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       # taz.de -- Batteriefabrik mit 3.000 Arbeitsplätzen: Windkraft trägt jetzt Früchte
       
       > Die schwedische Firma Northvolt könnte in Heide eine Gigafabrik für
       > Autobatterien bauen. Schleswig-Holstein will Industrieland werden.
       
   IMG Bild: Dort, wo heute Schafe grasen, soll dank Windenergie eine Gigafabrik für Autobatterien entstehen
       
       Bremen taz | Die Ortschaft Heide, 20.000 Einwohner*innen, Teil der
       strukturschwachen Westküste Schleswig Holsteins, bekannt oder auch nicht
       für seinen Wasserturm und den größten Marktplatz Deutschlands, Heide also
       wird zur „Hoffnungsregion“ für ganz Schleswig-Holstein, so nennt das
       Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP).
       
       Von Heide aus nämlich soll die Elektrifizierung deutscher Autos
       vorangetrieben werden: Northvolt, schwedischer Produzent von Autobatterien,
       plant hier seine dritte große Fabrik. 3.000 Arbeitsplätze sollen dort bis
       Ende 2025 entstehen, allein in der Fabrik selbst. „Vom Staplerfahrer hin
       zur Prozessingenieurin lauter spannende Berufsfelder“, schwärmt
       Ministerpräsident Daniel Günther (CDU).
       
       Zum Vergleich: [1][Bei Tesla in Brandenburg entstehen] insgesamt 14.000
       Arbeitsplätze, davon aber nur 2.000 im Bereich der Batterieproduktion. Die
       Landesregierung rechnet außerdem mit einer großen Sogwirkung:
       Zuliefererbetriebe werden sich ansiedeln und andere Industrien, die durch
       Northvolt die Region rund um Heide erst auf die Landkarte bekommen.
       
       Der Markt für Autobatterien wächst rasant: Aktuell baut Northvolt noch an
       seinem neuesten Werk in Nordschweden, doch schon jetzt steht fest, dass die
       Nachfrage dort ab 2025 nicht mehr gedeckt werden kann. Für Deutschland
       entschied sich die Firma wegen der vielen Kunden, sprich Autokonzerne, die
       hier sitzen.
       
       ## Windenergie ist die neue Kohle
       
       Für Heide spricht die Lage und die Verbindung nach Skandinavien, aber auch
       der Überfluss an nachhaltig produziertem Strom. Schließlich will Northvolt
       die grünsten Batterien überhaupt produzieren. Peter Carlsson spricht von
       der Region rund um Heide als „Clean Energy Valley“ – ein Kompliment, das
       gut ankommt: „Wir nennen das hier seit gestern nur noch so“, sagt Dirk
       Burmeister, Vorstand der Entwicklungsagentur Region Heide.
       
       Auf diesen Effekt der Windenergie im Land hatte man in [2][Schleswig
       Holstein lange gehofft]. Bisher wurde der Strom im Land nur produziert und
       weitergeleitet in die Industrieregionen im Westen und Süden. „Es fehlte die
       echte Wertschöpfung, die Veredelung“, sagt Jannick Schwender von der
       Entwicklungsagentur. Für seinen Kollegen Burmeister war der Erfolg nur eine
       Frage der Zeit. „Da, wo die Kohle war, im Ruhrpott, hat sich früher die
       Industrie angesiedelt. Das wird jetzt wieder so sein. Nur dass die Kohle
       eben die Windkraft ist.“
       
       ## Erfolg über interkommunale Zusammenarbeit
       
       Die Entwicklungsagentur für die sie arbeiten, ist ein interkommunale
       Institution. 2012 hatten Heide und elf Umlandgemeinden gegründet, um
       Industrieansiedlungen wieder möglich zu machen: Die Stadt hatte Geld und
       Planungsressourcen, die Kommunen drumherum noch freie Flächen.
       
       Mit einem Erfolg wie dem mit Northvolt hatte man wohl selber kaum
       gerechnet: „Heute, in einer Phase der Stagnation und des allmählichen
       Rückgangs der Einwohnerzahlen, müssen neue Entwicklungsstrategien gefunden
       werden“, schreibt die Agentur auf ihrer Webseite. „Nicht mehr das Wachstum,
       sondern die Qualität der Lebensverhältnisse muss im Zentrum stehen.“
       
       Dass es jetzt offenbar trotzdem mit dem Wachstum klappt, liegt auch an der
       Zusammenarbeit, daran, dass man bereits vor Jahren alle Planungen
       zusammengeführt hat – so sieht man das in Schleswig-Holstein, so bestätigt
       das aber auch CEO Carlsson. „Eine Fabrik dieser Größe“, sagt er auf
       Englisch, „ist eine große Aufgabe, es berührt das gesamte Ökosystem einer
       Region.“ Zuliefererbetriebe müssen dazuziehen, Verkehrswege ausgebaut
       werden, Menschen umziehen. „Ohne ein starkes Bekenntnis auf allen Ebenen
       geht das nicht.“
       
       ## Engagement heißt auch: Northvolt will Fördergeld
       
       Tatsächlich müssen Land und Region einiges in Bewegung setzen: Schulen
       müssen vergrößert, Straßen ausgebaut werden. Allein für die Werksfläche
       werden dem Unternehmen 155 Hektar direkt an der Autobahn bereitgestellt –
       eine Fläche, die bisher auf Bebauungsplänen noch gar nicht als
       Gewerbegebiet ausgeschrieben war.
       
       Für Zulieferbetriebe könnte es rund um Heide knapp werden: Nur noch
       kleinere Flächen stehen in den zwölf Gemeinden der Entwicklungsregion
       selbst zur Verfügung. „Es wird eben Ausstrahlung auf die gesamte Westküste,
       das ganze Bundesland geben“, glaubt Burmeister
       
       Das Engagement, das Carlsson so lobt und fordert, heißt auch: finanzielles
       Engagement, sprich Fördergelder. Eine fixe Zusage für eine bestimmte Summe
       gibt es noch nicht vom Bund; dass eine Förderung kommt, gilt aber als
       sicher.
       
       Tesla hatte vor einigen Monaten für sein Batteriewerk in Brandenburg über
       eine Milliarde Euro bewilligt bekommen. Das Unternehmen schlug die
       Fördersumme aus. Das Geld, so hieß es im November aus dem
       Bundeswirtschaftsministerium, stehe „nun für andere Vorhaben zur
       Verfügung“. Die Landesregierung in Schleswig Holstein will selbst mit 50
       Millionen Euro fördern; nach dem Muster im Fall Tesla könnten vom Bund noch
       etwa 500 Millionen Euro obendrauf kommen.
       
       Dass überhaupt gefördert werden darf, liegt an einer [3][Entscheidung der
       EU von 2018.] Die Kommission stellte damals fest, dass Europa die
       profitabelsten Bereiche des Autobaus der Zukunft aus der Hand gegeben
       hatte: Zu dem Zeitpunkt gab es auf dem Kontinent keine einzige größere
       Batterieproduktion, angewiesen war man damit ganz auf Asien und Amerika.
       Nun dürfen die Mitgliedsstaaten Batteriewerke subventionieren – aufgrund
       der Gefahr von Wettbewerbsverzerrung gibt es dafür sonst enge Grenzen.
       
       ## Es gibt noch Hürden
       
       Freilich: Ein „Memorandum of Understanding“ gibt es seit Februar zwischen
       Land, Region und Unternehmen. Ein fester Vertrag aber ist das nicht. Die
       Ansiedlung „ist noch kein Selbstläufer“, mahnt Wirtschaftsminister Bernd
       Buchholz. „Noch ist viel zu tun, insbesondere bei der Infrastruktur.“
       
       Fachkräfte in die Region zu holen, ist eine dieser Herausforderungen. Die
       Fachhochschule in Heide soll neue Studiengänge einrichten, so die Pläne von
       Land und Region, das Berufsbildungszentrum neue Ausbildungsberufe anbieten.
       Und Hoffnung setzt man auf das bereits existierende
       Batterieforschungszentrum „Fraunhofer ISIT“ in Itzehoe – einige junge
       Forschende aus der Branche sind so bereits in der Region.
       
       Northvolt ist optimistisch: Als nachhaltig orientiertes Unternehmen seien
       sie ein begehrter Arbeitgeber, sagt CEO Carlsson in der gemeinsamen
       Pressekonferenz. 2021 habe es auf 1.700 freie Stellen über 100.000
       Bewerbungen gegeben. Und dass, obwohl das neue Werk in Nordschweden
       ebenfalls in einer dünn besiedelten Region liegt.
       
       Das Unternehmen macht aber auch klar, dass nicht alle Arbeitskräfte aus in
       Schleswig-Holstein kommen oder hier leben werden: Man rechnet damit, dass
       gerade internationale Fachkräfte aus Hamburg pendeln werden. „Northvolt
       denkt da vielleicht etwas großräumiger, als wir es vielleicht manchmal
       gewohnt sind“, sagt Buchholz.
       
       Schon jetzt fährt ein paar mal am Tag ein IC direkt von Hamburg-Harburg bis
       nach Heide; 1:45 Stunde dauert die Strecke. Die Verbindung muss schneller
       werden: Eine Fahrtzeit von unter einer Stunde stellt sich Northvolt vor –
       für viele Pendler*innen das, was gerade noch akzeptiert wird. Beim Bund
       hat Schleswig-Holstein deshalb bereits höhere Regionalisierungsmittel
       beantragt, um die Strecke elektrifizieren zu können. Wenn alles glatt
       läuft, rückt Heide in den nächsten Jahren damit näher an die Metropole.
       
       19 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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