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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Druck auf Kiew steigt
       
       > Die Lage in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wird mit jedem Tag
       > gefährlicher. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist bedroht.
       
   IMG Bild: Alles, was sie tragen kann: Eine Frau am 13. März bei der Evakuierung von Browary bei Kiew
       
       Kiew taz | [1][Barrikaden, Checkpoints, Panzerigel und Fliegeralarm] sind
       zu festen Bestandteilen des Lebens in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
       geworden. Volle Cafés, Restaurants und laute Partys scheinen wie aus einem
       vergangenen Leben. Der belebteste Ort in Kiew ist jetzt der Hauptbahnhof.
       Fast stündlich treffen hier Evakuierungszüge aus dem Nordosten und dem
       Osten des Landes ein, die dann gen Westen weiterfahren. Hunderttausende
       Menschen haben Kiew bereits verlassen. Aber die Mehrheit der
       Kiewer*innen ist geblieben, um ihr Zuhause vor der russischen Besatzung
       zu verteidigen.
       
       Maija Sobko steht neben einem Fass, aus dem Flammen lodern. Sie wirft Holz
       hinein, damit die Hitze nicht nachlässt. Sie hat sich drei oder vier Jacken
       übereinander angezogen und zwei Paar Handschuhe. Die blonde Frau mittleren
       Alters ist eine von jenen Kiewer*innen, die sich zum Einsatz bei den
       Einheiten der Territorialverteidigung gemeldet haben. „Heute ist Tag 18 des
       Krieges, oder? Das heißt, ich schiebe hier schon seit 17 Tagen Dienst“,
       sagt Maija und deutet auf einen Checkpoint, der sich an einer belebten
       Kreuzung in einer der Schlafstädte Kiews befindet.
       
       „Ich bin von sieben Uhr morgens bis 23 Uhr hier und mache alles, was sie
       mir sagen. Ich schleppe Feuerholz und Flaschen und nehme Hilfsgüter von
       Freiwilligen an, die ich dann verteile. Und ich wärme das Mittagessen für
       die Jungs auf, die hier die Autos kontrollieren“, erzählt sie.
       
       Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Maija als Kassiererin in
       einer Kantine gearbeitet, doch jetzt wird sie hier gebraucht – bei der
       Verteidigung Kiews. Sie sagt, dass ihr Kind mit ihr in Kiew geblieben sei
       und zeigt auf das Haus, in dem sie lebt. „Wir hatten die Möglichkeit,
       evakuiert zu werden, doch ich habe nicht einmal daran gedacht, Kiew zu
       verlassen. Hier steht mein Haus und ich werde es bis zum Schluss
       verteidigen. Das Schlimmste liegt noch vor uns“, sagt sie mit Bitterkeit
       und legt wieder Holz nach.
       
       ## Kein Licht, kein Wasser, kein Gas, kein Mobilfunk
       
       In ihrer kleinen Einheit gibt es noch weitere Frauen, sie alle wohnen in
       der Nähe und versuchen nach Kräften zu helfen. Am Sieg der Ukraine hat
       Maija keinen Zweifel, doch dafür gebe es ihrer Meinung nach eine wichtige
       Bedingung: „Nur gemeinsam können wir diesen gegen uns entfesselten Krieg
       gewinnen.“
       
       Die Kämpfe um Kiew herum nehmen mit jedem Tag an Intensität zu. Jede Nacht
       schießt die Luftabwehr russische Raketen, Flugzeuge und Drohnen ab. Am
       angespanntesten ist die Lage im Nordwesten und Osten von Kiew. Von der
       Seite der Tschernobyl-Zone greifen russische Truppen mit
       Raketenunterstützung aus Belarus an. Aus dem Nachbarland werden die Orte
       sturmreif geschossen, den Rest erledigen dann Panzer und Soldaten. In
       diesen Siedlungen herrscht bereits eine humanitäre Katastrophe und
       Vereinbarungen über „grüne Korridore“ zur Evakuierung werden ständig
       gebrochen.
       
       „Ich habe mit meiner Familie in Irpin gelebt, wir wurden bereits am ersten
       Tag des Krieges evakuiert“, erzählt Tatjana. „Mein Cousin ist in der Stadt
       geblieben und kämpft jetzt bei den Einheiten der Territorialverteidigung.
       In den vergangenen Tagen hatte ich zu ihm keine Verbindung. Ich weiß, dass
       es in der Stadt [2][kein Licht, kein Wasser und Gas] sowie keinen Mobilfunk
       gibt.
       
       Doch dann hat er angerufen und erzählt, die Russen hätten ihn gefangen
       gesetzt, geschlagen und ihm seine Dokumente weggenommen. Vor seinen Augen
       sei unser Nachbar, der ebenfalls bei der Territorialverteidigung war,
       getötet worden. Ich weiß nicht, wie, aber mein Cousin konnte fliehen. Jetzt
       versteckt er sich mit anderen in einem Keller.“ Tatjana zufolge befänden
       sich in Irpin immer noch viele Zivilist*innen – vor allem Alte,
       Invalide und Familien mit Kindern.
       
       Auch auf der anderen Seite des Dnjepr, in östlicher Richtung von Kiew,
       versuchen russische Truppen vorzurücken. Ukrainisches Militär hat in großem
       Ausmaß russische Technik zerstört, aber die Besatzer bombardieren mit
       Flugzeugen und Raketen fortwährend Ortschaften in der Region der Stadt
       Browary, während sie sich Kiew von Tschernihiw her nähern.
       
       ## Vorwurf von Kriegsverbrechen
       
       Gleichzeitig lässt die russische Armee nicht zu, dass Zivilist*innen
       evakuiert werden, [3][ihr werden Kriegsverbrechen vorgeworfen]. Am 11. März
       nahmen die russischen Besatzer einen Evakuierungskonvoi unter Beschuss, der
       sich entlang des vereinbarten „grünen Korridors“ bewegte und aus Autos
       bestand, in denen ausschließlich Frauen und Kinder saßen. Sieben Menschen
       wurden getötet, darunter ein Kind.
       
       Danach zwang das russische Militär den Konvoi dazu, in das Dorf
       zurückzukehren, aus dem die Menschen hatten evakuiert werden sollen. Die
       Verletzten erhielten medizinische Hilfe, doch über ihr weiteres Schicksal
       ist nichts bekannt. In dieser Richtung wurden bereits die Privathäuser
       Hunderter Zivilist*innen zerstört. Doch die russischen Truppen greifen
       auch Lagerhallen mit Vorräten an, von denen es in dieser Gegend ziemlich
       viele gibt.
       
       In der Nacht zum 12. März erfolgte ein Luftangriff auf ein Lager mit
       Tiefkühlprodukten, das vollständig abbrannte. Offensichtlich will die
       russische Armee eine Nahrungsmittelknappheit im Falle einer Blockade Kiews
       erzwingen. Parallel dazu hat die Kiewer Stadtverwaltung die Versorgung der
       Geschäfte mit Lebensmitteln erhöht, damit die Bewohner*innen die
       Möglichkeit haben, sich mit Vorräten einzudecken, sollte sich die Situation
       weiter verschlechtern.
       
       In der dritten Woche des russischen Angriffes auf die Ukraine haben die
       Ukrainer*innen so viel Kummer und Unglück gesehen, dass sich das Gefühl
       von Angst vor den Militärschlägen in eine rasende Wut verwandelt hat. Sie
       lässt es, trotz der moralischen Anspannung, nicht zu, müde zu werden.
       
       Aus dem Russischen von Barbara Oertel
       
       13 Mar 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Magasowa
       
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