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       # taz.de -- Kunstzentrum in Berlin-Spandau: Die Tiefe der Bilder
       
       > Im ZAK in der Zitadelle Spandau lotet die Ausstellung „Figure. No Figure.
       > X“ verschiedene Strategien des malerischen Erzählens aus.
       
   IMG Bild: Die Ausstellung „Figure. No Figure“ mit Arbeiten von Salome Haettenschweiler und Verena Schirz-Jahn
       
       Am Eingang der Zitadelle Spandau erhält man ein kleines Faltblatt zur
       Information. Man kann in einen Fledermauskeller hinabsteigen, im ehemaligen
       Proviantmagazin abgestellte Berliner Denkmäler besuchen, durchweg männlich,
       – [1][Lenins Kopf gilt als besondere Attraktion] -, sich mit der Geschichte
       der Festung Spandau beschäftigen oder in der ehemaligen Exerzierhalle
       Prunkgeschütze aus dem 17. Jahrhundert anstaunen. Ganz unten auf dem
       Faltblatt ist auch ein Hinweis auf das ZAK.
       
       Tatsächlich ist das [2][Zentrum für Aktuelle Kunst] eine kleine Sensation
       in diesem geschichtssatten Ambiente. Nicht nur weil die Säle mit 2.500
       Quadratmetern Ausstellungsfläche in einer ehemaligen Kaserne die größte
       kommunale Galerie Berlins bieten. Sondern auch, weil hier Ralf Hartmann,
       der 2017 Kulturamtsleiter von Spandau wurde und das Zentrum für Aktuelle
       Kunst initiiert hat, seitdem vor allem [3][mit vielen Künstlerinnen aus
       Berlin] großzügige Ausstellungen auf den Weg gebracht hat. Auch in dem
       Wissen, wie schwer es gerade oft ältere Künstlerinnen haben, gesehen zu
       werden, zumal dann, wenn ihre künstlerische Biografie von längeren
       Lehrtätigkeiten oder sozialen Kunstprojekten unterbrochen war.
       
       Drei Ausstellungen sind derzeit zu sehen: eine davon „Figure. No Figure.
       X.“ arbeitet mit vier Künstlerinnen aus Berlin, die zwischen Abstraktion
       und Gegenständlichkeit unterschiedliche Positionen einnehmen und sich auf
       verschiedene Art ins Verhältnis setzen zur Geschichte der Malerei.
       
       Streifenbilder oder sich überlagernde farbige Kreise von Verena Schirz-Jahn
       erinnern zwar an Hardedge-Malerei und konkrete Kunst, doch ist ihr
       Farbauftrag durchlässiger und leichter. Horizontale und vertikale Ordnungen
       und geometrische Formen erzählen zunächst zwar von der Arbeit der Reduktion
       und der Konzentration. Die Transparenz der Farben aber und ihr Leuchten
       mildern die strenge Ausstrahlung. Ein persönlicher Malduktus ist getilgt,
       aber die Zusammenklänge der Farben sind vielstimmig und bringen jeweils
       einen sehr eigenen Akkord in die Ausstellungsräume.
       
       Verena Schirz-Jahn, 1944 geboren, ist die älteste der vier Malerinnen. Anja
       Billing, Jahrgang 1967, ist die jüngste. Auf großen Leinwänden wird bei ihr
       zuerst die Farbe selbst zum Ereignis, expressiv, explosiv und mit
       malerischen Gesten in Bewegung, die emotional aufgeladen wirken. Ihr
       Bildgefüge lässt sich nicht so schnell erfassen, die Augen sortieren noch,
       wo es in die Tiefe geht, wo etwas heraussticht, und nehmen dabei erst
       allmählich wahr, dass da noch mehr ist.
       
       ## Suchen und Entdecken
       
       Aus Flecken, Schemen, Linien schält sich Figürliches, Vegetatives, Innen-
       oder Außenräume. Eine zweite narrative Struktur verbindet sich mit der
       Ereignishaftigkeit des malerischen Aktes selbst; was erst abstrakt schien,
       wird von Erinnerungen an Anderes durchdrungen. Das regt in der Ausstellung
       an, immer wieder von einem zum anderen Bild zu laufen und zu suchen, was
       man noch entdecken kann.
       
       Nicht wenige von Anja Billings Motiven in der Zitadelle verweisen auf
       ältere Kunst, Figurenkonstellationen aus den Darstellungen von Heiligen und
       Marien mit Kind etwa. Als ob am Grund der Bilder, bevor sie sich in der
       Gegenwart entfalten, immer auch ein Weg nach rückwärts, in die Geschichte
       der Kunst wiese und ohne das Wissen um diese Geschichte nicht gut zu
       erzählen wäre, was sich jetzt in der Gegenwart ereignet.
       
       Zwischen Billings und Schirz-Jahns Bildern bewegen sich einige Objekte von
       Salome Haettenschweiler. Nun, ganz konkret bewegen sie sich nicht, aber
       nicht nur, weil sie teils auf kleine Rollen gesetzt sind, muten sie wie
       beweglichen Einheiten an, kleine Schwärme in Weiß oder Schwarz, die in
       Fußhöhe Grüppchen am Boden bilden.
       
       Auch Salome Haettenschweiler versteht sich als Malerin, bei der die Farbe
       freilich nicht immer auf der Fläche bleibt, sondern mittels bemalter
       Leinwandstreifen Objekte formt. Oder Objekte aus Papier werden übermalt.
       Manchmal bildet auch ein malerischer Stoffdruck die Haut der Dinge.
       
       ## Wie Tänzer im Raum
       
       Es gibt gleich am Eingang der Ausstellung ein hohes, stuhlähnliches Objekt
       in Rot, dem seine Lehne etwas Stolzes verleiht, während die Umwicklung mit
       roten Leinwandstreifen auch etwas Verletzbares und Gebrochenes erzählt. Im
       Raum der Ausstellung nehmen Haettenschweilers Objekte Rollen an, die sich
       den Raum wie Tänzer aneignen.
       
       Aber von Haettenschweiler sind auch große Papierarbeiten zu sehen, in denen
       sie zum Beispiel mit nebeneinander gesetzen Kreisformen dem Werk von Verena
       Schirz-Jahn nahekommt. So stellen sich Verbindungen zwischen den
       Künstlerinnen her, die sich vorher nicht kannten und erst vom Kurator hier
       zusammengebracht wurden.
       
       Die vierte Malerin ist Paola Neumann, die das Malerische jenseits des
       Erzählerischen auslotet. Auf ihren Bildern gibt es farbige Wolken, die aber
       wie unscharf und auf dem Rückzug wirken. Gerade noch, dass sie einen
       malerischen Raum andeuten, auf dem sie aber schon in weite Ferne davon
       geschwebt sind.
       
       Oberflächlich werden Abstraktion und Gegenständlichkeit teils noch immer
       als Gegensätze behandelt; was sie aber nur in Teilabschnitten der
       Geschichte waren, die die Begriffe kulturpolitisch aufheizte. Die Malerei
       lebt hingegen oft vom Spannungsfeld zwischen diesen Polen. Und das lässt
       sich in „Figure. No Figure. X“ gut nachvollziehen.
       
       2 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausstellung-zu-Berliner-Denkmaelern/!5296673
   DIR [2] https://www.zitadelle-berlin.de/zentrum-fuer-aktuelle-kunst/
   DIR [3] /Verein-der-Berliner-Kuenstlerinnen/!5473690
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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