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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: „Klare Worte sind wichtig“
       
       > Der Krieg beschäftigt auch die Schulen. Die Berliner Lehrerin Maria
       > Mutjewa macht derzeit „kollegiale Erstberatungen“ an den Schulen.
       
   IMG Bild: Kinder aus dem ukrainischen Odessa bei ihrer Ankunft in Berlin am 4. März
       
       taz: Frau Mutjewa, Sie sind eine der Referent*innen, die derzeit im Auftrag
       der Bildungsverwaltung Schulen beraten, wie sie mit dem Ukrainekrieg
       umgehen können – mit Fragen der Kinder, mit geflüchteten Kindern, die nun
       in die Schulen kommen werden. Sie unterrichten selbst an einer
       Lichtenberger Schule: Auf welche Fragen brauchen Schulen jetzt Antworten? 
       
       Maria Mutjewa: Der [1][Krieg hat uns überrollt], niemand war auf eine
       solche Situation vorbereitet. Die Konzepte sind noch im Entstehen. Deshalb
       ist es gut, dass jetzt relativ schnell Strukturen dafür aufgebaut werden.
       In der Verwaltung gibt es eine Fachgruppe, die dazu eine Strategie
       entwickelt, da bin ich involviert.
       
       Worüber sprechen Sie da? 
       
       Es geht zum einen um die Fortbildung von Lehrkräften, zum anderen um die
       emotionalen Bedürfnisse der Kinder. Es wird ein Pool von Referent*innen
       aufgebaut, die Workshops für Lehrkräfte und Erzieher*innen an Schulen
       geben können. Die Fachgruppe Gesellschaftswissenschaften hat bereits eine
       Sammlung mit Unterrichtsmaterial erstellt. Es wird zudem eine komplette
       Fortbildungsreihe ausgearbeitet: Da geht es um Traumapädagogik und
       Konfliktmanagement – das wird wichtig werden, wenn geflüchtete
       Schüler*innen in Klassen kommen, wo es russischstämmige Kinder gibt.
       
       Was raten Sie den Lehrkräften konkret? 
       
       Ich habe bisher eine Fortbildung gegeben. Da ging es vor allem darum, wie
       man den Unterricht nutzt, um sich mit Fragen der Kinder und Jugendlichen
       zum Krieg auseinanderzusetzen. Bei den Älteren hat man ja Fächer wie
       Politik und Ethik. Aber in den Grundschulen gibt es manchmal
       Verunsicherung, wie man mit jüngeren Kindern den Krieg thematisieren kann –
       und ob man das überhaupt tun sollte.
       
       Sollte man? 
       
       Ich glaube, es ist wichtig, nichts zu verschweigen, denn dadurch entwickeln
       sich Ängste erst recht. Klare Worte sind wichtig. Es muss erstens darum
       gehen, den Kindern zu vermitteln: Es gibt eine Lösung für diesen schlimmen
       Konflikt, und die Erwachsenen werden es schaffen, diese Lösung zu finden.
       Und, zweitens, den Kindern durch Projekte und Aktionen ein Gefühl von
       Selbstwirksamkeit zu geben.
       
       Was meinen Sie damit? 
       
       Zum Beispiel Spenden sammeln, für den Frieden singen oder Antikriegsplakate
       malen. An meiner Schule haben sich die Kinder zu einem großen Peace-Zeichen
       auf dem Schulhof aufgestellt, eine Drohne hat davon Luftbilder gemacht. Ich
       selbst habe in einer 9. Klasse darüber gesprochen, welche innenpolitischen
       Mechanismen es in Deutschland gibt, damit die demokratischen Strukturen
       stabil bleiben.
       
       Erleben Sie, dass der Krieg russischstämmige Familien in Berlin spaltet? 
       
       Viele aus der liberalen russischen Community hatten wohl unterschätzt, wie
       wirksam [2][die russische Propaganda] in großen Teilen der
       russischstämmigen Bevölkerung war und ist. Das spiegelt sich auch hier
       wider – insbesondere in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, wo viele
       russischstämmige Familien wohnen. Seit Beginn des Krieges versuche ich in
       russischsprachigen sozialen Medien Hilfsangebote zu vernetzen und zu
       informieren – über die Solidaritätsaktionen und Demonstrationen hier. Dafür
       ernte ich aus Russland auch viel Hass. In Berlin [3][stehen aber viele
       russische und ukrainische Bürger*innen jetzt zusammen].
       
       Tragen die Kinder auch politische Konflikte von zu Hause in die Schule? 
       
       Ich erzähle Ihnen ein reales Beispiel: In einer Unterrichtstunde von mir
       saßen drei Kinder aus russischstämmigen Familien, die quasi die Propaganda
       des russischen Außenministers wiedergegeben haben: von der Nato, die sich
       auf Kosten Russlands nach Osten erweitern wolle etc. Sie haben zwar gesagt,
       sie seien natürlich auch gegen Krieg – dann kam das „Aber“. Dabei haben sie
       gar nicht gemerkt, dass ein Mädchen angefangen hatte zu weinen. Deren
       Mutter kommt aus der Ukraine, die Großmutter ist dort in einem umkämpften
       Gebiet. An solchen Punkten hört die Diskussion auf. Da muss ich als
       Lehrerin Schutzräume für das Kind schaffen.
       
       Gibt es für die Aufgaben, die jetzt auf die Schulen zukommen, genug
       Personal? 
       
       Es müssen jetzt zwei Dinge ermittelt werden: Wie viele schulpflichtige
       Kinder aus der Ukraine sind hier offiziell registriert, und wo sind diese
       Kinder? Viele Familien haben sich bisher gar nicht registriert, weil ihr
       Status als Geflüchtete zunächst unklar war. Dann versucht die
       Bildungsverwaltung herauszufinden, wie viele russisch- und
       ukrainischsprachige Lehrkräfte in Berlin eine Ausbildung für Deutsch als
       Zweitsprache haben. Aber selbst wenn man Personal finden sollte, was
       angesichts des ohnehin schon vorhandenen Lehrermangels nicht einfach sein
       dürfte: Die Räume in den Schulen fehlen, und die bestehenden
       Willkommensklassen sind schon ausgelastet.
       
       [4][2015, als Willkommensklassen für syrische Kinder aufgemacht wurden],
       war eine Kritik: Der Job in den Willkommensklassen ist unattraktiv, weil
       schlechter bezahlt, und grundsätzlich gibt es nur befristete
       Einjahresverträge. 
       
       Ja, das ist leider häufig der Fall. Und zugleich ist der Job in der
       Willkommensklasse alles andere als ein einfacher, da sind häufig Kinder,
       die traumatisiert sind von dem, was sie erlebt haben, oder wenig
       Schulbildung erfahren haben.
       
       Aber ist es nicht die Hauptsache, die Kinder in die Schulen zu bekommen –
       ihnen überhaupt ein Angebot zu machen?
       
       Das stimmt. Ich sage nur: Es gibt kaum noch Ressourcen in dem knapp
       ausgestatteten System Schule für diese neue Herausforderung, die eine Menge
       schwierige Konflikte mitbringen könnte. Ich sehe aber auch: Die
       Bildungsverwaltung arbeitet in dieser Krisensituation hart und ist bemüht,
       Lösungen zu finden – etwa indem man auch Lehrkräfte unter den Geflüchteten
       ansprechen will. Wichtig wird auch sein, ob es im Doppelhaushalt, der ja
       noch verabschiedet werden muss, genügend Mittel für die Schulen gibt, um
       diese Herausforderungen zu meistern.
       
       Es gibt auch Kritik an den Willkommensklassen, manche finden, sie behindere
       eher Integration. Was denken Sie? 
       
       Da kommt es auf das Kind und die Schule an. Da ist vielleicht der
       Jugendliche aus einer ukrainischen Großstadt, der Englisch spricht, super
       in Naturwissenschaften ist und schon ein bisschen Deutsch kann, besser in
       einer normalen Klasse aufgehoben mit noch ein paar Extra-Deutschstunden am
       Nachmittag. Und dann gibt es vielleicht den – für den wäre eine
       Willkommensklasse besser. Aber ich fürchte, die Schulämter werden nicht so
       viel Ressourcen und Zeit haben, individuell zu entscheiden.
       
       11 Mar 2022
       
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