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       # taz.de -- Russische Attacke auf ukrainisches AKW: „Beispiellose Situation“
       
       > Die Internationale Atomenergiebehörde reagiert entsetzt auf Moskaus
       > Angriff aufs AKW Saporischja. Doch Strahlung soll nicht freigesetzt
       > worden sein.
       
   IMG Bild: Ein Demonstrant in London protestiert gegen den russischen Angriff auf das AKW Tschernobyl
       
       Berlin taz | Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat sich entsetzt
       über den Angriff russischer Truppen auf das ukrainische Atomkraftwerk
       [1][Saporischja] gezeigt. Das sei eine „beispiellose Situation“, man bewege
       sich „komplett in unbekanntem Fahrwasser“, sagte IAEA-Generalsekretär
       Rafael Mariano Grossi im Freitag in Wien. [2][Noch nie ist bisher ein
       laufendes Atomkraftwerk in einem Krieg von regulären Truppen attackiert
       worden].
       
       „Für die IAEA ist es jetzt Zeit, zu handeln.“ Grossi erklärte sich bereit,
       selbst an den Ort der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zu reisen, um dort
       mit russischen und ukrainischen Vertretern über ein Abkommen zu verhandeln,
       das das Verbot von Angriffen auf Nuklearanlagen bekräftigen solle.
       
       In der Nacht zum Freitag hatten russische Truppen das leistungsstärkste
       Atomkraftwerk Europas in Saporischja angegriffen und besetzt. Dabei wurde
       ein Trainingszentrum neben den Reaktoren von einem Projektil getroffen und
       in Brand gesetzt. Zwei Wachleute seien verletzt worden, hieß es. Die sechs
       1000-Megawatt-Reaktoren, ihre Brennelemente und ein Zwischenlager für
       strahlende Abfälle auf dem Gelände seien aber unbeschädigt, die
       Messinstrumente funktionierten nach Angaben der ukrainischen Betreiber und
       zeigten keine erhöhte Radioaktivität.
       
       Nur ein Reaktor laufe normal, zwei weitere seien zur Sicherheit schnell
       heruntergefahren worden, die anderen lägen ohnehin still. Die Blöcke sind
       nach Angaben der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) so
       gebaut, dass sie auch den Absturz eines zehn Tonnen schweren Flugzeugs mit
       750 km/h Geschwindigkeit überstehen können.
       
       ## AKW dürfen nicht angegriffen werden
       
       Die Leitwarte des AKW werde weiter von ukrainischem Personal betrieben, das
       aber von russischen Truppen umzingelt sei. Der Mannschaft blüht ein
       ähnliches Schicksal wie ihren KollegInnen am Unglücksreaktor und den
       Lagerstätten von Tschernobyl: Dort halten die russischen Besatzer nach
       Aussagen von Experten die Betriebsschicht praktisch an ihrem Arbeitsplatz
       gefangen, damit sie weiterarbeitet.
       
       „Wir hatten Glück, dass keine Strahlung ausgetreten ist“, sagte
       IAEA-Generalsekretär Grossi. Er wiederholte die Prinzipien der IAEA, die
       „nicht zur Disposition stehen“, wie er sagte: „Nuklearanlagen dürfen nicht
       angegriffen werden!“. Zentral seien die „pyhsische Integrität“ der Anlagen,
       der garantierte Betrieb aller Sicherheitsanlagen und Messstationen,
       Sicherheit für das Personal, verlässliche Stromversorgung und Lieferketten
       und offene Kommunikation. „Wenn wir alle dieser Meinung sind, wie die
       Aufsichtsratssitzung am Mittwoch gezeigt hat, müssen unsere Worte etwas
       bedeuten“. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Russland und die Ukraine ein
       „Rahmenabkommen“ beschließen, dass „diese Prinzipien nicht verletzt werden
       dürfen.“
       
       Schon vorher hatte die UN-Behörde darauf hingewiesen, dass sich alle 173
       Staaten, die der IAEA beigetreten sind, verpflichtet haben, internationales
       Recht zu achten. 2009 hätten die Staaten außerdem offiziell erklärt, „jeder
       bewaffnete Angriff oder Drohung gegen Nuklearanlagen für friedliche Zwecke
       stellt eine Verletzung der UN-Charta, des internationalen Rechts und der
       IAEA-Statuten dar.“ Russland ist eines der wichtigsten IAEA-Mitglieder.
       
       ## Sorge um weitere Atomanlagen
       
       Deutsche Behörden wiederum halten bisher mögliche Auswirkungen aus dem
       Zwischenfall für ausgeschlossen. Da keine Radioaktivität ausgetreten sei,
       gebe es auch keine Gefahr, hieß es von Bundesumweltministerium, dem
       Bundesamt für Strahlenschutz und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit
       GRS. Die Behörden warnten vor der vorsorglichen Einnahme von Jodtabletten,
       die die Gesundheit gefährden könnten. Selbst bei einem Nuklearunfall in der
       Ukraine sei – wie nach Katastrophe von Tschernobyl von 1986 – nicht mit
       Maßnahmen des Katastrophenschutzes zu rechnen, sondern erst einmal mit
       Vorsicht bei Lebens- und Futtermitteln.
       
       Der weitere Verlauf des Krieges macht der Atomgemeinde allerdings Sorge.
       Denn nach der Einnahme von Tschernobyl und Saporischja liegen [3][noch
       weitere Atomanlagen zwischen den Fronten.] Vor allem auf das AKW
       Süd-Ukraine richten sich bange Blicke der Experten: Das ältere und
       zweitgrößte ukrainische AKW habe einen deutlich schwächeren Berstschutz als
       Saporischja, hieß es. Auf diese Gefahren angesprochen sagte Generalsekretär
       Grossi nur: „Sie haben Recht mit Ihrem Hinweis.“
       
       4 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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