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       # taz.de -- Nord Stream 2 wird zur Herberge: Dream Big!
       
       > Aus der Pipeline Nord Stream 2 könnte eine internationale Jugendherberge
       > werden, findet Architekt Benedikt Hartl. taz zwei hat da noch ein paar
       > mehr Ideen.
       
   IMG Bild: „Nord Stream 3“: Architekt Hartl und sein @oppositeoffice haben da eine Idee für ein Röhrenhotel
       
       Der Münchner Architekt Benedikt Hartl ist bekannt für utopische Entwürfe.
       Hartl und sein Architekturbüro Opposite Office intervenieren gerne mit
       bestechend logischen Bauplänen ins Weltgeschehen. Sie haben schon den
       Buckingham-Palast als sozialen Wohnungsbau vorgeschlagen und den Berliner
       Flughafen BER als Coronakrankenhaus. Neueste Idee: [1][aus Nord Stream
       2] eine Jugendherberge machen. „Nord Stream 3“ nennt der Architekt seinen
       Entwurf.
       
       Wegen des russischen Einmarsches in die Ukraine wurde das
       Genehmigungsverfahren für die Erdgaspipeline gestoppt. Hartls Team hat sich
       von japanischer Architektur inspirieren lassen. Anstatt einen fossilen
       Brennstoff zu transportieren, der längst überholt sein sollte und der
       außerdem nun zu einer ganz anderen Art Brennstoff geworden ist, wäre das
       „Nord Stream Hotel“ ein Ort der Begegnung und Verständigung für Europa.
       
       [2][Der Spiegel nennt Hartls utopische Entwürfe] „völlig unrealistisch“,
       was nicht stimmt. Denn jeder einzelne wäre umsetzbar, und zwar vermutlich
       einfacher als manches reale Prestigeprojekt. In der Regel ist die
       vorgeschlagene Nutzung des Raums sinnvoller, wirtschaftlich logischer und
       humaner als die gegenwärtige. Das ist die Funktion utopischen Denkens:
       Nicht unbedingt der Entwurf an sich ist entscheidend, sondern dass wir uns
       zu fragen beginnen, was uns an seiner Umsetzung eigentlich hindert. Utopien
       machen uns Knackse im Kopf, die lebensnotwendig sind.
       
       Der Spiegel, ganz feierlich, stellt die offene Frage, „ob so viel Phantasie
       erlaubt ist in einer Zeit, da Millionen Menschen einen echten Zufluchtsort
       brauchen“. Das reale Leid mitzubedenken mag redlich sein – aber ob je nach
       Weltlage unterschiedlich viel Fantasie erlaubt ist, steht hoffentlich nicht
       zur Debatte. Deswegen schicken wir, mit Gruß nach München und zum Planeten
       Erde, ein paar unserer eigenen Utopien hinterher. Völlig unrealistisch?
       Entscheiden Sie selbst!
       
       ## Willkommenes Zuhause
       
       Die kleinste Wohnung allein ist 100 Quadratmeter groß, liegt zentral und
       ist super angebunden. Die übrigen Wohnungen im Komplex sind größer. Und das
       Ganze ist sogar erschwinglich. So könnte es in Großstädten aussehen, würde
       man sich auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, statt Grünflächen zu
       bebauen, für die [3][naheliegendste Lösung entscheiden: Shoppingzentren].
       
       Shopping-Malls ermöglichen vollkommen neue Wohnkonzepte. Zu jeder Wohnung
       gibt es nicht nur genügend sichere Stellplätze für Fahrräder,
       Gemeinschaftsräume und eine Dachterrasse – sondern auch ausreichend breite
       Flure für ältere und gehbehinderte Menschen. Unzählige unnötige Malls gibt
       es, die kostbaren Platz wegnehmen. Warum nicht statt H&M und Media Markt
       Generationen-WGs? Bodentiefe Fenster in die geschmacklosen Fassaden setzen.
       Mit der Rolltreppe kann man Nachbar:innen besuchen.
       
       Die Kinder spielen im ersten Geschoss, während sich Ältere zum Tischtennis
       oder Entspannen in den oberen Stockwerken treffen. Statt wie bislang
       überteuerte Schrebergärten zu pachten, lassen sich die Zucchini auf der
       Dachterrasse anbauen. Sonnenliegen, ein Pool und ein Bolzplatz sollten auch
       dabei sein.
       
       Carolina Schwarz 
       
       ## Bis zum Horizont
       
       Auf jeder Seite ein breiter Grünstreifen. Schatten spendende Wäldchen
       wechseln sich ab mit Sitzecken, Liegewiesen, Picknick- und Grillplätzen.
       Dazwischen die Fahrbahnen: vier Spuren in jede Richtung; nur für Fahrräder
       und andere Nichtverbrenner! Und das Ganze bis zum Horizont. So könnten die
       über 13.000 Kilometer deutsche Autobahn verwendet werden, wenn sie nicht
       mehr für den Autoverkehr gebraucht werden.
       
       Autobahnen sind ab 30 Meter breit und geben das locker her, ohne dass man
       sich mit verschiedenen Radeltempos in die Quere kommt. Die Aussicht ist
       grandios, weil die Schallschutzwände längst abgebaut sind. Regelmäßige
       Ladestellen, Raststätten, Verleihstationen und Werkstätten schmiegen sich
       an die Radbahnen. Hier können die Fahrer*innen ihre E-Bikes, E-Roller
       oder E-Rollstühle auftanken und sich selbst gleich mit. Radhotels gibt’s in
       den anliegenden Ortschaften.
       
       Auch die etwas gemütlicheren Bewohner*innen von Utopia schaffen es so
       in ihren sechs Monaten Jahresurlaub locker einmal von der Küste in die
       Alpen und einmal von der Oder an den Rhein. Genießen Sie die frische Luft
       und die Ruhe und lassen Sie sich treiben. Denn [4][selbstverständlich gilt
       auf der Radbahn: Tempolimit].
       
       Peter Weissenburger 
       
       ## Auf ins Humbug-Forum!
       
       Die Mitte der Hauptstadt denen geben, die während der Pandemie viel zu oft
       zurückstecken mussten: den Kindern. Im ehemaligen Humboldt-Forum bauen wir
       einen Riesenspielplatz. Dort können sie all die angesammelte Energie
       loswerden. Oberste Etage: ein riesiges Bällebad.
       
       Wenn gelüftet wird, können Bälle schon mal auf die Straße fallen, es
       entwickeln sich spontane Fußballspiele auf Beton und Wurfturniere am Fluss.
       Zweites Obergeschoss: eine Lasertag-Arena, wo auch größere Kids sich
       austoben können. Der erste Stock teilt sich in drei Räume: in
       Indoorspielplatz, einen Computerspielebereich und einen Brettspiele- und
       Puzzleraum. [5][Das Humboldt-Forum als ethnologisches Museum] wird ja nicht
       mehr gebraucht, wenn die Raubkunst zurückgegeben worden ist. Wie könnte man
       die 30.000 Quadratmeter besser umnutzen?
       
       Das Gebäude abzureißen, wäre für die CO2-Bilanz schlecht. Im Erdgeschoss,
       dort wo es schon Restaurants und Shops gibt, werden die besten Kartoffeln
       mit Würstchen der Stadt serviert. Und es gibt nur eine Regel: Alles muss
       mit den Händen gegessen werden. Der Keller wird zur
       Schwarzlicht-Minigolfanlage umgebaut. dort, wo jetzt Rolltreppen sind,
       werden Riesenrutschen installiert.
       
       Nicole Opitz 
       
       ## Planschbeckle21
       
       In Utopia haben wir kapiert: Wir brauchen keinen Milliarden teuren
       Hightech-Bahnhof. In Utopia haben wir ein perfekt ausgebautes Netz des
       öffentlichen Nahverkehrs, machen Konferenzen im Homeoffice, pendeln nicht
       mehr ständig gehetzt, sondern lassen uns in der Freizeit entspannt
       unendliche Radwege entlangrollen.
       
       Deswegen können wir das phänomenal große Loch mitten im alten Stuttgarter
       Bahnhof, das wir [6][für Stuttgart 21 ausgehoben haben], jetzt fabelhaft
       für die Gemeinschaft umnutzen. Wir füllen es mit Wasser, an die eine Seite
       kommt ein Sprungbrett, drumherum stehen bunte Liegestühle. Die vor Jahren
       für die Großbaustelle gefällten Bäume werden ersetzt und finden um den Pool
       herum ihren Platz und sorgen für Abkühlung – ebenso die große Bar, die
       Cocktails serviert oder Hofbräu für die eingefleischten Stuttgart-Fans,
       frisch gezapft.
       
       Im Winter wird die Fläche zur Eisfläche umfunktioniert und die Bierfässer
       werden mit Glühwein und Punsch gefüllt. Ob in der Mittagspause, nach der
       Arbeit oder als kurzes Intermezzo vor der Zugreise, endlich hätte der
       Stuttgarter Bahnhof etwas, was ihn wirklich attraktiv macht. Wer würde noch
       unterirdische Züge vermissen?
       
       Malaika Rivuzumwami
       
       18 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-dem-Stopp-von-Nord-Stream-2/!5833856
   DIR [2] https://www.spiegel.de/kultur/benedikt-hartl-und-sein-nord-stream-2-projekt-schlafkojen-fuer-den-frieden-a-d91fd701-e40a-42ab-ab03-9a766c7ed1eb
   DIR [3] /Wissenschaft-im-Einkausfzentrum/!5821708
   DIR [4] /Energiesparen-gegen-Putin/!5836542
   DIR [5] /Einigung-zu-Raubkunst-aus-Nigeria/!5808206
   DIR [6] /Mehrkosten-bei-Stuttgart-21/!5833187
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
   DIR Carolina Schwarz
   DIR Nicole Opitz
   DIR Malaika Rivuzumwami
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Utopie nach Corona
   DIR Stadtentwicklung
   DIR Nord Stream 2
   DIR Energiewende
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
       
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