vergebens
       
       Davon profitieren auch die Hilfen im Untergeschoss des Bahnhofs – wohin
       unter anderem Moabit hilft jeden Tag Lebensmittel, Drogeriewaren,
       Sim-Karten und andere Hilfsgüter bringt. Auf der Brücke, die zu den Gleisen
       2 bis 7 führt, ist das Gedränge schon am Mittag groß. Eine Ehrenamtliche
       mit neongelber Weste mit einen Einkaufswagen voller Kaffeekannen bahnt sich
       den Weg durch die Geflüchteten, meist Frauen und Kinder. Die improvisierten
       Stände, an denen es Brötchen, Obst und Getränke gibt, sind dicht umringt.
       
       Hinweise, die die Menschen zum Zelt oben leiten sollen, sucht man
       vergebens. Nicht mal einen Hinweis, wo es zu den Fernzügen gehe, habe die
       Bahn in den letzten vier Tagen geregelt bekommen, schimpft eine
       Ehrenamtliche. Für eine alte Frau, die ihr mit zitternden Händen einen
       Zettel hinhält, durchforstet sie ihr Handy nach dem nächsten Zug nach
       München. Kaum damit fertig, wird sie von anderen Frauen mit Fragen
       bestürmt.
       
       9 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gefluechtete-aus-der-Ukraine/!5839669
   DIR [2] http://www.unterkunft-ukraine.de
   DIR [3] https://twitter.com/SenIAS_Berlin/status/1500869910527893514
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
   DIR Plutonia Plarre
       
       ## TAGS
       
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