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       # taz.de -- Jugendliche in der Coronapandemie: Wenn alles ineinander verschwimmt
       
       > Wie frustrierend ist es, als Jugendliche*r übersehen und nicht gehört
       > zu werden? Über die dramatische Verschlechterung der psychischen
       > Gesundheit.
       
   IMG Bild: Krasse Erfahrung: wenn sich Homeschooling und überhaupt alles in einem Zimmer abspielt (Symbolbild)
       
       Während der Schulschließungen im Lockdown verloren meine Tage ihre
       Struktur. Ich verbrachte sie in meinem Zimmer: Freizeit auf meinem Bett,
       Arbeit an meinem Schreibtisch. Alles fand in einem Raum statt und
       verschwamm ineinander. Warum mache ich die Französischaufgaben nicht
       einfach heute Abend oder gleich morgen? Warum stehe ich überhaupt noch auf,
       wenn ich doch auch im Bett arbeiten kann? Warum soll ich arbeiten, wenn
       doch eh niemand da ist, der*die mich dazu zwingt?
       
       Es war schwierig, für all diese Dinge Motivation zu finden, und viele
       Jugendliche fanden sie nicht, fanden stattdessen nur einen riesigen Haufen
       an unerledigten Schulaufgaben und viel zu viel Zeit, um allein zu sein. Am
       schlimmsten aber war die Isolation von Freund*innen. Denn es ist für junge
       Menschen besonders wichtig, ihre Peer-Groups zu sehen. Und wenn es keine
       Möglichkeiten gibt, Freund*innen zu treffen, keinen Grund, rauszugehen,
       keinen Grund, zu arbeiten, und keinen Grund, aufzustehen, ist es schwierig,
       einen Grund zum Leben zu finden.
       
       Wir Jugendlichen wurden in der Pandemie übersehen und überhört. Wir mussten
       auf Feiern und auf politisches Engagement verzichten und konnten wichtige
       Erfahrungen nicht machen. Unsere Bedürfnisse wurden viel zu lange
       ignoriert, was sich nun bei vielen in einer dramatischen Verschlechterung
       ihrer psychischen Gesundheit zeigt.
       
       Zum Schutz von Jugendlichen hätten während des Lockdowns offene Schulen,
       aber vor allem die Möglichkeit des Zusammentreffens kleinerer Gruppen eine
       viel höhere Priorität haben müssen. Die Politik hätte anerkennen müssen,
       dass man nicht mit einer gesundheitlichen Krise eine andere auslösen darf.
       Sie hätte schlicht mehr acht auf Jugendliche geben sollen.
       
       ## Die Frustration wird bleiben
       
       Dass das dringend notwendig gewesen wäre, zeigt sich jetzt: Gerade die Lage
       von Jugendlichen, die ohnehin schon mit psychischen Belastungen kämpften,
       verschlimmerte sich noch. Das bestätigt ein Faktenblatt der
       Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) vom 2. 10. 2020, laut dem innerhalb
       eines Jahres fast 20 Prozent der unter 18-Jährigen an einer psychischen
       Störung erkrankten.
       
       Die Frustration, von der Regierung, von der Gesellschaft nicht gehört zu
       werden, ob in der Klima- oder Coronakrise, wird bleiben. Auch das Gefühl
       der Einsamkeit werden einige aus den bisherigen Lockdowns mitnehmen, andere
       das Wissen, dass ihr Leben sich ohne Freund*innen und Struktur sinnlos
       anfühlt.
       
       Aus diesen Erfahrungen können Ängste, Depressionen und weitere psychische
       Störungen entstehen. Ein großer Anteil der Betroffenen braucht
       professionelle Hilfe, aber die Suche nach Therapieplätzen ist weiterhin
       schwierig und langwierig.
       
       Jetzt dürfen die Fehler, die während der Lockdowns gemacht wurden, nicht
       wiederholt werden. Stattdessen muss sichergestellt werden, dass alle
       betroffenen Jugendlichen die nötige Behandlung angeboten und von der
       Krankenkasse bezahlt bekommen. Wir als Jugendliche befinden uns in einer
       gesundheitlichen Krise, die weder medial noch politisch viel Aufmerksamkeit
       findet.
       
       Ich möchte kein Leben mehr leben, in dem sowohl ich als auch viele meiner
       Freund*innen mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben. Ich möchte,
       dass die Regierung, die politisch Verantwortlichen ihrer Pflicht nachgehen,
       ihr Bestes geben, um uns zu schützen. Und uns zuhören, ob es nun um Corona,
       Schulpolitik oder die Klimakrise geht.
       
       Jim Anton, 15, ist noch bis 4. März 2022 Schülerpraktikant* in der
       Berlin-Redaktion der taz
       
       2 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jim Anton
       
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