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       # taz.de -- SPD-Außenpolitiker zum Ukraine-Krieg: „System Putin kaltstellen“
       
       > SPD-Außenexperte Michael Roth fordert harte Sanktionen gegen Oligarchen
       > im Umfeld des russischen Präsidenten. Waffen für die Ukraine schließt er
       > derzeit aus.
       
   IMG Bild: Protest in Den Haag: Gegen den Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine am Donnerstag
       
       taz: Herr Roth, der Angriff auf die Ukraine ist furchtbar. Wollten wir
       nicht sehen, dass das passiert oder musste man damit rechnen? 
       
       Michael Roth: Spätestens seit [1][der schrecklichen Rede des russischen
       Präsidenten Wladimir Putin am Montag] war mir klar: Er verneint das
       Existenzrecht der Ukraine in Gänze. Und wer ihm genau zugehört hat, hat
       verstanden, dass er auch die anderen osteuropäischen Staaten infrage
       stellt, die vor 30 Jahren aus der Sowjetunion hervorgegangen sind. Wir
       haben alle gehofft, dass es nicht zu diesem Krieg, zu diesem abermaligen
       schweren Tabubruch kommt. [2][Aber Putin zieht nun durch], und er macht das
       in aller Kaltblütigkeit, ohne Rücksicht auf Verluste.
       
       Was kommt als nächstes, wie weit geht Putin noch? 
       
       Ich kann und will momentan überhaupt nichts ausschließen. Ich hatte immer
       einen sehr realistischen Blick auf Putin, da habe mich sicherlich auch von
       manch anderen unterschieden. Aber wir sind in einer Situation, in der es
       nicht nur um die Ukraine geht. Es geht auch darum, dass Europa als Ganzes
       destabilisiert werden soll. Ich erinnere daran, dass Putin systematisch
       versucht hat, die EU-Beitrittsperspektive der Staaten des westlichen
       Balkans zu torpedieren, und das stellenweise sehr erfolgreich. Russland
       unterstützt beispielsweise [3][Separationsbestrebungen in
       Bosnien-Herzegowina]. Und jetzt ist der Krieg ins östliche Europa
       zurückgekehrt. Wir brauchen nun vor allem auch weiterhin geschlossene und
       entschlossene Antworten auf diese dramatische militärische Eskalation. Es
       ist Putin in den vergangenen Wochen nicht gelungen, den Westen abermals zu
       spalten. Diese große Einigkeit ist jetzt unsere stärkste Waffe gegen
       Russland. Das lässt mich hoffen.
       
       Sie sagen, Sie hatten einen realistischeren Blick als andere. War der
       russlandfreundliche Kurs der SPD falsch? 
       
       Ich finde Freundlichkeit gegenüber den Russinnen und Russen gut,
       Putinfreundlichkeit hingegen war mir immer suspekt. Solange man die
       Hoffnung haben konnte, dass man über Gespräche und Dialog auch wirklich
       etwas erreichen kann, war das vollkommen richtig. Aber Putin hat diese Tür
       jetzt zugeschlagen und deutlich gemacht, dass er bereit ist, allen
       westlichen Politikern ins Gesicht zu lügen: Dem amerikanischen Präsidenten,
       dem französischen Staatspräsidenten und [4][auch dem Bundeskanzle]r. Es ist
       Putins Krieg, daher finde ich es unpassend, nun diejenigen zu kritisieren,
       die sich ernsthaft um Dialog und Deeskalation bemüht haben. Wir sollten
       nicht die Instrumente der freiheitlichen Demokratien in Misskredit bringen.
       Dazu gehören stetige Dialogbereitschaft, aber auch Wehrhaftigkeit. Und wir
       haben ja in den Gesprächen mit Putin von Beginn an deutlich gemacht, dass
       er mit sehr schmerzhaften politischen und wirtschaftlichen Sanktionen
       rechnen muss, wenn er die Ukraine angreift. Aber er ist eben auch ein
       schlimmer Zyniker, dem die Macht über alles geht.
       
       Wie kann man Putin stoppen? 
       
       Wir müssen eines akzeptieren: Dieser Typ tickt komplett anders als wir in
       unseren freiheitlichen Demokratien. Die politischen und wirtschaftlichen
       Konsequenzen seines Handelns sind ihm ziemlich egal. Putin ist offenkundig
       bereit, auch hohe Arbeitslosigkeit und massive soziale Verwerfungen in
       seinem Land in Kauf zu nehmen, zumal die Mehrheit der Russinnen und Russen
       diesen Krieg überhaupt nicht befürwortet. Wir müssen das oligarchische
       System Putins finanziell komplett kalt stellen. Den Millionären und
       Milliardären, die mit Putin reich und mächtig geworden sind und die
       weiterhin die Privilegien des freien Europas genießen, muss man das Wasser
       abgraben. Sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen in Europa, kaufen
       Luxuswohnungen in Berlin oder London und machen Skiurlaub in Österreich.
       Sie müssen jetzt spüren, dass Putin eine Grenze überschritten hat und sein
       System mit Privilegien für wenige und Armut für viele in Russland an ein
       Ende gekommen ist.
       
       Reichen wirtschaftliche Sanktionen aus? Oder bedarf es jetzt auch einer
       militärischen Antwort? 
       
       Die USA, die NATO und die EU haben frühzeitig klargestellt, dass wir nicht
       mit eigenen Truppen in diesen Krieg eingreifen werden, der jetzt leider
       bittere Wirklichkeit geworden ist. Ich finde es wichtig, sehr rasch
       gemeinsam mit unseren Partnern in der NATO und der EU zu entscheiden, was
       wir tun können, um die Ukraine in dieser dramatischen Situation bestmöglich
       zu unterstützen. Da geht noch mehr.
       
       Was denn? 
       
       Vor allem wirtschaftliche und humanitäre Hilfe. Wir müssen uns darauf
       einstellen, dass wir Menschen, die nun vor Krieg und Zerstörung fliehen,
       schnell und unbürokratisch helfen. Bislang haben wir ja nur eines
       ausgeschlossen, nämlich die Lieferung von tödlichen Waffen.
       
       Dabei bleibt es? 
       
       Dem nachvollziehbaren Schutzbedürfnis der Ukraine muss Rechnung getragen
       werden. Deutschland hat bislang aus guten Gründen keine tödlichen Waffen
       geliefert. Wir müssen sicherlich im Lichte der aktuellen Entwicklungen noch
       einmal abwägen, ob wir noch weitere Schutzgüter zur Verfügung stellen
       können. Und zwar eher heute als morgen. Ich möchte darüber aber jetzt keine
       öffentliche Auseinandersetzung führen. Das hilft am Ende nur Putin, der
       immer auch den Westen und unsere freiheitliche Demokratie spalten möchte.
       Er hat keine Angst vor Nato-Soldaten, sondern er fürchtet sich viel mehr
       vor Kraft von Demokratie und Freiheit in den Staaten des östlichen Europas.
       
       Müssen jetzt auch diplomatische Konsequenzen gezogen werden? Sollte der
       russische Botschafter ausgewiesen werden? 
       
       Das Auswärtige Amt hat den russischen Botschafter gestern einbestellt – in
       der Sprache der Diplomatie ist das schon ein ziemlich starkes
       Ausrufezeichen. Wir zeigen Gesprächsbereitschaft und sollten es Putin so
       schwer wie möglich machen, wieder irgendwelche Lügenmärchen zu erzählen –
       nach dem Motto, der Westen habe gar kein Interesse an Dialog und
       Deeskalation. Was mir aber vor allem wichtig ist: Es wäre eine wunderbare
       Geste der Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, wenn wir jetzt
       alle unseren Hintern hochkriegen, auf die Straßen und Plätze gehen und laut
       rufen: Ihr seid nicht alleine, wir stehen an Eurer Seite.
       
       24 Feb 2022
       
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   DIR Anna Lehmann
       
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