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       # taz.de -- „Querdenker“ unterstützen Putin: Das reaktionäre „Bauchgefühl“
       
       > Erst machten sie Stimmung gegen eine angebliche „Coronadiktatur“, nun
       > folgen sie Wladimir Putins Kriegsgeheul. Wie Rechte um ihr Publikum
       > buhlen.
       
   IMG Bild: Bodo Schiffmann, führender „Querdenker“-Mediziner in Deutschland, bei einer Demo am 20. 10. 2020
       
       Als der [1][Kreml-Propagandasender RT Deutsch] wegen des Angriffs auf die
       Ukraine hierzulande verboten wurde, bekam er Asyl: [2][Der Arzt Bodo
       Schiffmann], eine der bekanntesten Figuren der deutschen Coronaproteste,
       speiste den Sender auf seinem Telegram-Kanal ein. Dort kommentierte der
       Ober-„Querdenker“ den Angriff auf die Ukraine so: „Putin hat 1.000 Angebote
       gemacht und nur darum gebeten, dass man Verträge einhält.“
       
       Für die Gegner der Coronapolitik war früh klar, wo sie im Ukraine-Konflikt
       zu stehen haben: an der Seite Russlands. Der Querfront-Publizist Jürgen
       Elsässer, der mit seinem extrem rechten Compact-Magazin zuletzt vor allem
       im Kampf gegen die angebliche „Coronadiktatur“ aktiv war, hegt viel
       Sympathie für den Kreml. Der bekämpfe nämlich den „Neo-Kommunismus“
       Brüssels – eine „EUdSSR“ mit „ökosozialistischer Planwirtschaft,
       politischer Korrektheit, Zerstörung der traditionellen Werte von
       Christentum und Familie“, so Elsässer.
       
       Der Compact-Macher erklärte es gar zum „Skandal“, dass einige
       AfD-Bundestagsabgeordnete sich kürzlich bei der Rede des ukrainischen
       Botschafters Andrij Melnyk – für Elsässer ein „Kriegshetzer“ – im Bundestag
       zum Applaus erhoben hatten. Am selben Tag trat er mit dem Berliner
       AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann bei einer Veranstaltung in Hönow bei
       Berlin auf. In dieser Woche erscheint sein Magazin in Form einer
       Spezialausgabe unter dem Titel „Feindbild Russland“, mit dem Versprechen,
       die „Hintergründe der aktuellen Stimmungsmache“ gegen Moskau aufzudecken.
       
       ## Maulige Männer machen „Mimimi“
       
       Ähnlich sieht man die Dinge bei den „Freien Thüringern“, einer extrem
       rechten Gruppe, die sich bisher ebenfalls mit Coronaprotesten bemerkbar
       gemacht hat: „Wenn Putin durchmarschiert, [3][fällt das Gendern weg, sind
       Männer Männer und keine Frauen], wird Strom und Sprit billiger, wird die
       Islamisierung beendet, wird linksgrün eingesperrt,“ lässt die Gruppe auf
       Telegram verlauten.
       
       Ihre Freunde, die „Freien Sachsen“, sehen nun strategische Vorteile für
       sich. Vor einem Jahr war jene aus dem Umfeld der NPD hervorgegangene Gruppe
       noch so gut wie unbekannt, mittlerweile folgen ihr rund 150.000 Menschen
       bei Telegram. In mehr als 200 Orten bringt sie wöchentlich
       „Corona-Spaziergänge“ auf die Straße. Doch zuletzt stagnierten sowohl die
       „Spaziergänger“- als auch die Followerzahlen. Ein neues Thema musste her:
       „Wir sollten auf den Spaziergängen Amerika- und Nato-Flaggen verbrennen“,
       regte ein Follower der „Freien Sachsen“ auf deren Telegram-Kanal an.
       
       Der Angriff auf die Ukraine bietet dem „Querdenker“- und dem extrem rechten
       Milieu ein strategisches Feld, die eigene Basis auszuweiten. „Reaktionäre
       und rechtsextreme Bewegungen im gesamten Westen stellen sich auf die Seite
       Putins“, schreibt etwa der Historiker Thomas Zimmer – denn: „Sie sehen in
       ihm die Art von autoritärem starken Mann, der das Blatt gegen die Kräfte
       des woken Pluralismus wenden kann.“
       
       Das gilt auch für die AfD. So übernahm der sächsische
       AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau eine von Putins Formulierungen auf
       Facebook: „[4][Die Ukraine wird entnazifiziert!]“ schrieb Dornau. Auf dem
       Telegram-Profil von Marco Grabe, dem Referenten für „Grundsatz und
       Programmatik“ von AfD-Chef Tino Chrupalla, prangte das „Z“, Russlands
       Symbol für den angestrebten Sieg gegen die Ukraine. Derweil rief die AfD im
       brandenburgischen Finsterwalde für Freitag zu einer Demonstration „gegen
       Impfpflicht und Kriegsgefahr“ auf.
       
       Doch es sind nicht nur extrem Rechte, die sich nun mit Putin gegen den
       Westen stellen. Schon im vergangenen November hatte sich angedeutet, dass
       [5][Teile der Friedensbewegung] die staatliche Coronapolitik als eine Form
       der Kriegsvorbereitung deuten. „Immer offensichtlicher wird das Treiben
       derer, die das Leben auf unserem Planeten gefährden“, stand unlängst etwa
       im „Neuen Krefelder Appell“, einer Neuauflage des Aufrufs gegen atomares
       Wettrüsten aus dem Jahr 1980. Die Rede war von „gegen Russland und China
       gerichteten Manövern“, die „immer aggressiver“ würden.
       
       Dabei ist die Verbindung zur Pandemie für die Verfasser:innen klar:
       „Die Machthaber dieser Welt führen Kriege auch an neuen, andersartigen
       Fronten. Unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung wird das Leben von
       Milliarden Menschen gefährdet.“ Dahinter stehe die „Strategie des ‚Great
       Reset‘ des Forums der Superreichen“, mit dem der Kapitalismus „über einen
       gezielten Zusammenbruch und einen,Neustart' auf eine noch perversere Stufe
       gehoben werden“ solle. Zu den Unterzeichnern des Pamphlets zählen der
       „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg, Friedenspastor Eugen Drewermann und
       Albrecht Müller vom Politblog „Nachdenkseiten“.
       
       Mit derlei geistiger Vorarbeit ist klar, wie Putins Angriffskrieg nun
       gesehen wird: als vom Westen provozierte Fortsetzung der Pandemiepolitik.
       Mit einer gedanklich so zugerichteten Basis lassen sich die Coronaproteste
       bruchlos als „Antikriegsproteste“ weiterführen.
       
       ## Österreich ist irgendwie „deutsch“ – oder?
       
       Und genau das geschieht – und längst auch schon transnational. Der
       rechtsextreme Schweizer Ignaz Bearth und der eidgenössische
       Verschwörungstheoretiker Roger Bittel laden regelmäßig das Who's who der
       deutschen Coronaproteste in ihre Videostreams ein. Der Österreicher
       Alexander Ehrlich hat hierzulande Corona-Bus-Sternfahrten organisiert. Bei
       den Coronademos in Wien („An uns bricht Eure Nadel“) sind immer wieder
       deutsche Szenegrößen wie der Ex-AfDler und Onkologe Heinrich Fiechtner oder
       der Mikrobiologe Sucharit Bhakdi als Redner dabei. Das „Impffrei“-Netzwerk
       wirbt mit länderübergreifender Vernetzung, auf Telegram gibt es Gruppen
       wie „Widerstand AT DE CH“, dort werden auch grenzübergreifende Demokalender
       geteilt.
       
       Von der „Plandemie“ zum angeblich „gerechten“ Krieg Putins gegen einen
       vermeintlich wortbrüchigen Westen bis hin zum „Great Reset“: Das ist die
       Weltsicht, die dem in Coronazeiten schnell angewachsenen und stets
       empörungsbereiten Publikum nun angeboten wird. Beide Krisen – Pandemie wie
       Krieg – werden dabei als elitäre Verschwörungen erzählt. Coronaskeptiker
       und -leugner wie Russland-Versteher fühlen sich wohl, wenn ihnen vermittelt
       wird, dass sie im Besitz der einzig „wahren“ Wahrheit sind. Sie eint das
       Gefühl, nah an Informationen dran zu sein, die sogenannte Mainstream-Medien
       angeblich verschweigen.
       
       „Jede Wette: Die Enteignung beginnt bei russischen Millionären und am Ende
       werden alle Bürger enteignet. Das ist der Plan. Great Reset“, verbreitete
       auf Telegram etwa der österreichische Internetsender Auf1.TV, der mehr als
       195.000 Follower zählt. Ähnlich klingt es auf Telegram bei der
       rechtsextremen Zeitschrift Info-direkt. Der Ukrainekonflikt werde angeheizt
       von „den geostrategischen und ökonomischen Interessen der USA und
       Lifestyle-Linken, die das wertkonservative Russland hassen“.
       
       Das Portal Report24 titelte kürzlich: „Grüne Baerbock drohte Russland und
       China mit Atomwaffen.“ Als Beleg diente [6][ein Interview, das Baerbock
       Anfang Dezember der taz gegeben hatte]. Mit Atomwaffen droht sie darin
       keineswegs. Bei dem Bild, das Report24 von Baerbock veröffentlichte, sind
       im Hintergrund der aus Ungarn stammende jüdische US-Milliardär George Soros
       sowie Klaus Schwab, Chef des Davoser World Economic Forum, zu sehen. Beide
       sind in der rechtsextremen Szene als oberste „Globalisten“ verhasst. Der
       kaum verhohlene Subtext des Bildes: Beide Männer beeinflussen angeblich
       Baerbocks Politik – stehen also hinter der vermeintlichen Aggression des
       Westens gegen Russland. Der mitgelieferte misogyne Kommentar, dass Baerbock
       aussehe und spreche „wie eine unbedarfte Hausfrau von fraglichem
       Bildungsweg“, sollte diesen Eindruck wohl noch unterstreichen.
       
       Seit dem Verbot des deutschen Ablegers von Russia Today, RT Deutsch,
       übernehmen extrem rechte Plattformen wie Wochenblick, Report 24 und Auf1.TV
       verstärkt dessen Botschaften. In jenem Umfeld fühlen sich auch
       reichweitenstarke Videoblogger wie der ehemalige Jörg-Haider-Anhänger
       Gerald Grosz wohl, ein Dampfplauderer, der schnell von Coronaverharmloser
       auf Putin-Versteher umgeschaltet hat. „Sie flüchten vor Panzerrohren und
       rennen direkt in Lauterbachs Spritzenbrigade“, twitterte Grosz.
       
       Was in solchen zunächst klein wirkenden Verschwörungsclustern an
       rechtsextremer Propaganda erzeugt wird, strahlt bereits weit aus. Das ist
       das hochgesteckte Ziel dieser Propagandazellen: den gesamten deutschen
       Sprachraum zu beeinflussen. Nicht zuletzt deshalb berichten österreichische
       FPÖ-nahe Medien wie der Wochenblick so häufig über deutsche Politik.
       
       Zahlreiche AfD-Fanseiten auf Facebook und vor allem Instagram helfen
       eifrig, die rechtsextremen Fake News aus Österreich weit zu streuen. 52
       Prozent seiner Aufrufe verzeichnet der österreichische Websender Auf1.TV
       mittlerweile aus Deutschland, beim Wochenblick soll der deutsche
       Publikumsanteil bei rund 61 Prozent liegen, bei Report24 zuletzt bei 44
       Prozent.
       
       Auf1.TV-Chef Stefan Magnet träumt von einem Büro in Berlin. Er hält sich,
       eigenen Angaben zufolge, an eine „ABC-Strategie“: A steht für „Aufgeklärte“
       und „Aktive“, also für all jene, die laut Magnet „bereit sind, aktiv
       Widerstand zu leisten“. Das B bezieht sich auf „Bequeme“, die sich passiv
       mit Informationen berieseln lassen und die man sehr leicht über das
       „Bauchgefühl“ abholen könne. C wie „Coronajünger“ hingegen könne man
       ignorieren, die seien unerreichbar. Magnet fantasiert bereits von einem
       Potenzial von „30 bis 40 Millionen“ als neuem Publikum.
       
       Mitarbeit: Nina Horaczek, Redaktion „Falter“, Wien
       
       12 Mar 2022
       
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