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       # taz.de -- Isamu Noguchi im Museum Ludwig Köln: Genauer hinschauen
       
       > Der amerikanisch-japanische Bildhauer Isamu Noguchi ist in Europa als
       > Designer bekannt. Das Museum Ludwig zeigt seine radikal sanftmütige
       > Kunst.
       
   IMG Bild: Isamu Noguchi Play Sculpture, 1965/2021
       
       Es macht offenbar einen Unterschied, wo man Isamu Noguchis (1904–1988)
       Arbeiten begegnet. Vor einigen Wochen zum Beispiel, in einer dieser
       Londoner Großgalerien: verzinkter Stahl, kunstvoll geformte Betontreppen,
       rote Kuben, die mit weißen, öden Wänden in weiten, leeren Räumen scheinbar
       einen Wettbewerb um die größtmögliche Coolness angetreten waren.
       
       Irgendwie tat es einem leid, das Werk des Bildhauers, der als Sohn einer
       Irin und eines Japaners in Los Angeles geboren wurde und der in der
       US-Moderne immer ein bisschen zwischen den Stühlen steckte. Denn klar ist
       alles heute zwangsläufig in Warenform zu haben, aber in diesem Tempel der
       Verkaufskunst erschienen Isamu Noguchis eigentlich eher subtile Arbeiten
       als reine Anlagegüter, kühl und berechnend inszeniert, dem Leben entrissen.
       
       Wie anders hingegen jetzt in Köln im Museum Ludwig mit seinem Holzparkett,
       den Terrakottafliesen, sogar Tageslicht im ersten Ausstellungsraum. Und die
       gerade vom Museum angekaufte „Play Sculpture“? Wurde vorab schon von
       eingeladenen Schulklassen bespielt. Jetzt kann und soll sie, neben einer
       Steinbank, in der Ausstellung genutzt werden.
       
       „Isamu Noguchi“ ist die erste große Überblicksschau des Künstlers seit rund
       zwei Jahrzehnten. Zu sehen mit leicht unterschiedlichen Schwerpunkten zuvor
       im Londoner Barbican Centre und später in Bern. In Köln gibt es, neben
       Tuschezeichnungen, nun unzählige Skulpturen zu sehen, aus Stein, Holz, Ton,
       Gips, Stahl und auch Kunststoff, von frühen Figurationen bis zu den
       surrealistisch inspirierten, abstrakten Werken der 1940er Jahre.
       
       ## Minimalistische Bühnenbilder
       
       Aber auch hier dokumentierte Monumente und Reliefs, Skulpturen im
       öffentlichen Raum oder für die Bühne. Nebenbei hat Noguchi nämlich
       fantastische Kostüme und minimalistische Bühnenbilder für befreundete
       Tänzer:innen und Schauspieler:innen geschaffen. Jedes Element eine
       rätselhafte, multipel bespielbare Skulptur.
       
       In Europa ist der Bildhauer Noguchi, der an einer New Yorker Kunstschule,
       bei verschiedenen Künstlern als Assistent und auf vielen Reisen von China
       bis Mexiko lernte, vor allem als Gestalter bekannt. Sein gleichnamiger
       Coffeetable ist eine Ikone des Möbeldesigns; berühmt auch die „Akari Light
       Sculptures“, Lampenschirme mit japanischem Washi-Papier und Bambusruten,
       die als Plagiate eines großen schwedischen Möbelhauses um die ganze Welt
       gingen.
       
       „Das ist keine Kunst, das ist Luxusbeleuchtung“ titelte denn auch der
       Guardian seinen natürlich sehr unterhaltsamen Verriss der Ausstellung in
       ihrer vorigen Version, der Noguchi viel Stilempfinden, aber mangelnden Biss
       attestierte. Wobei die Vorstellung, dass Kunst schon qua Definition den
       Mittelfinger liefern muss, ja auch wiederum nicht so originell ist. Aber es
       stimmt schon, frech im gängigen Sinne ist dieses Werk erst mal nicht. Oder
       muss man nur genauer hinschauen?
       
       ## Der Zen-Garten
       
       Ohne die Ost-West-Bezüge überstrapazieren zu wollen, zwischen denen sich
       auch Noguchi selbst immer wieder zu verorten suchte: Vielleicht hilft ein
       Blick in den japanischen Zen-Garten. Der amerikanische Avantgardekomponist
       John Cage war bekanntlich Anhänger des Steingartens, er versenkte sich bei
       seinen Japanbesuchen tagelang in die menschengemachte Landschaft aus
       geharkten Kieseln und präzise gesetztem Bewuchs im Kyoter Ryoanji.
       
       Erst im Wandel der Jahreszeiten, im genauen und wiederholten Betrachten,
       wird sichtbar, dass er keineswegs immer gleich aussieht, sondern permanent
       anders.
       
       Eine solche Feinjustierung der Wahrnehmung lohnt auch bei Isamu Noguchi.
       Seine Reproduktion des immer wieder Ähnlichen erzeugt subtile Unterschiede.
       Zarte Parallelen zur popkulturellen Serienkunst tun sich auf, die erst ein,
       zwei Jahrzehnte später auf der Bildfläche auftauchte.
       
       Und: Seine Skulpturen sind in Bewegung. Allein durch die Weise, wie der
       Bildhauer Form schafft und wie er Formen miteinander kombiniert. Bei der
       Gipsfigur „Chinese Girl“ von 1930 mit ihrem mehrfach in sich verrenkten
       Körper. Den „Interlocking Sculptures“, die wörtlich beweglich sind, weil
       ihre einzelnen Elemente, die oft an Knochen erinnern, auseinandergenommen
       und wieder neu zusammengesetzt werden können.
       
       Und dann gibt es durchaus einige Frechheiten, allerdings der eher süßen Art
       und nicht boshaft. Zum Beispiel das Selbstporträt „Boy looking through
       Legs“ von 1933, Geschlechtsteil und Hintern inklusive. Oder in Aktionen wie
       dieser: 1943 ließ sich Noguchi, der nebenbei zahlreiche beliebte
       öffentliche Plätze, Parks und Spielanlagen gestaltet hat, freiwillig
       internieren.
       
       ## Parkanlage im Internierungscamp
       
       Aus Protest gegen die Behandlung japanischstämmiger Amerikaner als Enemy
       Aliens, die nach Pearl Harbor ihren Lauf nahm. Und, typisch Noguchi, um
       anderen mit seiner Kunst zu dienen: Er plante eine große Parkanlage mit
       künstlerischen Interventionen, um den Bewohner:innen das triste Leben
       im Camp zu verschönern. „My Arizona“ nannte er die siebenmonatige
       Projektzeit.
       
       Ist Isamu Noguchi also nun Künstler oder Designer? Ganz grundlegend:
       beides. Oft mit oder für andere(n) gemacht. Insofern ist es gar nicht
       falsch, sein Werk als angewandte Bildhauerei zu bezeichnen, eine menschen-
       und ortsbezogene allemal. Beinahe zu leicht, sie zu mögen, aber nicht
       trivial.
       
       Weil diese Arbeiten nicht die einzelne Pointe eines gut geölten
       Künstleregos sind, entdeckt man sie am besten in Serie oder in Aktion (was
       freilich manchmal nur per Foto geht): mit Kindern, die über
       Spielskulpturen kraxeln, auf Archivbildern, die den Künstler beim
       Rutschen über seine 1986 für den USA-Pavillon in Venedig geschaffene „Slide
       Mantra“ zeigen – oder eben in Wohnräumen, die von einer „Light Sculpture“
       mit den krumm gewachsenen Holzreihen zum Leuchten gebracht werden. Eine
       Idee, die so gut und simpel ist, dass sie sogar mit der günstigen
       Ikea-Imitation noch Sinn ergibt.
       
       Irgendwie anrührend wirkt Noguchis Œuvre im Museum Ludwig, sanftmütig und
       zugewandt. Balsam für zartbesaitete Seelen in harten Zeiten. Eigentlich hat
       doch gerade dies etwas Radikales: dass ein Künstler mal nicht als der immer
       noch als gesetzt geltende Potenzprotz auftritt (der Noguchi, qua Output,
       natürlich zweifellos war). Alles andere sind Geschmacksfragen.
       
       28 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina J. Cichosch
       
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