# taz.de -- Reden über Krieg: Wie viel Realität vertragen Kinder?
> Antisemitismus, Rassismus oder Krieg: Es ist ein Privileg, wenn sich
> Kinder nicht mit schwierigen Themen befassen müssen, die für andere
> Alltag sind.
IMG Bild: Ich sehe ihn an, wie er über die Apfelstücke meckert und dann denke ich an zerbombte Kindergärten
Die Gespräche beim Abendessen sind in letzter Zeit ein Eiertanz. Ich bin
fast froh, wenn der Vierjährige ohne Punkt und Komma über seinen Tag
berichtet, bis er fast blau anläuft. „Und dann hab ich und dann hat sie,
aber er hat auch und dann haben wir gegessen und dann, dann, dann, dann …“
hängt die Platte.
So reden wir zumindest nicht über Politik. Und wenn wir nicht über Politik
reden, reden wir nicht über Krieg. Ein Wort, dass er nicht hören soll, denn
dann müssten wir ihm erklären, [1][was in der Ukraine los ist]. Ich
begreife es selbst kaum, wie soll ich es dem Kind erklären. Wir haben
beschlossen, mit ihm nicht darüber zu reden, solange er nicht fragt. Davon
abgesehen erklären wir ihm alles recht offen. Er weiß, wie Babys entstehen,
er sagt Penis und Vulva, er weiß, dass es Menschen gibt, die nicht (nur)
Mann oder (nur) Frau sind, er weiß, dass Kolumbus nichts „entdeckt“ hat,
sondern, dass das Völkermord war.
Nicht über Politik zu reden, ist schwierig in einem
Journalist*innen-Haushalt. Die Kinder wachsen mit Nachrichten und Zeitungen
auf. Als der Vierjährige zwei war, hat er gern auf Köpfe in Zeitungen
gezeigt und wir haben dann gesagt, wer das ist. Irgendwann hat er schon
freudig „Obama!“ gerufen, sobald er den Ex-US-Präsidenten irgendwo gesehen
hat. Jetzt läuft nicht mal mehr das Radio morgens.
## Theoretisch weiß er, was Krieg ist
Zur Zeit ärgere ich mich schneller, wenn ich das Gefühl habe, er ist nicht
dankbar – was totaler Quatsch ist, denn Dankbarkeit ist keine Kategorie, in
der Vierjährige denken. Doch ich bin nur ein Mensch. Ich sehe ihn an, wie
er meckert, dass die Apfelstücke auf seinem Müsli nicht so geschnitten
sind, wie er das gern hätte und dann denke ich an zerbombte Kindergärten
und Krankenhäuser. An Kinder in Kellern und all die Menschen, die ihre
Lieben und Leben lassen in all den Kriegen und dann werde ich sauer. Aber
gar nicht auf ihn. Viel mehr auf mich, weil ich es nicht ändern kann und
weil alles, was ich dazu sage, in seiner Belanglosigkeit lächerlich wirkt.
Was Krieg ist, weiß er theoretisch. Wir haben ein Buch, in dem steht, dass
sich Menschen manchmal bekämpfen. Das hat ihn schon in der Theorie
nachvollziehbar lange beschäftigt. Wir haben auch über Flucht gesprochen,
wieso Menschen ihr Zuhause verlassen. Das konnte er verstehen. Doch
zwischen der Theorie und allem, was aktuell stattfindet, liegen Welten
[2][und so viele Fragen, vor denen mir graut].
Dabei denke ich, dass man Kindern mehr zumuten kann, als viele meinen. Und
vielleicht wäre es sogar gut, [3][manches früher zu besprechen]. Für ein
Kinderbuch habe ich letztens recherchiert, dass in Israel mit [4][Kindern
schon im Grundschulalter] oder [5][früher] über die Shoah gesprochen wird.
In einem kindgerechten Rahmen versteht sich. Es ist ein Privileg, sich als
Kind nicht damit befassen zu müssen. Nicht zu wissen, was Antisemitismus,
Rassismus, Genozid oder Krieg ist. Für viele Familien ist das Teil ihres
Lebens und das geht uns alle an.
28 Mar 2022
## LINKS
DIR [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
DIR [2] /Mit-Kindern-ueber-Krieg-sprechen/!5835382
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