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       # taz.de -- Italien nicht beim Turnier in Katar: Konsequente WM-Boykotteure
       
       > Italien scheitert gegen Nordmazedonien an der Qualifikation für die
       > Fußball-WM – wieder einmal. Zur Spielidee fehlen die passenden Spieler.
       
   IMG Bild: Zum Verzweifeln: Italiens Nationalspieler bei der Trauerarbeit
       
       Wer weiß, vielleicht werden italienische Nationaltrainer noch einmal zu
       Kandidaten für den Friedensnobelpreis oder den Weltumweltpreis. Gian Piero
       Ventura schaffte es mit totaler Spielververweigerungsphilosophie bereits,
       dass kein italienischer Politiker anlässlich der Fußball-WM in Russland
       aufs Foto mit Gastgeber Putin musste. Die Squadra Azzurra verpasste damals
       die WM. Jetzt sorgt [1][die von Nachfolger Roberto Mancini gecoachte
       Mannschaft] dafür, dass die Lust von Italienern, Flugzeugbenzin beim Trip
       zur Winter-WM im Wüstenstaat Katar zu verbrennen, massiv sinkt. „Wieder
       eine WM vom Sofa aus“, kommentierte die Tageszeitung La Repubblica das
       erneute Ausscheiden vor dem eigentlichen Turnier.
       
       Gut, ganz freiwillig war der Verzicht nicht. Die Fußballer in den blauen
       Trikots bemühten sich schließlich eifrig um offensives Spiel Richtung
       nordmazedonisches Tor. 64 Prozent Ballbesitz gab es, 67 zu 15 Angriffe und
       32 zu 4 Abschlüsse für Italien. Einer der vier Torversuche reichte dem
       Gegner aber. Keeper Gianluigi Donnarumma sah dabei nicht sonderlich gut
       aus. Dem anderen Gianluigi, Nachname Buffon, 44 Jahre alt, rutschten jetzt
       bei Parma Calcio in der zweiten Liga allerdings ähnliche Bälle ebenfalls
       unter dem Körper durch.
       
       Der auf Position 2 gesetzte Keeper, der im Abstiegskampf beim FC Genua
       gestählte Salvatore Sirigu, hätte sicher eine bessere Figur abgegeben.
       Mancini setzte aber nicht auf aktuelle Form, sondern auf große Namen. Das
       war im Mittelfeld ähnlich – dort musste der schon bei Inter Mailand
       ausgelaugte Nicolo Barella bis tief in die zweite Hälfte seinen erschöpften
       Körper über den Rasen schleppen. Und ebenso im Sturm. Da mühte sich Ciro
       Immobile so fleißig wie immer, aber auch so glücklos wie fast immer, wenn
       er das dunkelblaue Trikot der Nationalelf anstelle des helleren Blaus
       seines Heimatvereins Lazio Rom überstreift. Alternativen saßen auf der
       Bank. Mancini setzte sie aber nicht oder nur sehr spät ein. Die einstige
       Skandalnudel Mario Balotelli, in der türkischen Liga weniger kapriziös,
       dafür aber treffsicherer geworden, wurde hingegen nicht eingeladen.
       
       Mancini begründete das mit der geringen Zeit zum Probieren. Natürlich hätte
       er selbst Balotelli, den er sich mehrfach live im Stadion ansah, schon
       früher zum Lehrgang berufen können. Ihm machte aber auch die halsstarrige
       Haltung der italienischen Profiklubs einen Strich durch die Rechnung. Denn
       die zogen ihren Spieltag am Wochenende vor den Entscheidungsspielen
       ungerührt durch.
       
       ## Bei den Vereinen gebettelt
       
       Mancini hatte um eine Verlegung gebettelt. „Es ist schade, dass unsere
       Jungs nur einen Trainingstag hatten“, machte Gabriele Gravina, Präsident
       des Fußballverbands FIGC, auf eine traditionelle Problemstellung
       aufmerksam. „Wir müssen ein besseres Gleichgewicht zwischen den Interessen
       der Klubs und denen der Nationalmannschaft finden“, forderte er.
       
       Dieser Gegensatz ist freilich nicht neu. Die Anzahl ausländischer Profis in
       der Serie A ist von 2018, dem Amtsantritt Mancinis, von 57auf 62 Prozent
       angewachsen. Im Nachwuchsbereich liegt der Ausländeranteil sogar bei 70
       Prozent, warnte Gravina. Wie sollen sich da überhaupt einheimische Taklente
       entwickeln können?
       
       [2][Diese strukturellen Probleme sind schon länger bekannt.] Lösungen
       werden gebetsmühlenartig versprochen, gerne bei Verbandswahlen oder nach
       historischem Scheitern. Umgesetzt wird dann aber wenig.
       
       Das größte Problem von Italiens Nationalmannschaft bleibt freilich, dass
       sie nur Angreifer neuen Typs hat: solche, die fleißig auch nach hinten
       arbeiten, die aber den Egoismus, den Killerinstinkt, den unbedingten
       Willen, ein Tor zu erzielen, vermissen lassen. Ein Versuch mit Balotelli
       wäre hier sinnvoll gewesen. Mangelndes Zutrauen beim Coach und Egoismus der
       Klubs verhinderte dieses Experiment. Und deshalb muss Italien jetzt wieder
       neu aufbauen. Nicht von ganz unten, wie 2018 noch, als nicht nur die
       Ergebnisse fehlten, sondern auch eine Spielidee. Die war auch jetzt, beim
       Scheitern in Palermo, deutlich zu erkennen.
       
       25 Mar 2022
       
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