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       # taz.de -- Moskaus enger Partner in Afrika: Neurussland in den Tropen
       
       > Die Zentralafrikanische Republik ist Russlands wichtigster Partner in
       > Afrika. Der russische Einfluss geht weit über die Söldnertruppe Wagner
       > hinaus.
       
   IMG Bild: Wagner-Soldaten wachen über eine Parade im zentralafrikanischen Bangui im Mai 2019
       
       Kampala taz | Zwei afrikanische Soldaten in Flecktarnuniform und Stiefeln
       posieren auf einer ukrainischen Straße für die Kamera. „Zwei Söldner
       (Wagner) aus der Zentralafrikanischen Republik, die für Russland kämpften,
       wurden im Donbass, der südöstlichen Ukraine, getötet“, heißt es [1][in dem
       Tweet]. Daneben: Fotos ihrer Reisepässe, in kyrillischer Schrift.
       
       Wer die beiden jungen Afrikaner waren und ob sie wirklich im Donbass
       getötet wurden, lässt sich nicht unabhängig bestätigen. Doch es mehren sich
       die Anzeichen, dass die russische Söldnerfirma Wagner afrikanische Kämpfer
       rekrutiert hat, um in der Ukraine für Russland zu kämpfen. Auf den
       Uniformen der beiden mutmaßlich gefallenen Kämpfer prangt an der Schulter
       das schwarze Wagner-Abzeichen mit dem Totenkopf. Beide tragen schwere Uhren
       – ein mögliches Anzeichen, dass sie als Kämpfer gut bezahlt wurden.
       
       Die einst von Veteranen des russischen Ukrainekrieges 2014 gegründete und
       später in [2][Syrien und Libyen eingesetzte „Wagner Group“] hat sich
       nirgends so festgesetzt wie in der Zentralafrikanischen Republik. Das
       bitterarme Land zerfiel in den Bürgerkriegen von 2013 und 2014, als erst
       die [3][muslimische Rebellenallianz Seleka] aus dem Norden die südlich
       gelegene Hauptstadt Bangui stürmte und dann [4][antimuslimische Milizen]
       sie wieder vertrieben. Die Armee zerfiel, Milizen und Bürgerwehren machten
       sich breit, der Staat war kaum existent: ein perfektes Umfeld für Wagner.
       
       Präsident Faustin Touadéra, der 2016 durch Wahlen an die Macht kam, schloss
       einen geheimen Vertrag mit Moskau: Russische Ausbilder sollten die
       Regierungsarmee trainieren, so hieß es offiziell. Doch [5][als die ersten
       russischen Ausbilder 2018 landeten, erklärte der damalige Innen- und
       Sicherheitsminister Sergej Bokassa], Sohn des ehemaligen Diktators
       Jean-Bédel Bokassa, der taz, es seien weit mehr Russen gekommen als die
       vereinbarten 300. „Wer dort einreist und was diese Leute mit sich führen –
       darüber hat unsere Regierung keine Kontrolle, ich durfte nicht einmal deren
       Pässe kontrollieren“, beschwerte er sich.
       
       ## Wagner soll in Kämpfe verwickelt sein
       
       Zweifel hatte Bokassa auch an der offiziellen Mission dieser „Ausbilder“.
       Zeugen, darunter Soldaten der Armee, berichteten der UN-Expertengruppe, die
       das geltende Waffenembargo gegen die Zentralafrikanische Republik
       überwacht, dass die Russen in direkte Kampfhandlungen verwickelt seien. Auf
       bis zu 2.100 schätzen die UN-Experten ihre Zahl mittlerweile.
       
       Erst am vergangenen Freitag gerieten Rebellenoffiziere im Norden des
       Landes, in der Nähe zur Grenze zum Tschad, in einen Hinterhalt – von
       Wagner-Söldnern gelegt. Die Russen, so die zentralafrikanische
       Onlinezeitung Corbeau News, hätten drei Motorradtaxifahrer mit Waffen
       bedroht, um ihnen Informationen zu entlocken. Als sie sich weigerten, sei
       einer erschossen worden. Letztlich zeigten die anderen beiden den Russen
       die Rebellenstellung. Die wurde am nächsten Morgen mit Artilleriefeuer
       bombardiert.
       
       Dass russische Militärtrainer in Kämpfe verwickelt seien, streitet Russland
       ab. Als die UN-Ermittler im vergangenen Jahr solche Vorfälle untersuchten,
       erklärte der russische Ausbildungskoordinator in Bangui, sie seien
       lediglich „zum eigenen Schutz bewaffnet“. Außerdem seien alle Ausbilder
       „vom Verteidigungsministerium der Russischen Föderation rekrutiert“. Sie
       seien „nicht angeheuert von einem Privatunternehmen“, also Wagner.
       
       „Wagner ist wie der Muskel eines umfassenden Pakets“, so [6][Joseph Siegle,
       Direktor des Afrika-Zentrums für Strategische Studien in Washington], der
       seit Jahren zu Wagner forscht. Das Schema sei immer das selbe, so Siegle:
       „Russland sucht sich einen schwachen Präsidenten und bietet ihm
       Unterstützung an.“ In Syrien, in Sudan, neuerdings in Mali – und eben in
       der Zentralafrikanischen Republik. Dort stellt Wagner die Leibgarde des
       Präsidenten Touadéra. „Ihr Auftrag ist es wohl, ihn als Proxy für Russland
       an der Macht zu halten“, so Siegle: „Das schließt das aggressive Vorgehen
       gegen Oppositionelle mit ein.“
       
       ## Russisch ist an Schulen erste Fremdsprache
       
       Dafür bekomme Russland Zugang zu strategischen Ressourcen. Mit Touadéra hat
       Moskau eine umfassende Partnerschaft vereinbart: Russische Firmen sollen
       die vom Krieg zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, mit Krediten von
       russischen Banken. „Wir haben Straßenbauprojekte im Wert von sechs
       Milliarden Dollar, Eisenbahnprojekte von drei Milliarden Dollar sowie
       Städtebauprojekte von zwei Milliarden Dollar ausgeschrieben“, so Pascal
       Bida Koyagbélé, Zentralafrikas Minister für strategische Investitionen, in
       einem Interview mit dem russischen Radiosender Sputnik. Der staatliche
       russische Sender sendet mittlerweile in Zentralafrika.
       
       Seit 2019 lernen zentralafrikanische Kinder in der Schule Russisch als
       erste Fremdsprache. Wagner-Kämpfer schützen zentralafrikanische Gold- und
       Diamantenminen, die das russische Goldunternehmen M-Invest über
       Tochterfirmen erworben hat. [7][M-Invest] ist eine in Sankt Petersburg
       registrierte Firma, die dem russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten
       Jewgeni Prigoschin gehört, dem Finanzmogul hinter Wagner. Die Russen
       kassieren Zölle an den Grenzen zu Tschad und Sudan. Wagner sei ein
       „profitorientiertes Unternehmen“, das sich selbst trägt, erklärt Pauline
       Bax von der International Grisis Group (ICG). Erhalte Wagner keine
       lukrativen Minenaufträge, dann „bezahlen sie sich durch Raubzüge und
       Plünderungen“.
       
       Für Siegle ist Wagner der „verlängerte Arm des russischen
       Militärgeheimdienstes GRU“. Dieser lasse sich „kostengünstig und effektiv
       im Ausland einsetzen“ – unter Umgehung von Recht und Gesetz. „Bei Wagner
       gibt es keine Menschenrechtsstandards und Verantwortlichkeiten für ihr
       Handeln“, so Siegle. „Wagner operiert unter dem Radar, so lässt sich alles
       abstreiten, auch Menschenrechtsverbrechen.“
       
       Eine UN-Expertengruppe veröffentlichte 2021 einen 250 Seiten langen Bericht
       über Menschenrechtsverletzungen durch Wagner-Kämpfer in der
       Zentralafrikanischen Republik: Journalisten, Zivilisten, Mitarbeiter von
       Hilfswerken sowie der UN-Mission Minusca seien „gewaltsam belästigt und
       eingeschüchtert“ worden, heißt es darin. Zu den Verstößen zählten
       „Massenhinrichtungen im Schnellverfahren, willkürliche Festnahmen, Folter
       bei Verhören, Verschwindenlassen, Zwangsvertreibungen der Zivilbevölkerung,
       wahllose Angriffe auf zivile Einrichtungen, Verletzungen des Rechts auf
       Gesundheit und zunehmende Angriffe auf humanitäre Akteure“.
       
       ## Wagner soll an Kriegsverbrechen beteiligt sein
       
       [8][Reporter des US-Fernsehsenders CNN] interviewten Überlebende in der
       zentralafrikanischen Stadt Bambari, wo sich Zivilisten vor Kämpfen in einer
       Moschee versteckt hatten. Ein Mann, der mit einer Kugel im Bein davonkam,
       berichtete, wie russische Söldner die Moschee beschossen. CNN zeigte Bilder
       der Leichen auf dem Gebetsteppich: 12 Tote. Eine Frau aus Bambari
       berichtete, wie ihr 15-jähriger Sohn von einem russischen Kampfhubschrauber
       aus erschossen wurde. Als ihr Ehemann aus dem Haus lief, um den Jungen zu
       retten, sei auch er erschossen worden.
       
       Das klare Fazit des UN-Expertenteams: Kriegsverbrechen. „Vertreter der
       Wagner-Gruppe haben Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt begangen gegen
       Frauen, Männer und junge Mädchen“, so der Bericht. Überlebende hätten
       Angst, ihre Fälle vorzubringen. Da Wagner auf Geheiß von Präsident Touadéra
       im Land sei und ihn beschütze, bestünde hier faktisch Straflosigkeit. Die
       UN-Experten forderten die Regierung in Bangui auf, „alle Beziehungen zu
       privatem Militär- und Sicherheitspersonal zu beenden, insbesondere der
       Wagner-Gruppe“.
       
       Am Mittwoch beschäftigte sich damit in Genf der UN-Menschenrechtsrat.
       [9][UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet] äußerte sich besorgt
       über zunehmende Menschenrechtsverletzungen in der Zentralafrikanischen
       Republik durch die Regierungstruppen und „ihre bewaffneten Verbündeten“ –
       UN-Sprachregelung für die Wagner-Kämpfer. Der unabhängige UN-Experte für
       die Menschenrechtslage in der Zentralafrikanischen Republik, Yao Agbetse,
       berichtete, er habe „mehrere übereinstimmende Zeugenaussagen erhalten, in
       denen von Verstößen russischer bilateraler Streitkräfte gegen die
       Zivilbevölkerung berichtet wird“. Dazu gehören „sexuelle Gewalt,
       Einschüchterung, Zerstörung von Wohnungen, Drohungen, Erpressung“.
       
       Der Nigerianer Chris Kwaja ist zuständig für Afrika in der
       UN-Expertengruppe über Söldnereinsätze. Er fürchtet, dass das Beispiel
       Zentralafrika Schule macht: „Wenn wir uns nicht mit Land A
       auseinandersetzen, ist die Tendenz, dass die selben Sachen in Land B oder C
       geschehen, sehr hoch“, so Kwaja zur taz. Die größte Herausforderung sei,
       die Identitäten der Täter festzustellen – Russland streite offiziell alle
       Verbindungen zu Wagner ab. „Wir gehen von der Tatsache aus, dass jeder
       Söldner ein Heimatland hat und in diesem Land registriert ist“, so Kwaja:
       „Unabhängig davon, welche Menschenrechtsverletzungen diese Leute außerhalb
       dieses Landes begehen, ist es wichtig, dass das Heimatland informiert wird
       und angemessene Schritte zur Rechenschaftspflicht einleitet. Denn es gibt
       keine staatenlosen Personen und Organisationen.“ Und die mutmaßlichen
       Täter, die in der Zentralafrikanischen Republik ermittelt wurden, seien
       „alle Russen oder zumindest russischsprachig“.
       
       ## Russland blockiert Erneuerung einer Expertengruppe
       
       Im Juni 2021 kam es im UN-Sicherheitsrat zum Eklat: Die USA forderten
       Moskau auf, die Vorwürfe gegen russische Bewaffnete in der
       Zentralafrikanischen Republik zu untersuchen. Der russische Vertreter Ivan
       Khoroshev tat die Anschuldigungen als „Propaganda“ ab: „Was Berichte
       betrifft, dass Ausbilder Hühner und Matratzen von Zivilisten stehlen –
       diese Berichte diskreditieren nur diejenigen, die solche Anschuldigungen
       erheben“, sagte er und höhnte, russische Ausbilder erhielten „volle
       Unterstützung und Zulagen, einschließlich Betten, Matratzen und
       Bettwäsche.“
       
       Danach blockierte Russland im UN-Sicherheitsrat mit seinem Veto monatelang
       die Erneuerung von UN-Expertengruppen, die Sanktionen und Waffenembargos in
       Kriegsgebieten überwachen – die Demokratische Republik Kongo, Mali,
       Somalia, Libyen, Syrien, die Zentralafrikanische Republik. Bis heute bleibt
       die Expertengruppe für die Zentralafrikanische Republik blockiert – durch
       Russland.
       
       UN-Ermittler geben gegenüber der taz zu, dass sie bei Recherchen um ihr
       Leben fürchten. 2018 reisten drei russische Investigativreporter in die
       Zentralafrikanische Republik, um über Wagner zu recherchieren. Auf dem Weg
       von der Hauptstadt Bangui gen Norden, wo Wagner-Truppen stationiert waren,
       fuhren sie in einen Hinterhalt: Alle drei starben an Schussverletzungen.
       Das UN-Expertenteam stellte seine Ermittlungen letztlich ein. „Aus Angst
       vor Wagner.“
       
       Kurz darauf ging in Russland der Journalist Pjotr Wersilow den Spuren
       seiner Kollegen nach. Wersilow ist der Ehemann von Nadeschda Tolokonnikowa,
       Mitglied der Punkrockband Pussy Riot. Er wurde krank, fiel ins Koma.
       Ehefrau Tolokonnikowa konnte ihn über Kontakte in die Berliner Charité
       ausfliegen, ähnlich wie der Oppositionspolitiker Alexei Nawalny 2020. Die
       [10][Diagnose bei Wersilow: Vergiftung]. „Wir erhalten ständig Warnungen“,
       so UN-Experte Kwaja. „Das ist Teil des Jobs, wenn man zu Wagner arbeitet.“
       
       1 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/markito0171/status/1508025972473450499?s=20&t=HU-7YtoI3HTHxNyhv8iIEw
   DIR [2] /Krieg-in-der-Ukraine/!5841496
   DIR [3] /Zentralafrikanische-Republik/!5743251
   DIR [4] /Verhaftung-des-Rebellenfuehrers-Mokom/!5842218
   DIR [5] /Russlands-Griff-nach-Afrika/!5509166
   DIR [6] https://africacenter.org/experts/joseph-siegle/
   DIR [7] https://www.business-humanrights.org/en/latest-news/sudan-cnn-investigation-alleges-russian-company-m-invest-drew-up-plan-for-deposed-government-to-violently-suppress-demonstrations/
   DIR [8] https://edition.cnn.com/2021/06/15/africa/central-african-republic-russian-mercenaries-cmd-intl/index.html
   DIR [9] https://www.ohchr.org/en/statements/2022/03/bachelet-updates-human-rights-council-central-african-republic
   DIR [10] https://de.euronews.com/2018/09/13/pussy-riot-mitglied-im-krankenhaus-wir-glauben-er-wurde-vergiftet
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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