URI: 
       # taz.de -- Kriegsschäden in der Ukraine: Verbrannte Erde
       
       > Im Krieg schert sich niemand um die Umwelt. Die Zerstörung in der Ukraine
       > wird aber noch jahrelange Folgen für die Menschen vor Ort haben.
       
   IMG Bild: Verwüstung nach einem russischen Luftangriff
       
       In Odessa, nur etwa zwei Autostunden von der Front entfernt, ragen tickende
       Zeitbomben wie silberne Finger in die Höhe. Ganz in der Nähe des Schwarzen
       Meeres stehen sie zwischen Wohn- und Bürogebäuden. Sie heißen [1][Odessa
       Port Plant] und sind eigentlich Silos. Noch im Februar produzierten sie
       Düngemittel und Chemikalien für die Lebensmittelindustrie. Heute liegen sie
       still. Und lagern Ammoniumnitrat, das Düngemittel, dessen Explosion im
       August 2020 große Teile der Innenstadt Beiruts zerstörte. Es ist zwar
       sicherlich besser gelagert als in Beirut. Sollten die russischen Truppen
       Odessa erreichen, ist eine ähnliche Explosion, ausgelöst durch
       herumfliegende Schrapnelle, Granaten oder Raketen aber nicht unmöglich.
       
       Abgesehen von einem Zwischenfall in einem der riesigen Kernkraftwerke oder
       Atommüllzwischenlager (Atomlager sind Endlager) und dem Einsatz chemischer
       Waffen ist die Düngerfabrik in Odessa im Moment die größte Umweltgefahr für
       Mensch und Natur in der Ukraine. Es ist aber bei weitem nicht die einzige.
       Videos von brennenden Treibstoffdepots, Flugfeldern und ausgebrannten
       Fahrzeugen zeigen, dass es für die Menschen vor Ort ganz unabhängig von
       Sieg oder Niederlage um giftige Gase und kleinste Partikel in der Lunge und
       im Trinkwasser geht.
       
       Für Eoghan Darbyshire sind diese Videos der wichtigste Anhaltspunkt, um
       Umweltzerstörung zu dokumentieren. Er arbeitet im nordenglischen
       Mythylmroyd am Conflict and Environment Observatory ([2][CEOBS]) daran, die
       Aufnahmen zu verifizieren und zu lokalisieren. Seine Liste gefährlicher
       Umweltverschmutzungen ist mehr als 100 Einträge lang. Was er findet, sagt
       er, sei aber „nur die Spitze des Eisbergs“.
       
       In [3][Mariupol, der heftig umkämpften Hafenstadt] am Asowschen Meer,
       liegen zum Beispiel zwei riesige Stahlfabriken. Die Luftverschmutzung in
       der Stadt war schon in Friedenszeiten eine der schlimmsten Europas; wenn
       die Fabriken durch Beschuss beschädigt würden, mischen sich auch noch
       Schwermetalle in den giftigen Mix aus Baustaub und Ruß. Darbyshire kann
       aber aufgrund der schlechten Informationslage in und aus Mariupol derzeit
       nicht dokumentieren, wie stark die Schäden an den Stahlwerken bereits sind.
       „Allerdings sieht es nach der quasi totalen Zerstörung der Stadt aus“, sagt
       er.
       
       [4][Zu Anfang der Invasion], schildert Darbyshire, habe Russland noch sehr
       gezielt militärische Ziele angegriffen, sodass vor allem die Umgebung von
       Flugfeldern und Militärbasen von hoher Luftverschmutzung betroffen war.
       Aber durch den wahllosen Beschuss von Wohngebieten, den die russischen
       Truppen wenige Tage später begonnen haben, sei die Feinstaubbelastung in
       vielen Städten im Osten des Landes inzwischen sehr hoch. In Buchansky zum
       Beispiel brannte die Fabrik eines Dämmschaumherstellers bei Kiew ein
       Autozulieferer, in Chernihiv ein Baumarkt.
       
       Bei [5][Beschuss und Feuern in Wohnvierteln] atmen die Menschen in der
       Umgebung viele Baustoffe und Chemikalien wie Beton und Asbest in hoher
       Konzentration ein, was an und für sich schon extrem giftig ist. Die
       Partikel in der Lunge lenken zudem das Immunsystem davon ab,
       Infektionskrankheiten zu bekämpfen – wie zum Beispiel das Coronavirus, vor
       dessen schneller werdenden Ausbreitung aufgrund des Krieges die WHO warnte.
       Langfristig können derart kleine Partikel Lungenkrebs verursachen und die
       Lebenserwartung um Jahre verkürzen. Das gefährdet nicht nur die
       Stadtbevölkerung, denn moderne Waffen verursachen derart große Explosionen,
       dass Aerosole hoch genug geschleudert werden, um vom Wind hunderte
       Kilometer weit getragen zu werden.
       
       Moderne Waffen sind zudem nicht nur deswegen und während ihrer direkten
       Wirkung gefährlich, sondern auch, weil sie eine Vielzahl von Chemikalien
       enthalten. Besonders Feuer in Munitionsdepots seien gefährlich, sagt
       Darbyshire. Der Effekt der entstehenden Schadstoffe sei noch nicht
       ausreichend untersucht. Und wenn Soldaten Wälder als Deckung nutzen, werden
       sie gemeinsam mit den dortigen Pflanzen und Tieren Opfer von Artillerie und
       Luftschlägen.
       
       In einigen Kratern, die Artilleriegranaten im Ersten Weltkrieg in
       Frankreich schlugen, wachsen selbst 100 Jahre nach dem Krieg keine
       Pflanzen. Und Landminen töten nicht nur direkt größere Säugetiere, sondern
       vergiften auch Pflanzen und Böden. Zudem dürfte die ukrainische Armee
       weitläufig Strände vermint haben, um eine russische Landung zu verhindern,
       sagt Darbyshire.
       
       Wasser ist schon seit Jahren eine Waffe im Konflikt zwischen Russland und
       der Ukraine. Nachdem Russland die Krim besetzt hatte, staute die Ukraine
       den Nord-Krim-Kanal, der das Ackerland im Nordteil der Halbinsel seit den
       Siebzigerjahren mit Wasser versorgt. In den Folgejahren verringerte sich
       die Anbaufläche auf ein Zehntel. Eines der ersten Ziele der russischen
       Truppen war deswegen die Einnahme des Damms. Kurz nachdem sie ihn erreicht
       hatten, sprengten sie ihn.
       
       Dämme werden noch aus einem anderen Grund wichtig werden. Entlang des
       mächtigen Dnepr, die die Ukraine zweiteilt, wurden seit dem Zweiten
       Weltkrieg zahlreiche Staudämme errichtet, um Strom zu gewinnen. Weil die
       Dnepr ein so großer, breiter Fluss ist, gibt es nur wenige Stellen, an
       denen sie überquerbar ist. Dazu gehören auch die Dämme. Weil sie nicht so
       leicht zu sprengen sind wie Brücken, werden sie wahrscheinlich hart
       umkämpft sein.
       
       Sollte ein Damm aufgrund der Kampfhandlungen – ob absichtlich oder
       versehentlich – brechen, hätte das katastrophale Konsequenzen für die
       Siedlungen und Ökosysteme flussab- und flussaufwärts: Dörfer werden
       überflutet, im Stausee gelagerte Schadstoffe vergiften die Böden und der
       mitgespülte Sand erstickt Fische.
       
       Dass die russischen Streitkräfte Rücksicht auf Umweltschäden nehmen, ist
       nicht zu erwarten. Wie CEOBS schon im vergangenen Jahr in einem Bericht
       festgestellt hat, griffen russische Flugzeuge in Syrien absichtlich
       Ölraffinerien und Wasseraufbereitungsanlagen an und zeigten auch nirgendwo
       sonst Vorsicht bei ihren Artillerie- und Luftschlägen.
       
       Am 3. März veröffentlichten mehr als 1000 Wissenschaftler*innen und
       Umweltschutzorganisationen einen offenen Brief, in dem sie sich mit den
       Menschen in der Ukraine solidarisierten und vom Internationalen
       Strafgerichtshof verlangten, Verbrechen an Mensch und Umwelt während des
       Krieges zu verfolgen. Schon 2013 begann ein Gremium der Vereinten Nationen,
       international verbindliche Rechtsgrundlagen für den Umweltschutz während
       Konflikten zu entwickeln. Das Projekt [6][PERAC] soll im August dieses
       Jahres abgeschlossen sein.
       
       Im aktuellen Entwurf steht beispielsweise, dass Staaten in besetztem
       Territorium dafür Sorge tragen müssen, dass von der Umwelt keine Gefahr für
       die Gesundheit der dort lebenden Menschen ausgeht. Wenn Umweltschäden
       entstehen, sollen die betroffenen Staaten außerdem Anspruch auf
       Reparationszahlungen haben.
       
       Wann und wie auch immer dieser Krieg endet: Die zerstörte Umwelt wird die
       Menschen im Land noch jahrelang belasten. Kriege lassen Institutionen
       geschwächt zurück und vernichten Expertise. Dem Umweltschutz wird beim
       Wiederaufbau selten Wichtigkeit beigemessen, oft mit katastrophalen
       Konsequenzen. Das zeigt deutlich der Donbass. Dort werden seit Beginn des
       Krieges 2014 alte [7][Kohleschächte] nicht mehr ordentlich ausgepumpt und
       gewartet.
       
       Die Folge sind Flutungen in bis zu 200 Minen, die teilweise mit nuklearen
       Sprengungen gegraben wurden. Auf diese Weise können sich Mineralien und
       Chemikalien wie Quecksilber und Arsen im Grundwasser der ganzen Region
       verbreiten. Und Messungen des ukrainischen Umweltministeriums haben schon
       2016 ergeben, dass in der gesamten Region die Strahlungswerte in Brunnen um
       ein Zehnfaches über dem Grenzwert liegen.
       
       20 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.emis.com/php/company-profile/UA/Odessa_Port_Plant_AT__%D0%9E%D0%B4%D0%B5%D1%81%D1%8C%D0%BA%D0%B8%D0%B9_%D0%BF%D1%80%D0%B8%D0%BF%D0%BE%D1%80%D1%82%D0%BE%D0%B2%D0%B8%D0%B9_%D0%B7%D0%B0%D0%B2%D0%BE%D0%B4_%D0%90%D0%A2__en_2104394.html
   DIR [2] https://ceobs.org/
   DIR [3] /Aktuelle-Lage-in-der-Ukraine/!5840675
   DIR [4] /Krieg-in-der-Ukraine/!5837528
   DIR [5] /Krieg-in-der-Ukraine/!5838917
   DIR [6] https://ceobs.org/state-positions-on-the-ilcs-draft-perac-principles-after-first-reading/
   DIR [7] https://ceobs.org/abandoned-mines-are-flooding-in-ukraines-donbass-region/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Waack
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Feinstaub
   DIR Umweltzerstörung
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Energiewende
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wassermangel
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schulstreik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Folgen für Klimakrise: Wie Russland die Erde aufheizt
       
       Das Kampfgeschehen in der Ukraine hat direkte und indirekte Folgen für die
       Klimakrise. Die Emissionen seien signifikant, sagt eine neue Studie.
       
   DIR Proteste am Wochenende: Demo gegen Krieg und Kohle
       
       Im Kraftwerk Datteln IV wird russische Kohle verbrannt.
       Umweltschützer:innen fordern die sofortige Stilllegung. Am Wochenende
       sind Proteste geplant.
       
   DIR Putins Krieg in der Ukraine: Jedes Haus, jede Seele
       
       Kein Licht, keine Heizung, kaum Lebensmittelvorräte – die Hafenstadt
       Mariupol wird von schwerer Artillerie, Luftwaffe und Marine beschossen.
       
   DIR Weltwasserbericht der Vereinten Nationen: Missachtete Ressource
       
       Die Vereinten Nationen sehen Grundwasser als zentral, um die
       Wasserknappheit zu bewältigen. Vielerorts wird es schlecht verwaltet.
       
   DIR Одесса и война в Украине: Портовый город в сопротивлении
       
       Одесса под огнем. Но одесситы делают все возможное, чтобы противостоять
       Москве.
       
   DIR Hafenstadt Odessa im Ukrainekrieg: Stadt im Widerstand
       
       Odessa wird seit Kriegsbeginn attackiert. Doch die Menschen in der
       Schwarzmeerstadt tun alles, um Moskaus Angriff standzuhalten. Ein
       Ortsbericht.
       
   DIR Kiew bleibt Putins Ziel: Die Wut wächst
       
       In den vergangenen Tagen ist es in Kiew ruhiger geworden, doch die
       Bedrohung ist nicht vorbei. Die Menschen bereiten sich auf die große
       Schlacht vor.
       
   DIR +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: 2.187 Tote in Mariupol gemeldet
       
       Russland greift Militärstützpunkt nahe Polen an. Über 100.000 demonstrieren
       in Deutschland für Frieden. Die russische Armee feuert bei Demo in Cherson
       Warnschüsse ab.
       
   DIR AKWs im Ukraine-Krieg: Spiel mit der nuklearen Katastrophe
       
       Die Internationale Atomenergie-Organisation ist besorgt über ukrainische
       AKWs in russischen Händen. Immerhin läuft der Strom in Tschernobyl wieder.
       
   DIR Fridays-for-Future-Demo gegen den Krieg: „Einfach Solidarität zeigen“
       
       Die Klimabewegung ist Donnerstag gegen den Krieg in der Ukraine auf die
       Straße gegangen. Viele Schüler*innen waren dabei. Fünf Protokolle.