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       # taz.de -- Gender Pay Gap in der IT-Branche: Wissen, was der Kollege verdient
       
       > Die IT-Firma „Tutao“ will ein transparentes Gehaltsmodell einführen, um
       > die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen.
       
   IMG Bild: Der unbereinigte Gender Pay Gap in IT-Berufen liegt bei 7 Prozent, der angepasste bei 9 Prozent
       
       Hamburg taz | Die Frage, wie viel die Arbeitskollegen eigentlich verdienen,
       treibt Beschäftigte in allen Branchen um. Aber nicht nur aus Neugier. Denn:
       Mangelnde Transparenz ist ein Grund für ungleiche Löhne. Die hannoversche
       IT-Firma „Tutao“, die den Mail-Service „Tutanota“ anbietet, hat nun ein
       transparentes Gehaltsmodell eingeführt. Ihr selbstgestecktes Ziel:
       Lohngerechtigkeit schaffen, um „den Gender Pay Gap zu schließen“. Ob
       transparente Gehälter ausreichen?
       
       Durch die Digitalisierung werden IT-Berufe zunehmend wichtiger, immer mehr
       Menschen arbeiten in dem Bereich – zu einem sehr großen Teil Männer.
       [1][Der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap in IT-Berufen liegt bei
       sieben Prozent, der angepasste bei neun Prozent.] Die unbereinigte
       Lohnlücke vergleicht das durchschnittliche Einkommen aller Beschäftigten.
       Der angepasste [2][Gender Pay Gap] misst den Verdienstunterschied zwischen
       Frauen und Männern im gleichen Alter mit vergleichbarer Tätigkeit,
       Arbeitszeit, Ausbildung und Erfahrung.
       
       Transparente Gehälter findet man in der Regel dort, wo es Haustarif- oder
       Branchenverträge gibt. Laut der Verdienststrukturerhebung 2014 arbeiteten
       64 Prozent aller Beschäftigten in IT-Berufen jedoch ohne Tarifvertrag.
       Transparente Löhne sind in der Digitalbranche also kein Standard. Gehälter
       müssen zudem fast immer individuell verhandelt werden.
       
       Studien zeigen, dass [3][Frauen oft niedrigere Löhne verhandeln als
       Männer]. Wenn Löhne nicht transparent einsehbar seien, habe das einen
       Einfluss bei Gehaltsverhandlungen, sagt auch Aline Zucco von der
       gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Es sei allerdings schwer, diesen
       Effekt genau zu beziffern. Zucco forscht unter anderem zum Gender Pay Gap
       in IT-Berufen.
       
       ## Grundgehalt, Loyalitätsbonus und Erfahrungsgehalt
       
       „Fest steht: In Betrieben, in denen nach Tarifvertrag bezahlt wird, wo
       Löhne also nicht individuell verhandelt werden müssen, gibt es innerhalb
       der jeweiligen beruflichen Positionen kaum Gender Pay Gaps“, so Zucco. Sie
       befürwortet, dass Gehälter offengelegt werden, um Lohnunterschiede zu
       verringern.
       
       „Allerdings ist es für Beschäftigte wichtig zu wissen, was alle verdienen –
       auch die am oberen Ende der Einkommensverteilung. Also nicht nur das
       Medianeinkommen zu kennen, wie es das Entgelttransparenzgesetz
       vorschreibt“, sagt Zucco. Das Medianeinkommen misst das Einkommen, das
       sich genau in der Mitte der nach Größe sortierten Einkommen befindet. Es
       verrät nicht, wie überdurchschnittlich hoch das Einkommen mancher
       Kolleg:innen ist.
       
       Nach dem 2017 in Kraft getretenen Entgelttransparenzgesetz können
       Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitskräften erfragen, was
       Kolleg:innen des anderen Geschlechts in gleichwertiger Tätigkeit brutto
       im Monat verdienen. Vorausgesetzt, es gibt mindestens sechs Kolleg:innen
       im Unternehmen, deren Arbeit vergleichbar ist.
       
       „Tutao“ hat jetzt drei Kriterien vorgestellt, die das Gehalt bestimmen
       sollen: das marktübliche Grundgehalt, ein Loyalitätsbonus, der die Jahre im
       Unternehmen belohnt – und ein Erfahrungsgehalt. Letzteres ist wohl der
       interessanteste Punkt. Das Erfahrungsgehalt soll nämlich „sowohl den
       Abschluss als auch die Berufserfahrung“ berücksichtigen. Das Besondere: Die
       Jahre der Berufserfahrung sollen auch dann als volle Jahre zählen, wenn die
       Person in Teilzeit gearbeitet hat oder in Elternzeit war.
       
       ## Frauen leisten insgesamt mehr Sorgearbeit
       
       Das ist wichtig, da Teilzeitarbeit ein Phänomen ist, das Frauen besonders
       betrifft. Im Bundesdurchschnitt arbeitet etwa jede zweite Frau und jeder
       zehnte Mann in Teilzeit. In den IT-Berufen ist der Anteil etwas geringer:
       2014 haben 32 Prozent der Frauen und 8 Prozent der Männer in Teilzeit
       gearbeitet. Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit außerdem häufiger und
       länger als Männer, um Elternzeit zu nehmen.
       
       [4][Frauen leisten insgesamt mehr Sorgearbeit als Männer] – und das kostet
       Zeit. All diese Zeit fehlt Frauen, um die notwendigen Jahre an Erfahrung zu
       sammeln, die sie für einen Aufstieg vorweisen müssen. Führungspositionen
       werden selten mit Teilzeitkräften besetzt. Teilzeit und Elternzeit
       „schaden“ dementsprechend vorwiegend weiblichen Karrieren. All das spiegelt
       sich auch in Zahlen wider: Der Gender Pay Gap in IT-Berufen steigt mit dem
       Alter stark an.
       
       Zucco findet, dass es vordergründig nicht schlecht klinge, wenn „Tutao“
       Teil- und Elternzeit im Erfahrungsgehalt berücksichtigen will.
       „Insbesondere, um Männer zu ermutigen, ihren Erwerbsumfang zu reduzieren
       und länger in Elternzeit zu gehen.“ Für sie schließen sich bei der
       Bewertung des transparenten Gehaltsmodells zwei wichtige Fragen an: Wie
       wahrscheinlich ist es, dass jemand in Teilzeit auch Aufstiegschancen hat?
       Und: Wie spiegelt sich der Aufstieg dann im Gehalt wider?
       
       Transparente Gehälter können nur ein erster Schritt sein, um den Gender Pay
       Gap zu reduzieren, denn die Ursachen für die Lohnlücke sind vielschichtig.
       „Tutao“ leistet mit der Transparenz trotzdem einen nennenswerten Beitrag.
       Denn die Zahlen zeigen: Je kleiner der Betrieb, desto größer ist
       normalerweise der Gender Pay Gap in IT-Berufen. Bei „Tutao“ arbeiten gerade
       mal 14 Menschen.
       
       18 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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