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       # taz.de -- Ukrainische Rapperin Alyona Alyona über den Krieg: „Ich bleibe hier“
       
       > „Während du diesen Clip siehst/Song hörst, sterben Ukrainer:innen“:
       > Alyona Alyona harrt in ihrer Heimat aus. Ihre Fans beschreibt sie als
       > postsowjetische Generation.
       
   IMG Bild: Die ukrainische Rapperin Alyona Alyona beim Eurosonic Festival in Groningen 2020
       
       taz: Alyona Alyona, wo halten Sie sich gerade auf. Sind Sie in Sicherheit? 
       
       Alyona Alyona: Ich bin in Baryshivka, das ist in der Nähe des Dorfs, in dem
       ich aufgewachsen bin, etwa 40 Kilometer von Kiew entfernt. Hier habe ich im
       Kindergarten gearbeitet, bevor ich als Rapperin bekannt wurde. Das Dorf
       Peremoha in der Nähe von Baryshivka wird gerade angegriffen. Dort sterben
       Menschen. Wir hören ständig die Geräusche von Explosionen und versuchen,
       den Menschen zu helfen. Eine Rakete landete bei uns im Ort, zum Glück wurde
       niemand verletzt.
       
       Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus, sofern man ihn überhaupt so nennen kann? 
       
       Ich versuche meine Followerinnen und Follower auf dem Laufenden zu halten.
       Ich bin sehr viel auf Social Media, deshalb erhalte ich auch viele Anfragen
       ausländischer Journalist:innen und gebe viele Interviews. In der ersten
       Woche war ich so etwas wie eine Soldatin an der Internet-Front. In der
       zweiten Woche habe ich in einer Apotheke mitgeholfen, medizinische
       Hilfsgüter zu sortieren.
       
       Sie haben Ihre YouTube-Clips mit einem Hinweis auf den Krieg versehen, der
       automatisch eingeblendet wird. Gegen Apple Music und Spotify haben Sie
       öffentlich protestiert, weil die eine „No Politics in Music“-Richtline
       verfolgen. 
       
       Ja. Wir blenden den Hinweis ein: „Während du diesen Clip siehst/Song hörst,
       sterben Ukrainer:innen infolge des russischen Angriffs. Stoppt den
       Krieg!“ Bei Spotify kann ich die Message inzwischen teilen, bei Apple Music
       immer noch nicht, traurig, aber wahr. Wir wollen mit dieser Aktion
       Russinnen und Russen informieren, denn viele Informationen über die Ukraine
       werden in Russland geblockt, die westlichen Streaming-Plattformen meines
       Wissens nicht. Eine weitere Forderung an Apple und Spotify war es, ihre
       Büros in Russland zu schließen (Spotify hat dies inzwischen getan; d.
       Red.).
       
       Was ist Ihre Message an die Menschen und Politiker:innen im Westen? 
       
       Erst einmal möchte ich mich bedanken, dass es so viel humanitäre Hilfe aus
       vielen Ländern gibt. Einige spenden auch für die Armee, das hilft, diesen
       Krieg zu gewinnen. Die meisten von uns erwarten vom Westen, den Luftraum
       über der Ukraine zu sperren, auch wegen der Gefahr, dass Kernkraftanlagen
       aus der Luft getroffen werden. Wir haben alle die Erfahrung von Tschernobyl
       gemacht. Es droht eine ökologische Katastrophe. Es geht nicht nur um die
       Ukraine, es geht um Europa, um Belarus, um Russland.
       
       Sie rappen heute auf Ukrainisch, nicht auf Russisch. Ist die Wahl der
       Sprache schon nach der Krim-Annexion 2014 zu einem Statement geworden? 
       
       Die ersten zehn Jahre habe ich auf Russisch gerappt, weil es auf der
       russischen Plattform VKontakte eine große HipHop-Community gab. Nach 2014
       ist [1][die ukrainische Rap-Community] größer geworden, die Haltung vieler
       Künstlerinnen und Künstler hat sich geändert. Seither wird mehr über
       ukrainische Themen gesungen, traditionelle ukrainische Musik wird
       eingebunden. Ich bin Teil dieser Szene geworden. Auch, weil ich
       festgestellt habe, dass vielen Menschen Rap in ukrainischer Sprache etwas
       bedeutet.
       
       Sie haben den Song „Відчиняй“ (2018; etwa: „Öffnet es“) geschrieben, darin
       singen sie von einer „neuen Generation, die herangewachsen“ ist. Was ist
       das für eine Generation?
       
       Eine postsowjetische Generation. 1991 wurde die Ukraine unabhängig, aber
       einige Gesetze aus der Zeit der Sowjetunion blieben zunächst. Die heutige
       junge Generation hat vollständig damit gebrochen und will frei leben. Wir
       sind kreativ, wir sind talentiert, wir haben viel mitzuteilen, nicht nur
       den Menschen in der Ukraine, sondern auch der westlichen Öffentlichkeit.
       Mit dem Song wollte ich sagen: Öffnet die Türen, damit wir noch mehr Gehör
       finden.
       
       Ihr erfolgreichster Track ist „Залишаю свій дім“ (2018, „Ich verlasse mein
       Zuhause“), in dem Sie davon singen, wie Sie Ihrem Heimatdorf den Rücken
       kehren. Inzwischen haben die Worte „Heimat“ und „Zuhause“ wohl einen ganz
       anderen Klang in der Ukraine.
       
       Ja. Das verändert sich gerade. Es wird nie wieder sein wie zuvor.
       [2][Menschen haben ihr Zuhause durch Bomben und Raketen verloren.]
       Ursprünglich hat der Song wohl deshalb so viele angesprochen, weil viele
       die Ukraine verließen, um in anderen Ländern zu arbeiten, Geld zu
       verdienen. Jetzt hat sich die Bedeutung des Songs verschoben. Aktuell
       fragen mich viele: Warum fliehst du nicht? Ich bleibe hier, weil viele
       Menschen und viele meiner Followerinnen und Follower überhaupt nicht die
       Möglichkeit haben zu fliehen. Wenn sie mich auf der Straße in der Ukraine
       sehen, motiviert sie das vielleicht, die Soldaten zu unterstützen und den
       Frauen, den Kindern, den Tieren zu helfen. Wenn alle weggehen, kann unser
       Land nicht verteidigt werden. Mein Herz sagt mir, dass ich hierbleiben
       soll.
       
       Sehen Sie die Popkultur und HipHop in Zeiten des Kriegs in einem anderen
       Licht? 
       
       Es ist mir schon wichtig, dass meine Lieblingskünstlerinnen und -künstler
       etwas zur Situation in der Ukraine sagen, denn es kostet sie nicht viel.
       Snoop Dogg hat sich zum Beispiel positioniert, das hat mich gefreut. Wenn
       ich andere Stars in den sozialen Medien feiern sehe, ohne dass sie ein Wort
       zur Ukraine verlieren, finde ich das schwer erträglich.
       
       Für den 15. April ist ein Konzert von Alyona Alyona in Hamburg [3][im
       Knust] geplant
       
       19 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hip-Hop-in-Osteuropa/!5769219
   DIR [2] /Regisseur-ueber-Westen-im-Ukrainekrieg/!5838212
   DIR [3] https://www.knusthamburg.de/programm/alyona-alyona/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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