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       # taz.de -- Interview Russen gegen den Krieg: „Viele in Russland denken wie wir“
       
       > Olga Fishkis hat mit anderen Russen in Deutschland eine Stellungnahme
       > gegen den Krieg in der Ukraine veröffentlicht.
       
   IMG Bild: Schon beim Karneval haben Russ*innen gegen Putins Krieg die Stimme erhoben
       
       taz: Was war für Sie der Auslöser, sich gerade als Russin gegen den
       [1][Krieg gegen die Ukraine] zu positionieren, Frau Fishkis? 
       
       Olga Fishkis: In der ersten Woche des Krieges war es nur ein Schockzustand,
       aber dann kam ganz klar das Bedürfnis, sich öffentlich gegen Krieg und
       gegen Putin zu äußern. Ich hatte überlegt, der Stadtzeitung eine
       Stellungnahme zu schicken, aber dann dachte ich, dass bestimmt viele andere
       Russen in Göttingen so denken wie ich. Und dass es gut wäre, sie zu finden.
       Und so entstand unsere Whatsapp-Gruppe, und wir haben gemeinsam eine
       Stellungnahme erarbeitet, die wir an das Göttinger Tageblatt geschickt
       haben.
       
       Wie groß ist die Gruppe jetzt? 
       
       In der Whatsapp-Gruppe sind 38 Teilnehmer; die Stellungnahme haben bislang
       49 Leute unterschrieben.
       
       Gibt es so etwas wie eine russische Community in Göttingen, die sich
       untereinander austauscht? 
       
       Nein, die gab es nicht. Ich kannte nur Russen aus dem russischen Verein,
       wohin meine Kinder gingen, um Russisch zu lernen. Dorthin habe ich den Link
       zur Whatsapp-Gruppe zuerst geschickt, und es sind ein paar Eltern
       dazugestoßen, aber nicht viele. Dann habe ich die Petition über das
       International Office der Uni Göttingen an viele russischstämmige
       Studierende verschickt – das war das Ausschlaggebende. Einige Leute wollten
       mitmachen und haben sich auch bei der Whatsapp-Gruppe angemeldet.
       
       Hatten Sie sich noch mehr Reaktionen erhofft, etwa vom russischen Verein? 
       
       Ja, das hatte ich.
       
       Wie deuten Sie die Zurückhaltung – ist das Vorsicht oder Zustimmung zu
       Putins Kurs? 
       
       Ich kann es nicht beurteilen. Ich weiß, dass es auch unter den Leuten, die
       die Petition gegen den Krieg unterschrieben haben, einige gibt, die sich
       Sorgen machen. Sie wollten trotzdem, dass ihr Name darunter steht. Manche
       müssen dann vielleicht nach dem Studium nach Russland zurückkehren, manche
       haben ihre Eltern in Russland und fürchten, dass ihnen ihre Äußerung
       schaden könnte. Es gab auch Leute, die mir sagten: Wir denken genau so, wie
       es in der Petition steht. Aber wir sind jetzt nicht bereit zu
       unterschreiben, weil wir das Risiko nicht eingehen möchten.
       
       Haben Sie selbst auch Sorge um Angehörige in Russland, wenn Sie sich hier
       in Deutschland dagegen positionieren? 
       
       Ich habe meinen Onkel in Moskau. Ich hoffe, dass er keine Nachteile dadurch
       bekommt.
       
       Ist Ihre Hoffnung auch, dass Ihre Haltung in Russland wahrgenommen wird? 
       
       Für uns in unserer Gruppe spielt es eine Rolle, dass wir die Meinung vieler
       Russen mit dieser Petition äußern, die sie selber in Russland nicht äußern
       können, weil sie sich [2][damit in Gefahr bringen]. Und wir wissen, dass
       viele von unseren Freunden, die in Russland sind, so denken wie wir. Aber
       sie haben auch Familien und wollen nicht einfach ins Gefängnis kommen.
       
       Wie ist das Echo in Deutschland? 
       
       Es ist eine sonderbare Dissonanz: Wir bekommen dafür, dass wir hier unsere
       Meinung äußern, eher positive Rückmeldungen. Und die Leute in Russland, die
       mit einem Blatt demonstrieren, auf dem mit Sternchen statt Buchstaben „Nein
       zum Krieg“ geschrieben steht, werden zur Polizeistation geschleppt. Das ist
       bitter.
       
       Sie haben eine Petition veröffentlicht, Sie rufen zu einer Demo auf. Haben
       Sie noch weitere Pläne? 
       
       Es viele Leute unter uns, die spenden, übersetzen oder jetzt geflüchtete
       Ukrainer unterbringen. Aber das machen wir nicht als Gruppe, sondern als
       Einzelne. Nach der Demo werden wir überlegen, was wir weiter als Gruppe
       machen.
       
       Was machen Sie da für Erfahrungen: Russische Familien, die ukrainische
       Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen? 
       
       Ich kann die Frage nur für mich beantworten, weil ich nicht weiß, wie es in
       anderen Fällen war. Bei mir sind seit gestern zwei Ukrainerinnen aus Odessa
       untergebracht. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie ein Problem mit mir als
       Russin haben. Vielleicht gab es am Anfang eine ganz kurze Pause, als ich
       gesagt habe, dass ich aus Moskau komme, aber als ich ganz klar gesagt habe,
       was ich über den Krieg denke, war es nicht mehr Thema. Ich habe zu meiner
       Verteidigung und Entschuldigung angefangen, davon zu reden, dass ich mich
       jetzt nicht trauen würde – selbst wenn es Flüge gäbe – nach Russland zu
       fliegen und da zu protestieren. Da haben sie viel Verständnis gezeigt und
       gesagt: „Aber selbstverständlich, Sie haben doch Kinder.“
       
       16 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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