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       # taz.de -- Eskalation in der Ostukraine: Angst vor Entgrenzung
       
       > Nach der Anerkennung der „Volksrepubliken“ durch Moskau mahnt der
       > ukrainische Präsident zur Ruhe. Die Frage ist: Geht es um weitere
       > Gebiete?
       
   IMG Bild: Ukrainische Grenzschützer an der Grenze zum Separatistengebiet in der Ostukraine am 21. Februar
       
       Kiew taz | Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat am späten
       Montagabend [1][nach Bekanntwerden der Anerkennung der „Volksrepubliken“
       Donezk und Luhansk durch Russland] in einer Rede an das Volk zu Ruhe und
       Besonnenheit aufgerufen. Unabhängig von der Moskauer Entscheidung, so
       Selenski, sei festzuhalten, dass die Grenzen der Ukraine so blieben, wie
       sie international anerkannt seien. Die jüngsten Handlungen Russlands seien
       eine Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine.
       
       Nun werde sich die Ukraine an verschiedene Organisationen wenden, darunter
       den UN-Sicherheitsrat, die OSZE, die Unterzeichner des Budapester
       Memorandums sowie die Mitglieder des Normandie-Formats. „Wir lassen uns
       nicht provozieren. Unsere Grenzen sind sicher, wir haben unsere
       Landesverteidigung.“, so Selenski.
       
       Die Anerkennung der Unabhängigkeit der sogenannten L/DPR durch Moskau
       „kann“ den Rückzug Moskaus aus dem Minsker Abkommen bedeuten, so Selenski
       weiter. Gleichwohl setze die Ukraine weiterhin auf Diplomatie. Man sei im
       Gespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Bundeskanzler
       Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden, dem britischen Premier Boris Johnson
       und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. „Wir bleiben ruhig und
       zuversichtlich, bewahren einen kühlen Kopf, haben keine Angst vor
       irgendetwas, wir schulden niemandem etwas, aber wir werden niemandem etwas
       schenken“, beendete er seine Rede.
       
       Am meisten beunruhigt die Ukraine die Frage, in welchen Grenzen sich die
       Gebilde der „Volksrepubliken“ sehen. Das Portal strana.best zitiert den
       russischen Innenminister Wladimir Kolokolzew, die „Volksrepubliken“ sollten
       in ihren „historischen Grenzen“ anerkannt werden. Und das bedeute, dass man
       auch Städte wie Mariupol, Kramatorsk und Slowjansk, die von der Ukraine
       kontrolliert werden, beanspruche. Und Wiktor Solotow, Kommandeur der
       russischen Nationalgarde, habe, so strana.best, gar von der Notwendigkeit
       gesprochen, „weiter zu gehen“.
       
       ## Absolut nichtig
       
       Für den ukrainischen Diplomaten Roman Bessmertnyj ist die Anerkennung der
       „Volksrepubliken“ „absolut nichtig“. Mit diesem Schritt und der Annexion
       der Krim, so Bessmertnyj gegenüber nv.ua, breche Putin internationales
       Recht, zimmere sich sein eigenes Recht zusammen. Mit diesem Schritt, so der
       Chefredakteur des Portals Zensor.net, Jurij Butusow, gebe Putin endlich zu,
       dass sich russische Truppen im Donbass befänden. Russland sei der Aggressor
       und müsse sich für diese Aggression verantworten.
       
       Letztendlich sei die Anerkennung der „Volksrepubliken“, so der bekannte
       Blogger Evgeny Istrebin, ein Eingeständnis Putins, dass er verloren habe
       und nur noch sein Gesicht wahren wolle. Viele seien nun wütend über den
       Umstand, dass russische Truppen im Donbass seien., „Doch die sind da schon
       acht Jahre, nur unter einer anderen Flagge“, so Istrebin auf Facebook.
       
       Für die Ukraine habe die Entwicklung auch ihre positiven Seiten. Nun müsse
       man die Gebiete von Luhansk und Donezk nicht mehr zu Moskauer Bedingungen
       integrieren. Gleichzeitig hofft Istrebin auf ein Abflauen [2][der Kämpfe an
       der Front]. Denn nun könne man für jeden Beschuss direkt die russische
       Armee verantwortlich machen. Insgesamt müsse man sich auf einen langen und
       eingefrorenen Konflikt einstellen. Er glaube nicht, dass Putin noch einmal
       seinen Einsatz erhöhen werde.
       
       Unterdessen war im Vorfeld der russischen Entscheidung das Ausmaß von
       Evakuierungen von Teilen der Zivilbevölkerung des von den „Volksrepubliken“
       kontrollierten Gebietes nach Russland bekannt geworden. Am Sonntagabend
       berichtete die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Lyudmyla Denysova
       gegenüber nv.ua von „Zwangsevakuierungen“ in das russische Rostow. Frauen
       mit Kindern und ältere Menschen hätten fast zwei Tage lang ohne Essen und
       Schlaf in ungeheizten Bussen ausharren müssen, die russischen Behörden
       würden den Ankommenden keine Unterkunft, keine warmen Mahlzeiten und auch
       keine medizinische Versorgung anbieten.
       
       Denysova forderte die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana
       Moskalkowa auf, sich für angemessene Aufenthaltsbedingungen dieser
       ukrainischen Bürger in der Russischen Föderation einzusetzen und ihnen
       kostenlose Rechtsberatung sowie humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.
       
       22 Feb 2022
       
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