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       # taz.de -- Kultur und Lärmschutz: Draußen wird es immer lauter
       
       > Open-Air-Kultur gewinnt in der Pandemie an Bedeutung – und macht Krach.
       > Im Holzmarkt wurde über am Mittwoch Lärmschutz in der Großstadt
       > diskutiert.
       
   IMG Bild: Gut, dass da keiner mehr wohnt: Freiluftkino am Schloss Charlottenburg, Sommer 2021
       
       Das Grauen hat einen Namen: tieffrequente Geräusche, auch bekannt als
       Brummtöne. Kaum akustisch wahrnehmbar, sorgen sie für Herzrasen,
       Bluthochdruck oder dafür, dass im Küchenregal die Tassen scheppern.
       Tieffrequenter Schall kann kilometerweit getragen werden und kriecht von
       überall heran, von Industrieanlagen etwa oder Windrädern. Und von Partys.
       Weit entfernt von diesen nehmen Anwohner keine Musik mehr wahr, sondern nur
       noch ein dumpfes, permanentes Bumbum. Und drehen durch.
       
       Wie also umgehen mit tieffreqenten Geräuschen? Das war die Hauptfrage auf
       der eintägigen Konferenz „[1][Klang.Raum.Stadt]“ über Lärmkonflikte im
       Spannungsfeld kultureller Veranstaltungen, die am Mittwoch auf dem Gelände
       des Holzmarkt 25 stattfand. Geladen war ein Fachpublikum aus Politikern,
       Vertretern von Verwaltungsämtern und Kulturveranstaltern.
       
       Eine der Erkenntnisse: Die Brisanz des Problems mit tieffrequenten
       Geräuschen wird im zunehmend verdichteten urbanen Raum massiv zunehmen. Die
       Studienlage ist trotzdem dünn, immer noch ist nicht hundertprozentig klar,
       was tieffrequenter Schall genau auslösen kann und wie mit ihm umzugehen
       ist. Verkehrslärm sei ausgiebig untersucht, sagte [2][André Fiebig],
       Professor für Psychoakustik an der TU Berlin. Bei tieffrequentem Schall
       dagegen gebe es noch ordentlichen Forschungsbedarf.
       
       Es ist wohl kein Zufall, dass die Konferenz jetzt stattfand: Der Frühling
       steht vor der Tür, Kultursenator Klaus Lederer hat einen „Kultursommer“
       versprochen, und auch die „[3][Draußenstadt]“ soll es wieder geben, buntes
       und vielfältiges Kulturleben im öffentlichen Raum. Draußen ist wegen Corona
       schließlich immer noch besser als drinnen.
       
       ## Ringen um Lärmschutzauflagen
       
       Das Ringen zwischen Kulturveranstaltern und Umweltämtern wird also wieder
       beginnen, gerungen wird vor allem um Lärmschutzauflagen. Die Hoffnung ist,
       dass es in diesem Sommer besser laufen wird als im letzten, wo viele
       Berliner Ämter sich gerade mal dazu überreden ließen, trostlose Parkplätze
       für Partys oder sonstige Kulturevents zur Verfügung zu stellen.
       Veranstalter Ran Huber sagte der taz, der Lärmschutz in den meisten
       Berliner Bezirken sei „total restriktiv“ gehandhabt worden.
       
       Lärmschutz sei eben der neue Brandschutz, hieß es an einer Stelle der
       Konferenz dann auch. Und Brandschutz ist bekanntlich etwas, mit dem sich
       nicht nur der [4][BER jahrelang] herumschlug. Er gehöre reformiert, da
       waren sich sämtliche Fachleute auf der Konferenz vom Juristen bis zum
       Professor für Audiokommunikation einig, um der Stadt von heute mit ihrer
       soziokulturellen Durchmischung gerecht zu werden.
       
       Ein Stadtteilfest in Charlottenburg etwa müsse um 20 Uhr beendet werden,
       hieß es auf dem Podium. Wegen des Lärmschutzes. Ist das angemessen für eine
       Großstadt? Und selbst eine Open-Air-Spielstätte, die keine Nachbarn
       belästige, dürfe pro Jahr nur eine begrenzte Anzahl von Events
       organisieren. Auch das sei ein Beispiel für zu viel Bürokratie beim
       Lärmschutz. Der Holzmarkt 25 selbst, der Ort der Veranstaltung, hat
       übrigens ebenfalls schon so seine Erfahrungen mit dem Thema gemacht. Ein
       ambitioniertes Bauvorhaben, das gleich hier ums Eck geplant war, wurde vom
       Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestoppt. Begründung, natürlich: Probleme
       mit dem Lärmschutz.
       
       Das Thema ist also vielschichtig und komplex. Menschen reagieren immer
       empfindlicher auf Lärm, der gleichzeitig immer mehr zunimmt. Die Bezirke
       wollen Kunst und Kultur, aber möglichst ohne Folgen für die Anwohner. Eine
       durch Corona und jetzt auch noch durch einen Krieg gereizte Gesellschaft
       muss irgendwie zusammenkommen und sich gegenseitig Toleranz erweisen, was
       immer unmöglicher zu sein scheint. Bekommen Anwohner auch nur zu hören,
       dass es in der Umgebung eine Open-Air-Veranstaltung geben werde, fühlten
       sie sich schon belästigt, führte André Fiebig von der TU aus. Sie würden an
       Alkoholkonsum und Verschmutzungen denken, auch wenn sie von den Events
       akustisch gar nichts mitbekämen. Konfliktlösung könne nur darin bestehen,
       mit den Nachbarn zu reden und „eine Kultur der Rücksichtnahme“ zu
       entwickeln.
       
       Torsten Wöhlert, Berlins Staatssektretär für Kultur, stellte am Ende der
       Konferenz dann die große Frage, die sicherlich zu dieser gegenseitigen
       Rücksichtnahme beitragen könnte, wenn sie jeder und jede mit etwas gutem
       Willen für sich beantworten würde. Sie lautet: „Was ist Lärm? Und was ist
       ein Geräusch, an das wir uns gewöhnen könnten?“
       
       10 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.holzmarkt.com/veranstaltung/klangraumstadt
   DIR [2] https://www.akustik.tu-berlin.de/menue/ueber_uns/team/prof_drphil_andre_fiebig/
   DIR [3] /Start-des-Draussenstadt-Projekts/!5786127
   DIR [4] /Neues-vom-Grosspannenflughafen/!5041139
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
       ## TAGS
       
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