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       # taz.de -- Racial Profiling vor Gericht: Verdächtige Hautfarbe
       
       > Schwarze Menschen, die in Gegenden wie St. Pauli wohnen, müssen scheinbar
       > hinnehmen, dass sie weniger Rechte haben als andere.
       
   IMG Bild: Drogenkontrolle auf der Reeprbahn in Hamburg: meistens trifft es Schwarze
       
       Hamburg taz | Wie verhält man sich möglichst unauffällig, während man sich
       als Schwarzer Mensch durch ein Stadtviertel bewegt, in dem andere Schwarze
       Menschen auf der Straße Drogen verkaufen? Die Antwort ist leider: Es ist
       nicht möglich. Das zeigen nicht nur Schilderungen Schwarzer
       Bewohner*innen und Besucher*innen dieser Viertel, sondern das hat
       nun auch das Hamburger Oberverwaltungsgericht bestätigt.
       
       Geklagt hatte der 35-jährige Barakt H., der ehemals aus Togo nach
       Deutschland kam und seit mehreren Jahren auf St. Pauli wohnt – wo er
       ständig auf Drogen und Ausweispapiere kontrolliert wird. Zu Unrecht, hatte
       das Verwaltungsgericht Ende 2020 geurteilt: Auch an „gefährlichen Orten“
       dürfe die Polizei nicht völlig anlasslos kontrollieren. „Es müssen gewisse
       Anhaltspunkte für einen Bezug der kontrollierten Person zur entsprechenden
       Gefahr – hier also der Betäubungsmittelkriminalität – vorliegen“, so der
       Richter.
       
       Das ließ die Innenbehörde, [1][die nicht gerade für starke Nerven bekannt
       ist], was ihr eigenes Ansehen betrifft, nicht auf sich sitzen. Sie ging in
       Berufung – [2][und bekam Recht]. Im Januar hob das Oberverwaltungsgericht
       das erstinstanzliche Urteil auf und begründete die Entscheidung damit, dass
       das Verhalten des Klägers in der entsprechenden Situation durchaus Anlass
       für einen Verdacht gegeben habe.
       
       Was hatte H. verdächtig wirken lassen? Der 35-Jährige war an dem Abend im
       November 2017 zusammen mit seinem Freund und Nachbarn Rasmus R. vom
       Training in einem Fitnesscenter zurück nach St. Pauli gefahren, zuvor
       hatten sie noch Einkäufe im Supermarkt erledigt, um gemeinsam zu kochen.
       
       Mit der schweren Tasche auf der Schulter, ins Gespräch vertieft, liefen sie
       eine Straße nahe der Reeperbahn entlang. Dabei hätten sie konspirativ
       gewirkt, so eng seien sie beieinander gegangen, sagten die
       Polizist*innen vor Gericht. Sie hätten sich über die Schulter umgeguckt,
       an ihren Taschen herumgezuppelt, und als sie die Polizist*innen sahen,
       ihre Schritte beschleunigt.
       
       Die Taschen seien sehr schwer gewesen, mit den Sportsachen und dem
       Supermarkteinkauf, sagte H. aus, er habe sie deshalb von einer Schulter auf
       die andere verlagert. Eng aneinander gelaufen seien sie bestimmt, wie zwei
       Freunde eben, die sich unterhalten. Den Schritt beschleunigt hätten sie
       hingegen nicht beim Anblick der Streifenpolizist*innen – „dazu ist
       dieser Anblick viel zu alltäglich auf St. Pauli“, sagte R.
       
       ## Bankrotterklärung eines Rechtsstaats
       
       Doch das Gericht glaubte den Polizist*innen. [3][Das tun Gerichte bis
       auf seltene Ausnahmen immer] und verantworten damit eine riesige Lücke in
       der demokratischen Gewaltenteilung. In den Augen des Richters stand somit
       fest, dass H. und R. sich konspirativ und typisch für die Szene der
       Drogenkriminalität verhalten hätten. Zwar seien es einzeln betrachtet
       alltägliche Handlungen gewesen, die für sich genommen keinen Anlass zur
       Identitätsfeststellung lieferten, jedoch „in Zusammenschau mit dem Alter
       von Anfang/Mitte 30 Jahren“ sehr wohl Anhaltspunkte für mögliche Verstöße
       gegen das Betäubungsmittelgesetz darstellten.
       
       Nun zum Elefanten im Raum: Welcher weiße Mensch wird kontrolliert, weil er
       Anfang/Mitte 30 ist und mit seinem Freund zu eng aneinander läuft und die
       Sporttasche von einer auf die andere Schulter verlagert? Richtig, nur
       einer, der mit einem Schwarzen Menschen unterwegs ist. Wenn dieses
       Alltagsverhalten aber für Schwarze Menschen ausreicht, sich verdächtig zu
       machen, kann man als Schwarze Person auf St. Pauli nicht mehr leben. Das
       heißt, man kann, aber nur, wenn man dafür, wie jetzt vom Gericht für
       gesetzeskonform erklärt, seine Rechte abgibt. Es ist die Bankrotterklärung
       eines Rechtsstaats, der vorgibt, vor dem Gesetz seien alle gleich.
       
       In Dresden hatte ein Kläger kürzlich Erfolg – allerdings ebenfalls bislang
       nur in der ersten Instanz, ob es zur Berufung kommt, ist noch offen. Das
       Dresdner Verwaltungsgericht hatte [4][eine Identitätskontrolle des Guineers
       Elhadji B. durch die Bundespolizei für rechtswidrig erklärt]. Die
       beteiligten Polizist*innen hatten zugegeben, am Chemnitzer Bahnhof nur
       Schwarze Personen kontrolliert zu haben.
       
       Auch auf St. Pauli kontrolliert die Task Force Drogen ausschließlich
       Schwarze Menschen und weiße, die mit Schwarzen unterwegs sind – im
       Görlitzer Park in Kreuzberg ist es ähnlich. Nur gibt die Polizei das ungern
       zu.
       
       Für die Betroffenen ist der Weg durch die Instanzen teuer und mühsam.
       Barakat H. könnte im letzten Schritt vor das Bundesverwaltungsgericht
       ziehen. Aber er ist erschöpft vom jahrelangen Rechtsstreit. Die
       Erfolgsaussichten halten sich ohnehin in Grenzen.
       
       Am Ende bleibt den Betroffenen nur die Erkenntnis, dass sie vom Staat
       nichts erwarten können. Sie sind auf die Solidarität ihrer Mitmenschen
       angewiesen.
       
       27 Feb 2022
       
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   DIR Katharina Schipkowski
       
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