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       # taz.de -- Flucht eines Fußballers aus der Ukraine: Andere Grenzen
       
       > Der ghanaische Fußballprofi Najeeb Yakubu ist aus der Ukraine geflüchtet.
       > Ein schreckliches Erlebnis – zumal er auch noch Rassismus erfährt.
       
   IMG Bild: In Sicherheit: Najeeb Yakubu mit seiner Freundin Gracelove Quarcia in Bielefeld
       
       Bielefeld taz | „Wir fühlen uns gut. Wir haben Leute, die sich gut um uns
       kümmern“, erklärt Najeeb Yakubu erleichtert. Dass ihn die vergangenen Tage
       mitgenommen haben, sieht man dem 22-jährigen Ghanaer an. Dunkle Augenringe
       zeichnen sich unter seinen geröteten Augen ab. Vor noch knapp einem Monat
       sei er mit seinen Teamkollegen im Trainingslager in der Türkei gewesen.
       2018 ist der junge Fußballspieler mit seiner Freundin von Ghana in die
       Ukraine gezogen.
       
       Seither spielt er für den ukrainischen Erstligisten Vorskla Poltava. Es sei
       immer sein Traum gewesen, für eine europäische Mannschaft zu spielen. Das
       liegt nun in der Vergangenheit. „Kaum zu glauben, wie sich das Leben
       innerhalb einer Woche verändern kann“, sagt Yakubu und lacht. Es ist ein
       erschöpftes Lachen.
       
       Mitten in der Nacht am Samstag, 26. Februar, hörte der ehemalige
       Nationalspieler der ghanaischen U20 laute Explosionen in der Nähe seiner
       Wohnung in Poltava. Die 300.000-Einwohner-Stadt liegt knapp eine Stunde
       Autofahrt [1][von der Stadt Charkiw im Osten der Ukraine]. Charkiw stand
       zeitgleich mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew unter Beschuss.
       
       „Als ich die Explosionen hörte, wurde mir schlagartig bewusst, wie ernst
       die Situation war“, erzählt Najeeb Yakubu auf Englisch. Tagsüber soll es
       Gerüchte eines Angriffs gegeben haben. „Ich wollte am Freitag aufbrechen,
       aber Najeeb dachte, die Gerüchte im Internet seien übertrieben. Also sind
       wir geblieben“, erklärt seine Freundin Gracelove Quarcia. Sie ist vor vier
       Jahren mit Yakubu in die Ukraine gezogen.
       
       ## Trennung an der ungarischen Grenze
       
       Die 25-Jährige ist im fünften Monat schwanger und hat in der Ukraine
       Medizin studiert. Ohne zu zögern packten sie in dieser Nacht ihre Taschen
       und machten sich auf den Weg. Von Poltava aus nahm das Paar einen Zug. Über
       Lwiw im Westen der Ukraine fuhren sie an die ungarische Grenze nach
       Uschgorod. Anders als erwartet sollte das Paar Ungarn aber nicht gemeinsam
       erreichen.
       
       Rund 2.000 Kilometer weiter saß am besagten Abend der Lokalpolitiker Eric
       Figula (Die Partei) vor dem Fernseher und verfolgte die Situation in der
       Ukraine im Fernsehen. Der Jurastudent aus Bielefeld kennt Yakubu aus seiner
       Jugendzeit. Sie fanden über Facebook zueinander und haben sich hin und
       wieder über Fußball ausgetauscht. „Als ich sah, dass eine Stadt in der Nähe
       von Poltava angegriffen wurde, geriet ich in Panik“, erzählt der
       28-Jährige. Er habe Najeeb Yakubu direkt kontaktiert. Für ihn stand fest,
       dass Yakubu und seine Freundin in Deutschland am sichersten wären. „Wir
       haben hier eine lange Geschichte mit Krieg und wir lernen schon in der
       Schule, wie wichtig es ist, in solchen Momenten zu helfen und solidarisch
       zu sein.“
       
       Von Uschgorod aus versuchte das junge Paar nach Ungarn zu gelangen. „Wir
       wurden von den bewaffneten Grenzschützern und Beamten getrennt“, erzählt
       Gracelove Quarcia sichtlich angefasst. „Die weißen Ukrainer hatten
       Priorität, erst kamen sie, dann die Schwarzen Kinder und Frauen und
       anschließend die Schwarzen Männer.“ Wegen ihrer Schwangerschaft wurde die
       Medizinstudentin bevorzugt und in einer Gruppe mit anderen Frauen in einem
       Auto nach Ungarn gefahren. Najeeb Yakubu konnte sich wie seine Freundin zu
       einer Fahrgemeinschaft dazugesellen. „Wir waren vier Schwarze Männer“,
       erzählt er. Der Fahrer habe ihn und die anderen Schwarzen Männer kurz vor
       der ungarischen Grenze grundlos rausgeschmissen.
       
       „Dass ich für eine Mannschaft in der Ukraine Fußball gespielt habe, hat
       keine Rolle gespielt, [2][sie sahen auf der Flucht nur meine Hautfarbe],
       dementsprechend wurde ich behandelt.“ Das habe ihn verletzt, zumal er sich
       in der Vergangenheit um eine ukrainische Einbürgerung bemüht habe, um für
       die Nationalmannschaft der Ukraine zu spielen. „Ich habe mich eigentlich
       immer wohl und willkommen in der Ukraine gefühlt. Bis zu meiner Flucht.“
       Mit den drei anderen Männern lief Yakubu in der Nacht von Samstag auf
       Sonntag über eine Stunde in der ukrainischen Kälte nach Ungarn. „Ich sah
       Menschen um mich, die vor Erschöpfung zusammenbrachen.“
       
       ## „Das macht mir Angst“
       
       In der ungarischen Grenzstadt Záhony traf er seine Freundin wieder. Über
       Prag und Berlin gelangten sie nach Bielefeld. Najeeb Yakubu möchte sich nun
       so schnell wie möglich in Deutschland zurechtfinden. Der Verteidiger hat
       laut dem Fußballportal transfermarkt.de einen Marktwert von 900.000 Euro.
       „Das Wichtigste für mich ist es, die deutsche Sprache zu lernen und schnell
       mit dem Training in einem Verein zu beginnen“, erklärt er. Gracelove
       Quarcia möchte ihr Medizinstudium fortsetzen.
       
       Yakubu berichtet, einige seiner nichtukrainischen Teamkollegen seien
       bereits bei neuen Teams unter Vertrag. „Um meine ukrainischen Teamkollegen
       mache ich mir am meisten Sorgen“, erzählt der 22-Jährige. Sie dürften das
       Land nicht verlassen. Sie müssten kämpfen und ihr Leben riskieren. „Das
       macht mir Angst“, sagt Yakubu. Über die Jahre seien tiefe Freundschaften
       entstanden. Ab und zu erhält Yakubu von einigen Teamkollegen Nachrichten
       auf sein Handy, als kleines Lebenszeichen.
       
       Momentan sucht das Paar nach psychologischer Betreuung. Angesichts der
       weiterhin großen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine und ihrer eigenen
       Erfahrungen weisen sie auf ein vielfach unbeachtetes Problem hin: „Wir
       wünschen uns, dass auch anderen Schwarzen Menschen geholfen wird, die in
       der Ukraine festsitzen. Wir mussten viele Schwarze Studenten zurücklassen.“
       Sie seien genauso auf die Hilfe Europas und der Welt angewiesen.
       
       16 Mar 2022
       
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