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       # taz.de -- Experte über russische Cyberattacken: „Das würde Panik erzeugen“
       
       > Russland ist eine Cybermacht – und führt seine Kriege nicht nur analog.
       > Experte Mischa Hansel sagt, wie auch Deutschland ein digitaler Angriff
       > treffen könnte.
       
   IMG Bild: Krieg ganz ohne tödliche Waffen: Server mit Internetkabel
       
       taz: Herr Hansel, die [1][SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser] hat vor
       wenigen Tagen bereits erklärt, dass sich die Sicherheitsbehörden auf
       mögliche Cyberangriffe vorbereiteten. Wie groß ist die Gefahr? 
       
       Mischa Hansel: Stromnetze ließen sich attackieren. Ebenso Krankenhäuser. Im
       Jahr 2020 konnte die Düsseldorfer Uniklinik ein lebensgefährlich verletztes
       Unfallopfer nicht versorgen, [2][weil das IT-System gehackt worden war].
       Auch Banken könnte es treffen, so dass niemand mehr wüsste, ob das eigene
       Geld noch da ist. Das würde Panik erzeugen. Solche Angriffe brauchen immer
       eine lange Planung. Aber wir wissen, dass Russland die Fähigkeiten hat. Die
       Frage ist nur, ob Präsident Putin sie auch nutzen will. Ausschließen lässt
       sich das nicht. Er könnte sie möglicherweise als Vergeltung für
       Wirtschaftssanktionen starten.
       
       Kann eine Cyberattacke das Land existenziell treffen? 
       
       Sollte sich Russland entscheiden, alles einzusetzen – dann ja. Russland
       gehört mit den USA und China zur ersten Liga der Cybermächte. Wir
       beobachten das in der Ukraine schon seit Längerem. Die Ukraine ist für
       Russland zum Testgelände geworden, seit diese sich 2014 mit der
       Maidan-Revolution dem Westen zugewandt hat.
       
       Was beobachten Sie genau? 
       
       Bei der ersten Parlamentswahl nach der Revolution manipulierten Hacker die
       Website der Wahlkommission. 2015 übernahmen sie das Stromnetz, eine
       Viertelmillion Ukrainer waren im Winter ohne Strom. 2016 ähnlich. Natürlich
       kann oft nicht zweifelsfrei geklärt werden, von wo die Hacker genau
       angreifen, aber Fachleute vermuten dahinter die russischen
       Sicherheitsbehörden. Es wird manipuliert, auch spioniert.
       
       [3][So wie Ende 2020, als Teile der US-Regierung betroffen waren]? 
       
       Es war einer der bisher spektakulärsten Fälle von Cyberspionage. Und ja,
       auch da kamen die Hacker vermutlich aus Russland. Diese kaperten ein Update
       einer Netzwerk-Software der texanischen Firma SolarWinds. Das luden
       tausende Behörden, Unternehmen, Betreiber kritischer Infrastruktur weltweit
       runter. So fingen sie sich die Späher ein. Betroffen waren etwa das
       US-Energieministerium, Finanzministerium, Handelsministerium,
       Heimatschutzministerium, Außenministerium und Teile des Pentagons. Die
       Täter hatten monatelang Zeit, sich umzusehen und vertrauliche Informationen
       mitzulesen.
       
       Wie sind die Hacker ausgebildet? 
       
       Zunächst einmal gibt es Cyberspionage schon seit Jahrzehnten. Cyberangriffe
       auf kritische Infrastrukturen sind auch nicht neu. Die Risiken sind
       spätestens vor zwölf Jahren praktisch demonstriert worden. Da wurde [4][ein
       Computervirus, Stuxnet,] entdeckt. Den hatten wahrscheinlich die USA und
       Israel entwickelt, um Irans Atomprogramm zu sabotieren. Attacken auf
       kritische Infrastrukturen sehen wir jetzt immer öfter. 2017 traf es jene,
       die in der Ukraine Steuern zahlen oder auch Geschäfte betreiben. Beiersdorf
       zum Beispiel.
       
       … ein deutscher Konzern, Hersteller von Nivea und anderem … 
       
       … auch den US-Pharmakonzern Merck. Über ein Update einer
       Buchhaltungssoftware breitete sich der [5][Computerwurm NetPetya] rasend
       schnell aus. [6][Im vergangenen Jahr legte ein Angriff die größte
       Ölpipeline der USA lahm], betrieben vom Unternehmen Colonial Pipeline.
       Hacker sperren oder verschlüsseln dann mit Schadprogrammen, mit Ransomware
       sagen Experten, die Computersysteme. Sie erpressen für die Freigabe der
       Daten Geld. Solche Angriffe sind meist kriminell motiviert. Es ist nicht
       so, dass das nur ganz wenige könnten.
       
       Sondern? 
       
       Es gibt vielerorts gut ausgebildete Menschen mit IT-Kenntnissen, die aber
       keinen Job finden. Zum Beispiel in Ländern wie Nigeria, die gerade in der
       Pandemie wirtschaftlich besonders zu leiden hatten. Andernorts können die
       Löhne in der offiziellen Wirtschaft nicht ansatzweise mit dem großen Geld,
       das Cyberkriminelle auch als Neueinsteiger machen, mithalten. Das gilt
       sicherlich auch für Russland. Es gibt eine systematische Rekrutierung durch
       Cyberkriminelle. Und überhaupt ist die Arbeitsweise dieser Gruppen
       hochprofessionell.
       
       Wie läuft das Geschäft? 
       
       Das nötige Wissen um Schwachstellen und die Werkzeuge, die Tools werden im
       Darknet, dem Online-Schwarzmarkt, gehandelt. Dort lassen sie sich mieten,
       so dass im Grunde jede und jeder sie einsetzen kann, quasi als
       Subunternehmer. Im Austausch gibt es eine Gewinnbeteiligung der Verleiher.
       Gingen alle Staaten dagegen vor, gäbe es viel weniger Attacken. Nur gibt es
       Staaten, die ein Auge zudrücken oder auch diese Dienste selbst nutzen, um
       politisch motivierte Attacken zu verschleiern oder um an Devisen zu kommen.
       Das wird auch Russland vorgeworfen. Auch bei NetPetya waren es vermutlich
       russische Täter.
       
       Ist Deutschland gewappnet? 
       
       Im vergangenen Jahr gab es einen Hackerangriff auf die Server des
       Landkreises Anhalt-Bitterfeld. Die gesamte Verwaltung war blockiert, es
       konnten wochenlang keine Sozialleistungen ausgezahlt werden. Kommunen haben
       oft zu wenig Personal für IT. Da ist meist gespart worden. Das rächt sich
       jetzt. Hacker greifen auch gerne Universitäten oder mittelständische
       Unternehmen an. Niemand sollte darauf vertrauen, dass es eine virtuelle
       Grenze gibt, die nicht überschritten wird. Behörden, Unternehmen,
       Krankenhäuser und so weiter müssen Notfallpläne erstellen. Und sie sollten
       regelmäßig ein Backup aller Daten auf einer externen Festplatte machen.
       
       Wer macht es besser? 
       
       Estland. Das Land ist hochgradig digitalisiert, selbst Wahlen finden online
       statt. Und Staat und Gesellschaft haben viele Lehren aus einer massiven
       Blockade von Servern durch russischsprachige Hacker schon 2007 gezogen.
       Entsprechend gibt es ein großes Bewusstsein auch für die Risiken der
       Digitalisierung. Dort gibt es eine Art freiwillige IT-Feuerwehr,
       Ehrenamtliche, die den Notfall proben, im Ernstfall helfen. Die
       Ampel-Regierung verspricht im Koalitionsvertrag nun auch ein
       Cyber-Hilfswerk, ein CHW ähnlich dem Technischen Hilfswerk THW. Das ist
       schon mal gut. Allerdings entlässt das die Sicherheitsbehörden nicht aus
       ihrer Pflicht, eng miteinander zusammenzuarbeiten, um Angriffe schnell zu
       erkennen, Warnungen zu veröffentlichen, Nothilfen zu starten.
       
       27 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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