URI: 
       # taz.de -- Steigende Benzinpreise in Deutschland: Sprit wird teurer – hurra?
       
       > Manche Klimafreunde feiern, dass Öl und Gas endlich mehr kosten. Doch
       > jedes Preischaos ist Gift für die Energiewende.
       
   IMG Bild: Eine Frau zeigt in Barcelona am 21. März ihre Solidarität mit Lkw-Fahrern, die gegen Spritpreise protestieren
       
       taz | Die taz wusste es natürlich mal wieder besser: „Teurer Sprit ist gut
       fürs Klima“, [1][kommentierte diese Zeitung] im Oktober 2021, als kurz nach
       der Bundestagswahl Benzin und Diesel so viel Geld kosteten wie seit Jahren
       nicht. Was heute nach Schnäppchenpreisen aussah – 1,65 Euro für den Liter
       Super E10 – löste damals eine lautstarke Debatte aus: Wie teuer bitte schön
       die fossilen Kraftstoffe denn noch werden dürften und ob der Klimaschutz
       daran schuld sei. In den steigenden Preisen an der Zapfsäule jedenfalls sah
       der Kommentator „für den Klimaschutz eine gute Nachricht: Verteuern sich
       fossile Brennstoffe, wird es auch teurer, CO2 in die Luft zu blasen und
       damit den Klimawandel anzuheizen.“
       
       Klammheimliche Freude mögen auch heutzutage viele Verkehrswendefans
       empfinden, wenn sie an einer Tankstelle vorbeigehen. Denn anders als die
       kleingedruckten und verspätet wahrgenommenen Preissteigerungen bei Strom
       und Gas schreien es die meterhohen Preistafeln vor den Zapfsäulen derzeit
       regelrecht heraus: Mitte März kostete ein Liter Super E 10 ganze 2,19 Euro!
       
       Das Verbrennen von Erdölprodukten zur Fortbewegung wird teurer. Der fossil
       befeuerte Verkehr, immerhin Quelle von knapp 20 Prozent aller deutschen
       Treibhausgasemissionen, bekommt so endlich ein Stoppschild in Form von Cent
       und Euro gesetzt: Was knapp wird, wird teuer – so lehrt es der
       Kapitalismus. Und was teuer ist, wird weniger nachgefragt.
       
       Folgerichtig müssten höhere Spritpreise dazu führen, dass im Verkehr
       endlich das passiert, was seit zehn Jahren praktisch nicht stattgefunden
       hat: Die Emissionen des Klimakillers CO2 (und vieler anderen giftigen
       Substanzen, die wir in die Atemluft unserer Städte blasen) müssten sinken.
       Und der Verkehr vielleicht sogar seine gesetzliche Obergrenze aus dem
       Klimaschutzgesetz einhalten.
       
       So weit die Theorie. In der Praxis wird aber genau das Gegenteil passieren:
       Explosionsartig steigende Spritpreise torpedieren die Chance auf eine
       erfolgreiche Klimapolitik.
       
       Verkehrsverhalten selten rational 
       
       Darauf deutet vieles hin: Obwohl die Spritpreise seit dem Überfall der
       russischen Armee auf die Ukraine rasant gestiegen sind, zeigt die
       [2][Auswertung von Mobilitätsdaten], dass kaum weniger und kaum langsamer
       gefahren wird. Obwohl der Sprit teuer ist, steigen die Leute kaum um oder
       aus. Sie scheinen keine Alternative zu haben oder schränken sich
       möglicherweise anderweitig ein, um Auto fahren zu können.
       
       Das verwundert nicht wirklich. Denn unser Verkehrsverhalten ist selten
       rational. Die Hälfte aller Wege unter fünf Kilometern werden mit dem Auto
       zurückgelegt, und sogar noch ein Viertel aller Wege unter zwei Kilometern,
       moniert etwa immer wieder die Lobby vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club
       (ADFC). Distanzen, die häufig per Fahrrad oder zu Fuß schneller, einfacher,
       sorgenfreier, billiger und ökologischer zu überwinden wären. Offenbar
       stimmt die Gleichung „hohe Spritpreise gleich weniger Autofahren“ einfach
       nicht.
       
       Dazu kommt: Verelendung ist kein gutes Verkaufsargument für den
       Klimaschutz. Wenn die Rettung vor der Krise in einigen Jahren und
       Jahrzehnten für die Menschen von heute bedeutet, von jetzt auf gleich ihre
       fossile Bequemlichkeit und ihre Gewohnheiten aufzugeben, wird das nur eine
       Minderheit erreichen.
       
       Rekordpreise an der Tankstelle gelten für die allermeisten Kunden und
       Kundinnen nicht als Beitrag zur Rettung der Welt, sondern als Abzocke durch
       die Mineralölkonzerne und die Politik. Die Forderungen, bei den momentanen
       Preissprüngen das Kartellamt einzuschalten, die Steuern zu senken oder die
       Preise zu deckeln, zeigen diese Haltung sehr deutlich.
       
       Aber Klimaschutz braucht eben das Mitmachen. Er betrifft alle stark. In
       einer demokratischen Gesellschaft muss deshalb zumindest eine große
       Mehrheit der Menschen die Maßnahmen akzeptieren, die sich aus einer
       ambitionierten Klimapolitik ergeben. Das spricht nicht gegen höhere Preise
       – aber sie müssen gut erklärt werden, langfristig angelegt sein und den
       VerbraucherInnen die Chance bieten, Alternativen zu finden. Mit dem
       frischen Geld müssen das Angebot von Bussen, Bahnen, Ridesharing und
       bessere Fuß- und Radwege finanziert werden. Höhere Preise allein reichen
       nicht, um vom Auto wegzukommen.
       
       Vor allem müssen die Preise eine klare Geschichte erzählen: Der „kleine
       Emissionshandel“ ist ein gutes Beispiel dafür. Dabei handelt es sich um
       einen CO2-Preis auf fossile Brennstoffe, der seit Januar 2021 erhoben wird.
       Derzeit macht er etwa 7 Cent pro Liter Benzin aus. Er soll bis 2025 jedes
       Jahr in einem ähnlichen Umfang weiter steigen.
       
       Ein schlechtes Beispiel war die Ökosteuer der rot-grünen Bundesregierung
       1999: Eigentlich war es eine gute Idee, die Abgaben auf fossile Brennstoffe
       und Strom zu erhöhen und das Geld für die Senkung der Lohnnebenkosten
       einzusetzen: Arbeit billiger, Energie teurer machen. Aber unter steigenden
       Preisen und der „Benzin-Wut-Kampagne“ von Bild-Zeitung und CDU setzte
       Rot-Grün die Steuer 2003 nach drei Stufen aus.
       
       Wäre sie wie geplant immer ein wenig weiter gestiegen, würden wir heute,
       knapp zwanzig Jahre später, in einem anderen Deutschland leben: mit
       deutlich weniger Verbrauch von fossilen Energien, höheren Steuereinnahmen,
       besser gedämmten Häusern und effizienteren Maschinen.
       
       Hohe Preise brauchen soziale Abfederung 
       
       Hohe Preise sind in einer Marktwirtschaft eine gute Idee, um den Verbrauch
       zu steuern. Aber: Sie dürfen nicht als Schocktherapie wirken, sondern
       müssen planbar und einsichtig sein. Und sie brauchen dringend soziale
       Abfederung. Hohe Preise verstärken die soziale Schieflage: Arme warten auf
       den Bus, während Reiche auf leeren Straßen fahren – ein explosiver Mix, um
       die Maßnahme bei vielen WählerInnen unpopulär zu machen. Dagegen helfen
       keine Tankgutscheine, wie sie die FDP vorgeschlagen hat, sondern am besten
       ein „Energiegeld“: eine pauschale Rückzahlung an alle Menschen einmal im
       Jahr – wer wenig verbraucht, der verdient, wer viel CO2 emittiert, zahlt
       drauf.
       
       Wer Preiskrisen an der Tankstelle bejubelt, hat nicht begriffen, dass die
       Transformation der Industriegesellschaft ein Projekt für Jahre und
       Jahrzehnte ist. Dafür braucht es bei aller Dringlichkeit solide ökonomische
       Grundlagen und Rückendeckung der Bevölkerung.
       
       Kurze, heftige Ausschläge und Katastrophen machen sich gut für
       Schlagzeilen, bewirken aber im Zweifel das Gegenteil. Das beste Beispiel
       dafür ist die Corona-Krise: Als das Virus vor zwei Jahren die
       Weltwirtschaft lahmlegte, sackten die weltweiten CO2-Emissionen um etwa
       sieben Prozent nach unten – so viel, wie sie für die Erreichung des
       1,5-Grad-Ziels jedes Jahr bis 2050 sinken müssten. Manche jubelten auch da,
       das bringe nun den lang ersehnten Klimaschutz.
       
       Allerdings war der Einbruch nicht nachhaltig und für einen echten Umbau der
       Volkswirtschaften zu kurz und zu überraschend. Sobald die Pandemie sich
       entspannte, zogen auch die Emissionen wieder an. Denn es hatte sich
       strukturell nichts verändert, Produktion und Reisen wurden einfach
       nachgeholt. Also qualmten die Schornsteine mehr als zuvor: Die Emissionen
       stiegen auf neue Höhen.
       
       Das zeigt: Wer eine nachhaltige Welt will, muss nachhaltige Strukturen
       schaffen. Überraschende Horrorpreise an den Zapfsäulen sind davon genau das
       Gegenteil.
       
       25 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://Steigende
   DIR [2] /Steigende-Energiepreise/!5841969
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Energiepreise
   DIR Verkehrswende
   DIR Datenschutz
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Benzin
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Christian Lindner
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mobilitätsdaten in Pkws: Ein Auto darf keine Wanze sein
       
       Autohersteller sammeln alle möglichen Daten. Datenschutz und Transparenz
       gibt es diesbezüglich kaum. Es braucht ein Gesetz, um das zu ändern.
       
   DIR Pläne der Bundesregierung: „Schutzschild“ für Firmen
       
       Unternehmen in Deutschland, die von steigenden Energiepreisen betroffen
       sind, sollen mit Zuschüssen und Krediten unterstützt werden.
       
   DIR Robert Habeck zur Energieversorgung: „Ich bin nicht Minister für Grüne“
       
       Er wollte Windräder bauen, jetzt kämpft er für billiges Benzin. Der
       Wirtschafts- und Klimaminister erklärt, warum er gegen ein Gas- und
       Ölembargo ist.
       
   DIR Fridays for Future-Protest in Berlin: Gutes Klima für den Frieden
       
       Mehr als 10.000 Menschen protestierten am Freitag alleine in Berlin gegen
       den Klimawandel. Viele thematisieren den Ukraine-Krieg.
       
   DIR Hohe Benzinpreise: Habeck will Kartellprüfung
       
       Der Wirtschaftsminister möchte „unangemessene Gewinne“ der Mineralölfirmen
       verhindern. Diese könnten auch durch eine Sondersteuer abgeschöpft werden.
       
   DIR LKW-Fahrer protestieren auf Autobahnen: Besser Raffinerien blockieren
       
       LKW-Fahrer haben Autobahnen um Berlin wegen hoher Spritpreise blockiert.
       Die Aktionsform wurde bei Klima-Aktivist*innen eben noch kritisiert.
       
   DIR Steigende Energiepreise: Sprit sparen? Nein danke!
       
       Trotz hoher Benzinpreise wird in Deutschland bisher nicht langsamer
       gefahren. Der Tankrabatt stößt dagegen auf breite Zustimmung.