URI: 
       # taz.de -- Das Wesen des Saarlandes: Frohsinn und Beleidigtsein
       
       > Im Saarland feiert man schon jede eigene Teilnahme bei „DSDS“ oder beim
       > Pfeilewerfen mit Sondersendungen. Wer man ist, weiß man aber nicht so
       > recht.
       
   IMG Bild: Das Grabmal der Elisabeth von Lothringen in der Stiftskirche in Saarbrücken
       
       Das Saarland muss seit jeher mit albernen Wortspielen – von „Saarabien“ bis
       „Saarvoir Vivre“ – und zahlreichen Superlativen des Ungenügens
       zurechtkommen. Es war jahrzehntelang, bevor es neue gab, das neueste
       Bundesland, ob Nesthäkchen, Nachzügler oder später Unfall, wer weiß das
       schon. Es ist das kleinste Flächenland der Republik, Ölteppiche und
       Waldbrände sind für gewöhnlich größer; nur Bremen hat weniger Einwohner.
       
       Überregionale Medien [1][widmen dem Land alle paar Jahre pflichtschuldig
       ein Dossier] kurz vor [2][der Landtagswahl], deren Ergebnisse am Wahlabend
       zu analysieren. 5 Minuten dauert – es ist Sonntag, wir müssen grillen, egal
       wie kalt. Die kleinste Großstadt der Welt, Saarbrücken, hat wegen ihrer
       Verlotterung einen kurzzeitig und hauptsächlich dort selbst
       aufsehenerregenden Auftritt im intellektuellen Mittelschichten-TV, worüber
       man noch in Jahren, auch ein bisschen stolz, reden wird.
       
       Allenfalls die Satire scheint sich öfter mal näher mit dem Randland
       beschäftigen zu wollen, sei es wegen „Tatort“ oder tragikomischer
       Kamikazevideos eines verzweifelten Ministerpräsidenten oder wegen
       sagenhafter Inkompetenz bei der Zusammenstellung eines Kompetenzteams.
       Letzteres ist übrigens nur eine von vielen bitteren Konsequenzen der sich
       aufgrund seiner übersichtlichen geografischen Ausmaße natürlich ergebenden
       und organisch gewachsenen kurzen Wege des Landes.
       
       In einigen Dingen fährt das Saarland aber auch im Bundesvergleich
       überdurchschnittliche Ergebnisse ein: Da seien nur mal die
       Corona-Inzidenzen, die Arbeitslosenquote, Kinderarmut und Sterneküchen
       genannt. Und auch die Zahl der Einkommensmillionäre scheint sich in den
       letzten Jahren herausragend erhöht zu haben. Dazu liegen aber keine
       aktuellen, belastbaren Zahlen vor. Eine der Sache angemessene Statistik auf
       Dünndruckpapier mit Goldschnitt in Leder gebunden wäre sehr teuer und das
       Saarland ist zu allem Elend auch noch arm.
       
       ## Wir haben gern unsere Ruhe
       
       Zugegebenermaßen klingt das alles weder verlockend noch einladend, was aber
       ganz im Sinne der Sache liegt, denn wir haben hier doch gern unsere Ruhe
       und bleiben unter uns, innerhalb des Doppelstabmattenzaunes, den Überblick
       über den Steingarten behalten wir mit der sehr beliebten Videoüberwachung.
       Obwohl, andererseits, einige Familien, die im frühen 17. Jahrhundert
       zugezogen sind, werden langsam akzeptiert. Denn natürlich sind wir
       weltoffen und gastfreundlich so mitten im Herzen Europas beziehungsweise
       knapp daneben.
       
       [3][Knapp neben Frankreich übrigens] liegt das Saarland ja auch noch.
       Knapper geht es eigentlich gar nicht. Okay, Italien zum Beispiel liegt auch
       knapp neben Frankreich, aber das ist was ganz anderes. Mit Italien hat das
       Saarland nämlich kein Problem, wegen Pizzaservice und Eis und so – aber mit
       Frankreich. Da weiß man nie so genau, wer eigentlich wem gehört, das ging
       schon so oft hin und her, es sind inzwischen leider alle ein wenig verrückt
       geworden. Auch, weil man im angrenzenden Frankreich fast genauso fließend
       Deutsch spricht [4][wie Französisch im Saarland].
       
       ## Zu Baguette und Rotwein radeln
       
       Wobei das saarländische Kabarett wiederum den französischen Akzent sehr
       schätzt. Da kann man schon mal verwirrt sein. Darum wurde vor einigen
       Jahren von der damaligen Landesregierung die „Frankreichstrategie“ ins
       Leben gerufen. Die wäre ja nicht notwendig, wenn man selbst Frankreich
       wäre. So kann man sich das seither merken. Hast du eine
       Frankreichstrategie, bist du Saarländer, hast du keine Strategie, bist du
       Franzose.
       
       Das ist vor allem wichtig, wenn du über die Grenze radelst, um Baguette,
       Rotwein und Käse zu kaufen. Und Kartoffeln von der Île de Batz. Das gibt es
       zwar alles auch im Saarland, aber bis dahin bist du eine Stunde länger
       unterwegs, und dann kann man nun mal das meiste beim besten Willen nicht
       mehr essen. Wer übrigens mal versucht hat, im frankreichstrategischen
       Rahmen ein überregionales Projekt zu initiieren, merkt sehr schnell, dass
       er in Deutschland ist.
       
       ## So idyllisch ist es nicht
       
       Aber, mal ehrlich: Trotz materiellen und immateriellen Kulturerbes, hoher
       Hügel, Tälern, Wäldern, Landmarken, Aussichtsplattformen und fließenden
       Wassers – ganz so idyllisch ist es im Saarland natürlich nicht. Denn die
       Idylle setzt auch Zufriedenheit voraus, und zufrieden kann man nicht sein,
       bei allem, was man schon durchgemacht hat und das einem die Identität und
       das Selbstbewusstsein verhagelt. Man weiß nicht so recht, wer, wo und warum
       man ist. Und einige scheinen nicht einmal zu wissen, wann sie sind.
       
       Während man einerseits jede Erwähnung in den überregionalen Medien, wie
       auch immer sie geartet sei, mit mindestens einem Beitrag im lokalen Medium
       an sein Volk weitergibt – ist dieses doch durch die Allgegenwart der beiden
       regionalen Großmedien von der Außenwelt quasi abgeschnitten – und jede
       saarländische Teilnahme bei „DSDS“, beim Pfeilewerfen oder Ping Pong mit
       Sondersendungen verziert, identifiziert man sich und stellt seine eigene
       Besonderheit gern dar unter Zuhilfenahme migrierter Prominenter oder durch
       das ungefragte Hinzuziehen jenseitiger Grenzregionen, womit eine größere
       Strahlkraft ins Reich entfaltet werden soll, was aber zugleich einen selbst
       in den Schatten und den eigenen Wert unter den Scheffel stellt.
       
       ## Saarländer kommen immer zurück
       
       Da schwächelt doch das Identitätsbewusstsein ein wenig und nicht wenige
       schließen daher lieber mit der Welt jenseits der Landesgrenzen ab oder
       werden Künstler oder Entwicklungshelfer. Manch eine bemüht dabei trotzig
       gar ein so perfektes Hochdeutsch, dass sie als Saarländerin nur am
       Zahnstatus identifiziert werden kann, oder weil sie nach langen
       Auswärtsjahren wieder zurückkommt. Denn Saarländer kommen immer zurück.
       
       So mäandert man also hin und her, [5][zwischen Bescheidenheit und
       Größenwahn], selbstgeschaffenen Klischees der Weltoffenheit und
       Eigenbrötelei, Frohsinn und Beleidigtsein und es überrascht letztlich
       nicht, dass das Saarland-Marketing sein Credo „Großes entsteht immer im
       Kleinen“ gar nicht mal selbstironisch meint. Und, übrigens, die
       Saarländische Unabhängigkeitsbewegung gibt es nicht wirklich. Auch wenn das
       vielerorts, und auch jenseits der Landesgrenzen, bedauert wird.
       
       24 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Unbekanntes-Saarland/!vn5842390
   DIR [2] /Wahlkampf-im-Saarland/!5839850
   DIR [3] /Interview-am-Schlagbaum-im-Saarland/!5683619
   DIR [4] /Zweisprachiges-Bundesland-geplant/!5050228
   DIR [5] /Die-Wahrheit/!5484685
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Nixdorf
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland
   DIR Saarland
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland
   DIR Grüne
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl im Saarland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Maßstab Saarland: Großes, kleines Bundesland
       
       Von der Illusion, wir hätten eine Vorstellung davon, wie groß eine Fläche
       von 2.569 Quadratkilometern ist. Warum das Saarland zum Maß wurde.
       
   DIR Im Grenzgebiet von Moselle und Saarland: Irrfahrt mit einem Rechten
       
       Unsere Autorin verfuhr sich mit einem Mitglied des Rassemblement National –
       und lernte dabei über Grenzen, Saarland und dm.
       
   DIR Grüne und Linke im Saarland: Ruinöse Machtkämpfe
       
       Der Zoff bei den Linken sowie den Grünen an der Saar weist Parallelen auf:
       in die Jahre gekommene Protagonisten streiten um wenige Posten.
       
   DIR Wahlkampf im Saarland: Mit maximaler Endgeschwindigkeit
       
       Im Saarland wird Ende März gewählt, die SPD liegt in Umfragen vorne. Es
       wäre der erste Sieg seit Lafontaines Abgang.