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       # taz.de -- Anne Spiegel im Untersuchungsausschuss: In Erklärungsnot
       
       > Die ehemalige Landesumweltministerin von Rheinland-Pfalz Anne Spiegel
       > steht wegen Chatprotokollen unter Druck. Nun hat sie sich verteidigt.
       
   IMG Bild: Die Bundesfamilienministerin im Untersuchungsausschuss in Mainz am 11.03
       
       Mainz taz | Am Freitagabend haben Ausschussmitglieder und Öffentlichkeit
       [1][einen beklemmenden Auftritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel
       erlebt]. Im Plenarsaal des rheinland-pfälzischen Landtags, in dem die
       steile politische Karriere der Grünenpolitikerin begann, musste sie als
       Zeugin vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe
       im Ahrtal Rede und Antwort stehen. Allein dort waren 134 Menschen in der
       Nacht des 14. Juli 2021 zu Tode gekommen, [2][Tausende hatten ihr Hab und
       Gut verloren].
       
       [3][Bis zur Bundestagswahl war Spiegel in Mainz Landesumweltministerin]. Zu
       ihrem damaligen Verantwortungsbereich gehörte die Verfolgung der
       Pegelstände von Flüssen und Bächen des Landes, die Grundlage für
       Hochwasserwarnungen und den Katastrophenschutz sind. Der parlamentarische
       Untersuchungsausschuss ist auf der Suche nach möglichen Pannen und
       Fehlentscheidungen vor und in der Flutnacht.
       
       [4][Sachverständige haben vor dem Ausschuss ausgesagt], in den Tagen vor
       der Flut habe es klare Hinweise auf ein bevorstehendes Extremhochwasser
       gegeben. Hätte man Menschen retten können, wenn sie früher und nachhaltiger
       gewarnt und aus den Überflutungsgebieten evakuiert worden wären? Diese
       Frage steht im Raum, als Spiegel sich einem Dutzend Fotografen und
       Kameraleuten stellt.
       
       Sie erscheint mit schwarzer Mund- und Nasenmaske in einem dunkelgrauen
       Hosenanzug, unter dem Jackett trägt sie einen schwarzen Pullover. Während
       ihrer Vernehmung bis weit nach Mitternacht spricht sie mit leicht belegter
       Stimme, immer wieder muss sie sich räuspern. Auch ihrem ungewohnt blassen
       Gesicht sind die Spuren [5][einer gerade überwundenen Coronainfektion]
       anzusehen.
       
       „Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“ 
       
       Ihre ersten Worte gelten den Opfern jenes „furchtbaren tragischen Unglücks
       der tragischen Nacht“ und ihren Familien. Die Ministerin versichert ihr
       aufrichtiges Beileid und tiefes Mitgefühl. Energisch stellt sie fest: „Es
       ist absolut falsch, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt ein anderes Ziel
       hatte, als den Menschen zu helfen“.
       
       Genau der gegenteilige Eindruck hatte in den vergangenen Tagen entstehen
       können. Aus den Akten, die dem Ausschuss vorliegen, [6][haben Medien
       Chatprotokolle der Ministerin mit ihren Mitarbeitern veröffentlicht.] Am
       Morgen nach der Flut sorgt sich ihr Sprecher Dietmar Brück vor allem um das
       Bild der Ministerin in der Öffentlichkeit.
       
       „Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“ heißt es in seiner SMS. Die
       Ministerin stimmt zu und befürchtet das „blame Game“, also das Spiel um
       Schuldzuweisungen. Spiegel verlangt nach einem „wording“, also einer
       plausiblen Sprachregelung: „Dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle
       Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was
       ohne Präventionsmaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre“. Ihr schwant
       Übles: Sie könne sich gut vorstellen, dass „Roger“ (der
       rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz) Schuldzuweisungen in ihre
       Richtung abwälzen könnte, „dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert
       werden können, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten,“
       schreibt sie.
       
       Diese verstörenden Texte aus der internen Kommunikation des Ministerbüros
       seien Zeichen „moralischer Abgründe“, sagt die Landtagsopposition.
       Grünen-Landtagsfraktionschef Bernhard Braun beklagt dagegen eine „bösartige
       Kampagne“ gegen die Ministerin, die bis dahin stets als persönlich integre
       und empathische Politikerin gegolten hatte.
       
       CSU-Generalsekretär fordert Spiegels Rücktritt 
       
       Auch nach ihrer mehr als dreistündigen Befragung ist die Frage
       unbeantwortet, wie es zu den finsteren Gedanken im Ministerbüro kommen
       konnte. Das persönliche und dienstliche Verhältnis zu Innenminister Lewentz
       bezeichnet Spiegel gar als „freundschaftlich“ und „professionell“. Bei dem
       Dialog handle es sich lediglich um „zwei von Tausenden“ Chatprotokollen.
       Der dokumentierte Gedanke sei ihr damals gekommen und danach nie wieder,
       betont sie.
       
       Vor dem Ausschuss versichern ihr Staatssekretär Erwin Manz und sie
       mehrfach, in der Flutnacht hätten die Meldeketten und die Übermittlung der
       bedrohlichen Daten des Extremhochwassers durchgängig funktioniert. Dass sie
       selbst und das Ministerium in der Nacht nicht von sich aus tätig oder gar
       vor Ort gewesen seien, erklärt ihr Staatssekretär mit den klar geregelten
       Zuständigkeiten.
       
       „Wir wussten, dass wir in dieser Situation, in denen Rettungskräfte und
       Katastrophenschutz gefragt sind, nicht helfen konnten“, sagt Manz. Er habe
       der Ministerin deshalb dringend abgeraten, noch in der Nacht ins
       Katastrophengebiet zu fahren. Dem zeitweilig in der Öffentlichkeit
       entstandenen Eindruck, die Ministerin sei in der Nacht für ihre
       MitarbeiterInnen nicht erreichbar gewesen und eher abgetaucht, tritt er
       energisch und detailreich entgegen. Sie sei stets über die dramatische Lage
       im Bild gewesen.
       
       Bei der Mainzer Landtagsopposition kann Spiegel an diesem Abend nicht
       punkten. Sie habe sich am Morgen nach der Flut vor allem um ihr Bild in der
       Öffentlichkeit gesorgt, um ihr Versagen zu verschleiern, bilanziert der
       Ausschuss-Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid. In Berlin fordern
       Unions-Politiker Spiegels Rücktritt vom Amt der Bundesfamilienministerin.
       Eine „Belastung für die Bundesregierung“ nennt sie CSU-Generalsekretär
       Stephan Mayer. Spiegel habe sich in der Krise mehr um ihr Image als um
       Warnung und Hilfe für die Bevölkerung gekümmert.
       
       Warum die Menschen in der Region nicht früher gewarnt und aus gefährdeten
       Bereichen nicht rechtzeitig evakuiert wurden, diesen Fragen wird der
       Ausschuss im April nachgehen. Dann werden der für den Katastrophenschutz
       zuständige Innenminister und die örtlich verantwortlichen Landräte gehört
       werden.
       
       Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den damaligen Ahrtal-Landrat Jürgen
       Pföhler wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Im
       Ahrtal war der Katastrophenalarm erst spät in der Nacht ausgelöst worden,
       obwohl schon Stunden zuvor im oberen Ahrtal Häuser eingestürzt, Brücken
       geborsten und geparkte Autos und entwurzelte Bäume von den Fluten
       mitgerissen worden waren.
       
       12 Mar 2022
       
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