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       # taz.de -- Musiker über die 1920er-Jahre: „Ein Impfstoff gegen alles Dumme“
       
       > Heute so aktuell wie damals: In seinem Programm „Unkraut vergeht nicht!“
       > singt Robert Kreis Lieder aus der Weimarer Republik.
       
   IMG Bild: Gar nicht so viel anders als heute: Tanztee in Berlin in den „Goldenen Zwanzigern“
       
       taz: Herr Kreis, Sie bringen Musik der Weimarer Republik auf die Bühne.
       Warum sind diese Lieder aus den 1920er-Jahren immer noch aktuell? 
       
       Robert Kreis: Schon als junger Mensch habe ich über diese Texte gedacht:
       Das ist überhaupt nicht nostalgisch. Die Texte sind immer jede Epoche
       mitgegangen. Auch jetzt zeigen sich Parallelen zwischen den 1920ern und
       unserem Jahrzehnt: Beide Jahrzehnte wurden von einer Pandemie geprägt. In
       der Weimarer Republik gab es eine massive Wohnungsnot, die Menschen sorgten
       sich wegen steigender Preise und der Inflation. Das sind Themen, die uns
       heute doch auch beschäftigen. Mich reizt es, Themen von damals in die
       Aktualität von Heute zu transferieren.
       
       Wie sind Sie erstmals mit dieser zumeist jüdischen Liederkultur der
       Weimarer Republik in Berührung gekommen? 
       
       Mit Anfang 20 hat Berlin eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich
       ausgeübt. Was war Berlin in den Zwanzigern für eine Stadt? Ich fing an
       vieles darüber zu sammeln, auf Flohmärten, in Antiquariaten. Und da ist
       dieses enorme Interesse für Texte, Schlager- und Kabarettnoten entstanden.
       Damals entdeckte ich, dass diese Texte zu circa 70 Prozent von jüdischen
       Künstlern stammten. Die haben Berlin damals zu dieser Weltmetropole
       gemacht. Das interessierte mich und ich dachte: Wenn ich auf die Bühne
       gehe, dann grabe ich das aus: all die wunderbaren Nachlässe dieser
       verfolgten und ermordeten Künstler.
       
       Warum widmen Sie sich der Bewahrung dieser zumeist Musik? 
       
       Weil diese Sachen unwiederbringlich gut sind. Sie sind voller Heiterkeit
       und Intelligenz und sie haben einen Reichtum an Esprit. Das fehlt uns
       heutzutage. Diese Lebensfreude in einem Text. Diese Lieder sind zudem ein
       Gegenmittel gegen die sprachliche Verarmung. Sie sind ein Impfstoff gegen
       alles Dumme und Blöde, was wir heutzutage erleben. Diese Texte müssen ins
       Rampenlicht. Wir müssen natürlich über den Holocaust sprechen, daran muss
       immer wieder erinnert und das Wissen darüber weitergegeben werden. Dies
       gilt aber genauso für die Fröhlichkeit und Heiterkeit der jüdischen Kultur.
       Dieser feinsinnige Umgang mit der deutschen Sprache gehört auf die Bühne.
       
       Haben Leute zu Beginn negativ darauf reagiert, dass Sie Werke vom NS-Regime
       verfolgter oder ermordeter Künstler*innen auf die Bühne gebracht haben? 
       
       Nein, im Gegenteil. Ich muss sagen, dass ich immer sehr verwöhnt gewesen
       bin. Ich hatte immer ein ganz positives und enthusiastisches Publikum. Die
       Leute waren eher glücklich, dass ich diese Texte auf die Bühne gebracht
       habe. Ich habe nie etwas Negatives erlebt. Das gilt bis heute. Vor einiger
       Zeit habe ich in Dresden gespielt und Pegida-Demonstranten zogen an der
       Semper-Oper vorbei, während ich nur Hundert Meter entfernt vor
       ausverkauftem Publikum spielte und jüdischer Künstler gedachte.
       
       Heutzutage erleben wir einen 1920er-Jahre-Boom. Ich denke da an die Serie
       „Babylon Berlin“ oder Neuverfilmungen von „Berlin Alexanderplatz“ und
       „Fabian“. Wie finden Sie diese Entwicklung? 
       
       Die Zwanzigerjahre kommen immer wieder zurück. In den Siebzigern war es
       schon so und auch heute wieder. Ich finde das phantastisch, weil vor allem
       die jüngeren Leute sich überhaupt kein Bild davon machen können, wie das
       damals gewesen ist. Es ist toll, wenn diese Menschen nun angesprochen
       werden. Deshalb sehe ich es auch als meine kulturelle Aufgabe, diese
       Generation für die Zwanzigerjahre zu begeistern.
       
       2 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lenard Brar Manthey Rojas
       
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